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Populäre Kulturen / Popular Cultures

8. Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft

27. bis 30. September 2023  | Universität des Saarlandes (Saarbrücken)

Programmdetails: Panels und Abstracts

Mittwoch, 27. September 2023

  Musiksaal Hörsaal 1
Hörsaal 2
Hörsaal 3
Raum 0.03
Raum 1.30
Raum 2.18
16:00 – 18:00 20 21
1
8
22
 23 36

 

Donnerstag, 28. September 2023

  Musiksaal Hörsaal 1 Hörsaal 2 Hörsaal 3 Raum 0.03 Raum 1.30 Raum 2.18 UNESCO-Welterbe Völklinger Hütte
9:00 – 11:00 37 24 2 25 38   14  
14:00 – 16:00 3 26 9 32a 38   14  
16:30 – 18:30 27 28 10 43 38   4 15

 

Freitag, 29. September 2023

  Musiksaal Hörsaal 1 Hörsaal 2 Hörsaal 3 Raum 0.03 Raum 1.30 Raum 2.18
9:00 – 11:00 39 5 29 16 11 44 40
11:30 – 13:30 17 30 31 6 11   41

 

Samstag, 30. September 2023

  Musiksaal Hörsaal 1 Hörsaal 2 Hörsaal 3 Raum 0.03 Raum 1.30 Raum 2.18
9:00 – 11:00 32 33 7 42 12   18
11:30 – 13:30 32   19 13 34   35

 

Nicht alle Panels haben sich für eine hybride Durchführung entschieden, sodass eine digitale Teilnahme nur für ausgewählte Panels erfolgen kann.

1. Chancen und Grenzen der Kritik des Populären von 1900 bis in die Gegenwart

2. Populärkultur als Verhandlungsraum im 20. und 21. Jahrhundert

3. Was ist das „Populäre“ an „Populären Kulturen“?

4. Popular Culture Studies in Eastern Europe

5. Wittgenstein and Popular Culture

6. Ad-hoc-Gruppe intertraditionale Wissenskonstitution: Kick-off-Treffen „Kultur – Therapie – Heilung aus intertraditionaler Sicht“

7. Workshop zu Adornos Thesen über populäre Musik – Relektüren

8. Popular and Alternative Music of Postsocialist Europe

9. Colonial Popular Culture in Illustrated Periodicals

10. Phenomena of Passing Twenty-First Century Mass Media

11. Populäre Perspektiven auf Sprache(n). Sprachideologien im öffentlichen Diskurs

12. Populäre Düfte: Gerüche, Riechstoffe, olfaktorische Ästhetiken

13. Moving Pictures: Migration and Mobility in Contemporary Graphic Narratives

14. „Ich erzähle also bin ich!“– Identitätsnarration(en) in der mediatisierten Alltagskultur

15. Die Stummheit der Materialien

16. Materielle Kultur und populäre (Fest-)Praktiken

17. Kulturwissenschaftliche Ästhetik: Eine Ästhetik des Populären?

18. Komische Kasuistiken. Zur Refelexion von Kulturtechniken in populären Artefakten

19. Are you series? Serielle Reduzierungen, Verkürzungen und Verdichtungen im Medienvergleich

20. Green Popular Culture Studies: (In)Visibility, Affordances, Affects

21. Populäre (Medien-)Kulturen queeren

22. Popular Waste: Representations in Contemporary Anglophone Fictions

23. Visuality of War: Pop Culture References

24. Aktivismus und populäre Klimakulturen

25. Watching the Pandemic

26. Weibliche Herrschaft in der Populärkultur, oder: Frauen, Macht und Staat in aktuellen Spielfilmen und Serien

27. La ficción de la memoria española – Antirealistische Filme zum spanischen Bürger:innenkrieg und franquistischer Diktatur

28. Populäre Kulturen im Kontext der Dekolonialisierung: Interkulturelle Perspektiven, Aneignungsprozesse und subversive Strategien

29. Rache in populären Kulturen

30. Diversity in American Western Movies and TV Series

31. Populäre Imaginationen des Posthumanen

32. Populäre Grenzkulturen / Popular Border Studies

32a. Sektionstreffen „Kulturwissenschaftliche Border Studies“

33. Populäre Gender Inszenierungen

34. Pop royal. Das Monarchische in der populären Kultur

35. Media Reflections on the War

36. Politics and Representation in South Asian Visual Culture: Historical and Contemporary Perspectives

37. Populärkultur im Europa der langen 1960er-Jahre

38. Diversifying the Popular — Translating Cultural Studies

39. Von der Resistenz zur Resilienz – Formen der Populär- und Popularkulturen in der Romania: Spannungsverhältnisse und kollektive Zugehörigkeiten

40. Manifestations of the „Popular“ in Korean Culture

41. Cancioneros, Hojas volantes und Literatura de Cordel: Manifestationen des Populären in Lateinamerika um 1900

42. Pop.de – Popkulturelle Phänomene und mediale Aushandlungsprozesse

43. Tiktok – cringe or crucial? Eine interaktive Annäherung an ein populäres soziales Medium

44. Vernetzungstreffen der Studierendensektion der KWG

Panels 1–7: Populäre Kultur(en) und Kulturtheorie

Panel 1: Chancen und Grenzen der Kritik des Populären von 1900 bis in die Gegenwart

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00–18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Organisation

Laura Beck (Hannover)

Stefanie Jakobi (Bremen)

Hauke Kuhlmann (Bremen)

Urania Milevski (Bremen)

 

Moderation

Julia Brühne (Bremen)

 

Vorträge

 
Was ist hier populär? Kim de l’Horizons Blutbuch, der Deutsche Buchpreis und die Literaturkritik(en)
Laura Beck (Bremen)

Kim de l’Horizons Roman Blutbuch (2022), für den die:r Autor:in den Deutschen Buchpreis erhalten hat, gewann seine Breitenwirkung auch durch gezielte Strategien der politischen Selbstinszenierung von de l’Horizon im Rahmen der Preisverleihung, eine politische Selbstinszenierung, die selbst an medial bereits etablierte Muster anschloss. Parallel dazu lassen sich verschiedene Strategien des Umgangs mit Buch und Autor:in in traditionell-etablierten Medien wie dem Feuilleton und neueren digitalen Formate wie bspw. Buchrezensionen auf Instagram beobachten. Diese unterschiedlichen Formen der Kritik bilden mit de l’Horizons Versuch einer mit politischer Schlagkraft versehenen Aneignung der in ökonomische und gesellschaftliche Normen eingepassten Preisverleihung ein spannungsvolles Geflecht, in welchem dem Roman selbst spezifische Funktionen zukommen. Der Vortrag will sich genau mit diesem Geflecht aus verschiedenen Formen populärer Kritik, medienwirksamer Inszenierung und politischer Forderung beschäftigen.

Kurzbiografie: Laura Beck ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover. Davor war sie Mitarbeiterin in der Neueren deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Bremen mit einem Habilitationsprojekt zu Jäger:innen als liminalen Figuren in Literatur und Kultur vom 19. Jh. bis zur Gegenwart (Zentrale Forschungsförderung der Universität Bremen). Von 2010–2015 war sie Promotionsstipendiatin (ZF sowie FAZIT-Stiftung) an der Universität Bremen (Promotionsschrift: „Niemand hier kann eine Stimme haben“ Postkoloniale Perspektiven auf Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Bielefeld 2017). Anschließend Lektorin für deutsche Sprache, Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Liège, Belgien (2015-2019). Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Literatur des 19. Jh.s und Gegenwartsliteratur, postkoloniale und interkulturelle Literaturwissenschaft, Literatur und Reisen, Animal Studies. Aktuelle Publikationen: ,Dazwischen: Ich‘. Zu Adoleszenz- und Alteritätserfahrungen nach der Flucht bei Julya Rabinowich. (In: Jacobi, Osthues, Pavlik: Adoleszenz und Alterität. Bielefeld 2022); Metzler Handbuch Literatur und Reise (Mhg., im Erscheinen).

 

Twitter als Tatort und der Tod der Autorin? Die Unmöglichkeit (kritischer) Grenzziehung der Storyworld Harry Potter
Stefanie Jakobi (Bremen)

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich auf ein Twitter eine rege Diskussion um die Storyworld (Thon 2014) Harry Potter und ihre Urheberin J.K. Rowling bildet: Sei es aufgrund der geplanten Veröffentlichung des Computerspiels Hogwarts Legacy (2023) oder Rowlings Positionierungen im Kontext des ‚Gender Recognition Reform Bill‘. Die Diskussionen offenbaren dabei wiederholt Probleme der Grenzziehung: zwischen Storyworld und Autorin einerseits und zwischen populärer Kritik und Literaturkritik andererseits. So postuliert Cintia Farr, dass die Leser:innen Rowlings längst nicht mehr bedürfen, da „the books belonged fully to them“ (Farr 2022, xxi), während die Twitter-nutzerin ‚Her Tuulicious Femmastjesty‘ nicht nur konkludiert, dass „[j]eder Akt, der JKR oder ihr Werk finanziell oder ideell unterstützt, automatisch auch ein transfeindlicher ist“ (Her Tuulicious Femmastjesty 2023), sondern dieser Konklusion auch eine ausführliche Explikation von Barthes‘ Konzept des „Tod des Autors“ (Barthes 2000) voranstellt. Der Beitrag sucht diesen Grenzüberschreitungen nach, um die diskursiven Kräfte, die sich in die Konstitution der Storyworld und ihrer Rezeption einschreiben, aufzudecken und die Frage zu diskutieren, ob Rowlings permanente Versuche, die Deutungshoheit über ihren Text twitternd zurückzuerobern, „the end of the literary criticism as most of us have known it“ (Farr 2022, xxi) bedeuten und sich über die kritische Bearbeitung der Storyworld eine neue Form von (populärer) Literaturkritik synthetisiert.

Kurzbiografie: Stefanie Jakobi ist Lektorin am Arbeitsbereich Kinder- und Jugendliteratur/-medien an der Universität Bremen. Promoviert wurde sie mit einer Arbeit zu analogem und digitalem Schreiben als Motiv in der Kinder- und Jugendliteratur. Publikations- und Forschungsschwerpunkte: transmediale Phänomene in den Kinder- und Jugendmedien, Gender und Alteritätserfahrungen. Aktuelle Veröffentlichungen: Von Anselmus zu Mythenmetz – (Romantische) Autorschaft im Spannungsverhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Walter Moers’ Die Stadt der Träumenden Bücher. In: Von Mund- und Handwerk. Mündliches und schriftliches Erzählen in kinder- und jugendliterarischen Texten. Hrsg. von Thomas Boyken und Anna Stemmann. Stuttgart: Metzler, 2022 (= Studien zur Kinder- und Jugendliteratur und -medien); Adoleszenz und Alterität. Synergien aktueller Ansätze der interkulturellen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik. Hrsg. mit Julian Osthues und Jennifer Pavlik.

 

Zur „Ehrenbeleidigung“ eines „Volkserziehers“ und „Idealchristen“: Karl May in der Presse und Kritik um 1900
Hauke Kuhlmann (Bremen)

Karl May ist sicherlich als ein ‚Klassiker‘ der populären Literatur zu bezeichnen. Bekanntheit garantierten ihm um 1900 allerdings nicht alleine seine Erzählungen. May generierte sie auch mithilfe von werbe- und publikumswirksamen Vortragsreisen und sowie durch Strategien der medialen Selbstinszenierung. Fotografien, die ihn als Old Shatterhand zeigen sollten und die zugunsten einer gesteigerten Aura und der Erzeugung des Eindrucks authentischen Erlebens des dann literarisch Verarbeiteten die Wahrheit weit hinter sich ließen, gehören genauso hierher, wie seine publizistische Selbstdarstellung als ‚Volkserzieher‘ und ‚Idealchristen‘.

Karl May ist um 1900 aber auch für mehrere Gerichtsverfahren bekannt, in denen er als Kläger gegen Personen wie den Journalisten Rodulf Lebius und den Germanisten Stefan Hock vorging. In Zeitungen wurden diese zum Teil langwierigen ‚Ehrenbeleidigungsprozesse‘ genau verfolgt und dokumentiert. Diese Berichterstattung greift dabei aber auch immer wieder Diskussionen über die Qualität und den schädlichen oder förderlichen Einfluss von Mays Texten auf junge Leser:innen auf. Sie erweist sich so als eine Art Knotenpunkt verschiedener Diskurse, von denen der Vortrag einige schlaglichtartig rekonstruieren will, um diese Stränge der (im weiten Sinne) May-Kritik schließlich mit seinen Erzähltexten zu konfrontieren.

Kurzbiografie: Hauke Kuhlmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent für Studienangelegenheiten an der Universität Bremen und arbeitet dort zu einem Post Doc-Projekt zur Lyrik zwischen 1880 und 1950 und zur Frage nach der Funktion von Traditionsbezügen. Promotion an der Universität Bremen mit der Schrift ‚Es fehlte mir der Zusammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an.‘ Zum Problem der Kohärenz in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (Bielefeld 2019). Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Literatur um 1800, Ästhetik im 19. Jahrhundert, Lyrik der Klassischen Moderne, Video Game Studies. Letzte Veröffentlichung: ‚Extended Diaspora‘. On communitization phenomena in the digital age (Journal of Global Diaspora & Media 2022, mit Julia Brühne).

 

„Die vielgelesene Frau hat sich selbst […] außerhalb der Kritik gestellt“. Gender und (populäres) Genre in Rezeptions- und Wertungsprozessen um 1900 am Beispiel von Nataly von Eschstruth
Urania Milevski (Bremen)

Der Name ‚Nataly von Eschstruth‘ ist heute kaum mehr ein Begriff. Auch die literaturwissenschaftliche Forschung, die sich in den letzten Jahren vermehrt damit auseinandergesetzt hat, sowohl Autorinnen (wieder-)zuentdecken (z.B. Gnüg/Möhrmann 1999, Loster-Schneider 2006) als auch die Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur produktiv auszusetzen (Kreuzer 1967, zuletzt Werber 2021), hat die Bestsellerautorin bisher kaum betrachtet. Dabei ist sie um 1900 sehr erfolgreich gewesen und kann in einem Atemzug genannt werden mit Hedwig Courths-Mahler oder Eugenie Marlitt.

Aus diesem Grund kam auch die zeitgenössische Literaturkritik nicht um sie herum – spätestens nachdem Wilhelm II. persönlich lobend auf ihr Werk verwies. Einerseits war die Autorin also ökonomisch überaus erfolgreich und von einer ‚Laienkritik‘ geliebt, womit nicht nur Lobhudeleien gemeint sind, die sich im Fahrwasser Wilhelm II. formieren (vgl. Lippmann 1886, Bernhardt 1901). Andererseits führt in der Praxis der institutionalisierten Literaturkritik die diskursive Verschränkung von Gender (weibliche Autorschaft) und Genre („Frauenliteratur“) zu einer doppelten Diskriminierung (vgl. Kalkschmidt 1902, Rath 1913) und, wie am Falle von Eschstruths zu sehen, zum Ausschluss aus dem (hoch-)literarischen Feld und damit, zumindest bis vor Kurzem, auch aus der literaturwissenschaftlichen Forschung. Im geplanten Vortrag wird es im Sinne des Skizzierten darum gehen, Kritik und Gegenkritik zu beleuchten und ihre Auswirkungen auf die zeitgenössische und heutige literaturwissenschaftliche Rezeption zu prüfen.

Kurzbiografie: Urania Julia Milevski ist Lecturer für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Mediengeschichte an der Universität Bremen. Promotion im DFG-Graduiertenkolleg Dynamiken von Raum und Geschlecht (Universität Kassel und Georg-August-Universität Göttingen) mit der Schrift Stimmen und Räume der Gewalt. Erzählungen von Vergewaltigung in der deutschen Gegenwartsliteratur (Bielefeld 2016). Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen (2018–2019), am Deutschen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (2016–2019), Vertretungsprofessur Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medien/Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Kassel (2018–2019). Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Literatur um 1900 und Gegenwartsliteratur, Literaturtheorie und literaturwissenschaftliche Praxeologie, Transmedialität und Serielles Erzählen in Literatur und Medien, Populäre Kultur(en) sowie Literatur und Erinnerung. Letzte Veröffentlichung: Herausgabe des Journal of Literary Theory, Themenheft Literatur und Erinnerung (2022, mit Lena Wetenkamp).

Panel 2: Populärkultur als Verhandlungsraum im 20. und 21. Jahrhundert

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Organisation

 

Monika Bednarczuk (Białystok, Polen)

Justyna Górny (Warschau, Polen)

Agnieszka Jezierska-Wiśniewska (Warschau, Polen)

Renata Makarska (Mainz)

 

Vorträge

 

Progressive Liebesromane – die lesbische Subkultur Anfang des 20 Jahrhunderts und die Wirkungsmacht populärer Erzählmuster
Justyna Górny (Warschau, Polen)

Der Vortrag ist deutschen lesbischen Romanen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet (Maximiliane Ackers, Helene von Mühlau u. a.), die ich als Liebesromane interpretiere. Liebesroman ist eine Gattung der Populärliteratur schlechthin. Die Figuren streben nach Liebe, überwinden Schwierigkeiten, um eine Beziehung aufzubauen, die das Ziel ihrer Kämpfe und gleichzeitig die Belohnung für die durchgemachten Strapazen ist. Die Geschichten, die sie erzählen, sind alles andere als subversiv und halten die Geschlechterordnung aufrecht – es sei denn, die Protagonistinnen sind zwei ineinander verliebte Frauen.

Indem ich lesbische Romane als Liebesromane lese, zeige ich sie als Texte, die die Erzählmuster eines alten, populären Genres nutzen, um progressive oder einfach neue Themen zu vermitteln. Dabei will ich verdeutlichen, dass die Populärkultur nicht als eine „Nachahmerin“ der sogenannten „Hochkultur“, sondern als ein Raum zu verstehen ist, in dem sich neue, auch sozialrelevante Inhalte herausbilden und zum Ausdruck kommen.

Kurzbiografie: Dr. Justyna Górny – Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Warschau. Promotion zum Thema Literaturkritik als Diskurs der Weiblichkeit – Clara Viebig, Franziska zu Reventlow, Zofia Nałkowska, Maria Kuncewiczowa und Elfriede Jelinek (2011). Als Übersetzerin ist sie auf Texte zur polnischen und deutschen Sozial-, Kultur- und Ideengeschichte spezialisiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Geschichte der Weiblichkeits-diskurse, Kulturtransfer, Rezeption der Literatur. Derzeit arbeitet sie am Projekt Figurationen der Moderne. Literarische Weiblichkeitsdiskurse zwischen Wissenschaft und Fiktion 1900–1933. Ihre neuesten Publikationen sind: „»Der Kampf ist ausgekämpft, die Liebe bleibt« – die Protagonistinnen in den Romanen von Maria Krück von Poturzyn“, in: Frauen erzählen Geschichte (Göttingen 2022), und Schreiben über Frauenbeziehungen. Konstellationen, Räume, Texte (hg. mit M. Bednarczuk, 2022). Justyna Górny ist Mitglied in der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft und Coalition of Women in German. https://orcid.org/0000-0001-7807-2184

 

Der polnische und deutschsprachige Comic: Vom Underground zur „neunten Kunst“
Renata Makarska (Mainz)

Das Medium Comic hat in den letzten Jahrzehnten (nicht nur) in Polen einen langen Weg hinterlegt: von der gesellschaftlichen Wahrnehmung als „Schundliteratur“, über die feste Verankerung in der Populärkultur, eine Neuetablierung (bzw. Erneuerung) als ein Teil des kulturellen Undergrounds bis hin zur Verwandlung in ein multimediales Feld des Experimentierens, das die Grenzen zur bildenden Kunst, Musik, Architektur, zum Theater und Film dauernd überschreitet und kreativ nutzt. An ausgewählten Beispielen aus dem polnischen und deutschsprachigen Comic wird das Offene und Wandelbare des Mediums gezeigt. Im Fokus der Analyse stehen Arbeiten vom Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Referentin vertritt die These, dass das Medium Comic – ähnlich wie Film oder Oper – mittlerweile verschiedene Zielgruppen erreicht, es passt genauso in ein Bücher- oder Zeitungsregal wie auf eine Galeriewand. Schon lange hat sich Comic nämlich zu der „neunten Kunst“ gewandelt.

Kurzbiografie: Prof. Dr. Renata Makarska – Kultur- und Translationswissenschaftlerin, Slavistin. Nach einem Studium der polnischen Philologie in Wrocław promovierte sie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena über Konzeptualisierungen der Hucul’ščyna in der mitteleuropäischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Nach Arbeitsstationen an den Universitäten in Tübingen und Konstanz ist sie seit 2013 Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz (Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim). Forschungsschwerpunkte: westslavische Kulturen des 20. und 21. Jahrhunderts (Migration, Mehrsprachigkeit, Regionalismus, Übersetzungstheorien, Beziehungen zwischen Text und Bild). Neueste Publikationen: Erweiterung des Horizonts. Fotoreportage in Polen im 20. Jahrhundert (hg. mit Iwona Kurz, Schamma Schahadat und Margarete Wach, Göttingen 2018), Handbuch Polnische Comickulturen nach 1989 (hg. mit Kalina Kupczyńska, Berlin 2021). https://orcid.org/0000-0003-2578-5310

 

Das Kulturmagazin Przekrój (Querschnitt) als Vermittler nicht-hegemonialen Wissens im kommunistischen Polen, oder Das Okkulte auf dem Weg zum „Populären“
Monika Bednarczuk (Białystok, Polen)

Astrologie, Wünschelrute, PSI… Um festzustellen, dass dieses (innerlich differenzierte) System von kulturellen Praktiken heute gerne der Populärkultur zugeordnet wird, genügt ein flüchtiger Blick auf zahlreiche Astroportale und Magazine mit paranormalen Themen. Doch die verschiedenen Strömungen des nicht-hegemonialen Wissens werden häufig durch äußere Umstände, etwa den dialektischen Materialismus, in den Untergrund gedrängt, so dass sie nur innerhalb einer Subkultur funktionieren. Erst unter einigermaßen günstigen Rahmen-bedingungen können sie durch bestimmte Vermittler:innen und intermediäre Formen bzw. Medien in den Mainstream gelangen.

Mein Beitrag fokussiert auf die Rolle des Kulturmagazins Przekrój in der Verbreitung des nicht-hegemonialen Wissens in Polen zwischen 1976 und 1989. Przekrój zeichnete sich durch das Aufgreifen aktueller, auch sozialer und politischer Themen aus, und war eine der wichtigsten Kulturzeitschriften im ehemaligen Ostblock. Die Einbeziehung von esoterischen/ parapsychologischen Fragen war zunächst auf einzelne Journalist:innen und ihre Gesprächs-partner:innen zurückzuführen. Diese „okkulten Akteure“ trugen dazu bei, dass Forscher:innen paranormaler Phänomene (darunter Schriftsteller und Universitätsprofessoren), Astrologen, Anhänger der Psychotronik und des Buddhismus, Yogalehrer usw., das Wort bekamen. Anfänglich flüchtige Hinweise auf einzelne Ideen und Praktiken entwickelten sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu teilweise mehrseitigen Textserien und ebneten so den Weg für die ab 1989 einsetzende Explosion der esoterischen Literatur und Presse in Polen.

Kurzbiografie: Dr. habil. Monika Bednarczuk – Literatur- und Kulturforscherin, Polonistin, Komparatistin. Promotion zu Repräsentationen des spanischen Bürgerkriegs (1936–39) in der polnischen Literatur (Lublin, 2005). Habilitation mit einer Arbeit zu nationalistischen und konservativen Autorinnen vor 1939 (Krakau, 2015). Forschungsschwerpunkte: Literatur und politische Diskurse, Reiseliteratur, Kulturtransfer sowie Literatur und Egodokumente von Frauen. Aktuell forscht sie zu nicht-hegemonialem Wissen im kommunistischen Polen. (Mit)Herausgeberin von: Kulturtransfer in der Provinz. Wilna als Ort deutscher Kultur und Wissenschaft (1803–1832) (Wiesbaden 2020), Das historische Litauen als Perspektive für die Slavistik. Verflochtene Narrative und Identitäten (mit Marion Rutz, 2022) und Schreiben über Frauenbeziehungen. Konstellationen, Räume, Texte (mit J. Górny, erscheint im Nov. 2022). https://orcid.org/0000-0003-3490-3446

 

Climate fiction / climate faction im Spannungsfeld von Populärkultur und Naturwissenschaften
Agnieszka Jezierska-Wiśniewska (Warschau, Polen)

Naturwissenschaftliche Daten, die den anthropogenen Klimawandel erklären, sind oft unverständlich für Menschen ohne entsprechende Vorkenntnisse. Obwohl zahlreiche Wissenschaftler:innen eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen versuchen, können sie sich mit ihren Forschungsergebnissen kaum durchsetzen. Gerade hier entsteht ein Freiraum für Literatur und Kunst, die das Publikum affektiv ansprechen und ihm etwa durch Narrative komplexe Inhalte näher bringen können. In meinem Beitrag geht es um die Wechselwirkungen und Interaktionen zwischen Wissenschaft und (Populär)Kultur in Bezug auf Klimawandel.

Heiko von Tschischwitz, ein erfolgreicher Ökoenergiemanager, ist sich der Wirkungskraft von Literatur bewusst. Daher vermittelt er sein Fachwissen im Roman Die Welt kippt und fasst sein Vorhaben wie folgt zusammen: „Ich möchte [Menschen] wachrütteln und die drohende Klimakatastrophe auf eine neue, spannende Art erzählen […]. Ich glaube, es ist viel wirkungsvoller, Geschichten zu erzählen als noch ein Fachbuch zu schreiben.“ (https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/heiko-von-tschischwitz-veroeffentlicht-klima-thriller-32665286.html)

Das Genre Climate Fiction scheint für die Darstellung der ökologischen Bedrohungen geeignet zu sein, doch seine Wirkung bleibt eher bescheiden – literarische Texte werden nicht als glaubwürdige Wissensquelle betrachtet. Manche Schriftsteller:innen greifen daher auf faktuale Genres zurück: Karen Duve schreibt ein Egodokument Anständig essen (ein Selbstversuch) und ein Sachbuch: Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopaten uns um die Zukunft bringen. Auf Fiktion verzichtet auch Frank Schätzing, der eine Anleitung zum nachhaltigen Leben verfasst, und Sibylle Berg veröffentlicht neben ihren dystopischen Romanen eine Reihe von Interviews mit Fachleuten (Nerds retten die Welt). Auf der Bühne interagieren wiederum Wissen und Kunst u.a. im Recherchetheater und in denjenigen Aufführungen, wo wissenschaftliche Erkenntnisse um ethische Fragen ergänzt werden (Annie Meyer, Ich bin nicht menschlich).

Kurzbiografie: Dr. Agnieszka Jezierska-Wiśniewska – Germanistin und Polonistin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Warschau und Übersetzerin. Forschungsschwerpunkte: deutsch-polnischer Literaturtransfer, Elfriede Jelineks Prosa und Drama, böse Mütterlichkeit in der deutschen und polnischen Literatur, Dystopien in der Literatur, Männlichkeitsentwürfe. Mitherausgeberin von u.a. Jelineks Räume (mit Monika Szczepaniak und Pia Janke; Wien 2017), E. Jelinek, Moja sztuka protestu. Eseje i przemówienia [Meine Art des Protests. Essays und Reden] (mit M. Szczepaniak; Warschau 2012) und O kobietach po niemiecku [Über Liebe – auf Deutsch] (mit Bożena Chołuj, 2012). https://orcid.org/0000-0003-3218-7802

Panel 3: Was ist das ‚Populäre‘ an ‚Populären Kulturen‘?

Donnerstag, 28. September 2023, 14:00–16:00 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

Es ist nicht so, als könne man sich unter dem Begriff ‚Populäre Kultur‘ nichts vorstellen, im Gegenteil: Von Wonder Woman und Andy Borg über Sanna Marin und den VW Golf bis zum Twitter-Account Thomas Mann Daily und den Oberammergauer Passionsspielen kann so ziemlich alles darunter fallen. Wesentlich schwerer ist es hingegen zu benennen, was genau das ‚Populäre‘ an den Phänomenen bezeichnet. (Vgl. Penke, Niels/Schaffrick, Matthias: Populäre Kulturen zur Einführung, Hamburg 2018, S.10) Handelt es sich hierbei um ein qualitatives oder ein quantitatives Urteil? Sind die Phänomene selbst populär, oder ist es eigentlich viel mehr die Kultur, die diese konstruiert und unter deren Bedingungen sie entstehen? Was eine solche populäre Kultur sein könnte, darauf gab es in den vergangenen Dekaden verschiedene Antworten, (Vgl. Hecken, Thomas: Populäre Kultur, populäre Literatur und Literaturwissenschaft. Theorie als Begriffspolitik, in: Journal of Literary Theory (2/2010), S. 217–234, hier S. 219–221) mit denen oft ästhetische oder politische Projekte und vor allem Wertungen verbunden waren.

Der Sonderforschungsbereich 1472 Transformationen des Populären, dessen Wissenschaftler:innen dieses Panel gestalten, lässt Kultur in seinem Vorschlag zunächst außen vor und definiert unter Verweis auf Thomas Hecken: „Populär ist, was bei vielen Beachtung findet.“ (Döring, Jörg et al: Was bei vielen Beachtung findet: Zu den Transformationen des Populären, in: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift (2/2021), S. 1–24, hier 4. Siehe auch: Hecken, Thomas: Populäre Kultur. Mit einem Anhang ‚Girl und Popkultur‘, Bochum 2006, S. 85) Diese grundlegende Definition des Populären transportiert eine Verschiebung von qualitativen Einschätzungen (ist das jeweilige Artefakt gut oder schlecht?) hin zu quantitativen, also objektiv messbaren Betrachtungsweisen (von wie vielen wird das jeweilige Artefakt beachtet?). Qualitäts- und Originalitätsansprüche müssten dieser Begriffsbestimmung folgend nicht verhandelt werden. Popularität definiert sich allein über Beachtungserfolge, die anhand von Ratings, Rankings oder Charts ermittelt, ausgestellt und verglichen werden können.

Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven: Neben dem Populären lässt sich dann auch vom Unpopulären sprechen, das von Vielen beachtet, aber negativ bewertet, teils sogar in seiner Popularität abgelehnt wird, so z. B. aufgrund moralischer Überzeugungen oder ästhetischer Standpunkte. Was letztlich keine oder kaum messbare Resonanz findet und ohne Beachtung bleibt, kann hingegen als das Nicht-Populäre beschrieben werden. Aufgrund der Transformation von Quantitäten in Qualitäten (Bspw. durch einen „Spiegel-Bestseller“-Sticker, der eine Quantität (verkaufte Exemplare) angibt und eine Qualität zumindest suggeriert. Vgl. Werber, Niels: „Hohe“ und „populäre“ Literatur. Transformation und Disruption einer Unterscheidung, in: Jahrbuch der Schiller-Gesellschaft (2021), S. 463–479, hier S. 477) und der Verortung eines Phänomens auf einer Skala ‚populär‘/‚nicht-populär‘ statt ‚high‘/‚low‘ läuft das Nicht-Populäre Gefahr, als irrelevant abgestempelt zu werden und in der Masse der nicht beachteten Artefakte unterzugehen.

Während hohe messbare Resonanzen Artefakte legitimieren, erzeugt mangelnde Beachtung Rechtfertigungsdruck. Zugespitzt formuliert: wenn die Zahlen nicht stimmen, werden Relevanz aber auch Existenzrecht angezweifelt. Geraten Akteur:innen einer (vormals) privilegierten Hochkultur unter diese Art von Rechtfertigungsdruck, resultieren daraus Konflikte und Abwehrreaktionen.

Das Populäre ist von der Kultur also nicht zu trennen. In unserem Panel möchten wir daher konkrete Beispiele von Popularität und deren Beachtung aus unterschiedlichen kulturellen Feldern sowie Zeitepochen vorstellen und diskutieren. Im Mittelpunkt der Vorträge stehen dabei stets die Veränderungen, die Phänomene durch Popularisierungsprozesse bzw. durch ihre dadurch erreichte Popularität durchleben, ebenso wie die Frage was denn nun das eigentlich Populäre an ihnen ist?

 

Organisation

 

Sebastian Berlich (Siegen)

Anne Deckbar (Siegen)

Viktoria Ehrmann (Siegen)

Stefanie Siedek-Strunk (Siegen)

 

Moderation

 

Viviane Börner (Siegen)

 

Vorträge

 

Schattierungen des Populären in der Hochkultur. Was bedeutet es für Bernhard Schlinks Der Vorleser und Benjamin von Stuckrad Barres Soloalbum populär zu sein?
Sebastian Berlich (Siegen)

So wenig sich ein Vergleich der beiden Romane ästhetisch aufdrängen mag, teilen sich Der Vorleser und Soloalbum einige kontextuelle Merkmale: In den 1990er Jahren avancieren sie zu Bestsellern, werden häufig besprochen und zu Filmen, Schullektüren und Forschungsgegenständen transformiert. Die Romane werden von vielen beachtet, und diese Beachtung durch viele wird ausgestellt. Qualitativ unterscheidet sie sich allerdings: Während Der Vorleser (auch international) mit Preisen ausgezeichnet wird, wobei das Verhältnis zwischen Thema und Popularität diskutabel scheint, erfährt Soloalbum zu Beginn eine eher negative Rezeption, steht unter Trivialitätsverdacht und ist Popliteratur im schillerndsten Sinn. Auf- und Abwertung des Romans laufen in den folgenden Jahren über diesen Begriff. Diese Aushandlungsprozesse um ihren Status zwischen Höhenkamm- und Trivialliteratur unter Berücksichtigung ihrer (quantitativen wie qualitativen) Popularität einen beide Romane und dienen als Ausgangspunkt für die Frage des Vortrags: „Was bedeutet es für Bernhard Schlinks Der Vorleser und Benjamin von Stuckrad Barres Soloalbum, populär zu sein?“

Im Fokus steht dabei, wie die Romane von ihrer Popularität semantisiert werden, ebenso aber, wie die Romane und der sie umgebende Diskurs ihre jeweilige Popularität semantisieren, kurzum: Funktionsweisen populärer Kulturen. Dazu ist eine Reihe weiterer, kleinerer Fragen nötig: Welche Akteur:innen wirken an der Popularisierung mit? Wie wird Popularität in Wertungen übersetzt, welche Rolle spielen dabei Begriffe wie Bestseller, Pop oder Midcult? In welcher Form wurde das Urteil ‚populär‘ jeweils gefällt (Liste, Zahl, Wort)? Und: Wie wird das Verhältnis zu anderen Bestsellern ausgehandelt – und ergeben sich so verschiedene Schattierungen des Populären?

Kurzbiografie: Sebastian Berlich ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im von Thomas Hecken geleiteten Teilprojekt Pop-Ästhetiken des SFB 1472 Transformationen des Populären (Uni Siegen). Dort fragt er, wie sich der Genrebegriff ‚Popliteratur‘ um 2000 durchsetzen konnte und inwiefern ästhetische Wertungen daran beteiligt waren. Zuvor hat er in Münster und Saarbrücken Kunstgeschichte, Kulturpoetik und Kulturwissenschaften studiert, parallel unterrichtet er an der Münster School of Design (Kreatives) Schreiben. Zu seinen Forschungsinteressen zählen (u.a.) Pop-Theorie, insbesondere kulturwissenschaftliche Zugriffe auf Pop-Musik, ästhetische Fragen der Gegenwartskunst und serielles Erzählen in verschiedenen medialen Kontexten.

 

Populäre Erinnerungen? Erinnerungskulturelle Strategien und Archivierungspraktiken in Bezug auf US-amerikanische Superheld:innencomics
Anne Deckbar (Siegen)

Was ist das Populäre an Superheld:innen wie Wonder Woman oder Captain America? Sie sind zunächst (messbar) populär, sie werden von vielen beachtet. Die hier genannten Serien weisen ihre Beachtungserfolge u.a. dadurch auf, dass sie auf eine lange Seriengeschichte zurückblicken. Ihre Printerzeugnisse, die Superheld:innencomichefte, wurden seit den 1940er Jahren fast durchgehend, bis auf einige wenige Unterbrechungen, publiziert. Gerade diese Hefte wurden und werden z.T. immer noch seitens der Hochkultur, sei es durch bildungskulturelle Institutionen oder Eliten, ignoriert und abgewertet, ihnen wird ein (erinnerungskultureller) Mehrwert abgesprochen.

Dabei können aber gerade diese popkulturellen Artefakte als „mobile archive[s]“ (Begriff nach Daniel Stein: Der Comic, das Archiv und das Populäre: Zwei Erklärungsversuche. In: Felix Giesa; Anne Stemmann (Hrsg.): Comics & Archive. Berlin: Bachmann, 2021. S. 7-70, hier S. 37.) fungieren. Denn aufgrund ihrer langen Seriengeschichte, ihrem wöchentlichen Erscheinen sowie der Reflexion gegenwärtiger, politischer Ereignisse durch ihre Akteur:innen, hierzu zählen auch ihre Fans, konservieren und archivieren sie nicht nur Normen und Werte ihrer jeweiligen Zeit, sondern repräsentieren so auch Erinnerungen, sowohl im Narrativ als auch im Paratext, was sie für eine Analyse von Erinnerungskultur(en), fernab von institutionellen Medien der Hochkultur, prädestiniert.

Hierbei kommt insbesondere den oben genannten Fans eine besondere Rolle zu. Als aktive Sammler:innen der Hefte beherbergen sie eigene Archive und agieren somit als Agent:innen des Aufschubs (Begriff nach Aleida Assmann: Formen des Vergessens. Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, S. 36.) indem sie die Werke vor dem Zerfall und Vergessen schützen. Digitale, fanbetriebene Webseiten, wie z.B. Online-Archive, machen dies besonders deutlich, denn sie weisen abweichende, nahezu lückenlose Archivierungs- und Erinnerungspraktiken, fernab von etablierten Gatekeepern, dazu zählen nicht nur hochkulturelle Institutionen und Eliten, sondern auch die Verlage selbst, auf.

Im Fokus stehen hier also nicht nur Erinnerungsdiskursen innerhalb der Hefte, sondern auch der Umgang mit den Heften an sich. Welche unterschiedlichen (digitalen) Sammel-, Archivierungs- und Erinnerungspraktiken werden hier ersichtlich? Woran erinnern sich die Fans, was heben sie hervor? Werden hier, mit Blick auf die von Gatekeeper:innen geführten Archive, Lücken und Unterschiede ersichtlich? Was wird digital archiviert und was nicht? Genauer, mit Bezug auf eine der Thesen dieses Panels: Was bedeutet es für die Gegenstände, Verfahren der Popularisierung zu durchlaufen oder als ‚populär‘ bezeichnet zu werden?

Kurzbiografie: Anne Deckbar ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin von Daniel Stein im Teilprojekt A01 Serienpolitik der Popästhetik: Superhero Comics und Science-Fiction-Heftromane des Siegener SFBs 1472 Transformationen des Populären. Sie beendete ihr Masterstudium im Fach Literaturwissenschaft und Medienkultur an der Universität Siegen im Jahr 2021. Zudem war sie Forschungsstipendiatin bei Locating Media sowie Promotionsstipendiatin bei HYT Young Academy. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit seriellen Fanerzeugnissen sowie deren Archivierungspraktiken und den dazugehörigen Kanonisierungsprozessen, Aushandlungen und Bewertungen im Print und Digitalen seitens verschiedener Akteur:innen. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Kultur- und Medientheorie, Serialitäts- und Paratextforschung, Medienästhetik, Comicforschung und Fan Studies.

 

Ungelesen. Nicht-Popularität als Vorwurf.
Viktoria Ehrmann (Siegen)

„So weit ist es noch nicht mit der Kultur der Deutschen gekommen, daß sich das, was den Besten gefällt, in jedermanns Händen finden sollte“ (NA 22, S. 104), beklagt schon Friedrich Schiller in seiner Einladung zur Mitarbeit an den Horen. Der Wunsch oder die Behauptung, dass das Wahre, Gute und Erhabene einer hochkulturellen Elite bei vielen Beachtung erlangen sollte, bei gleichzeitiger Degradierung des mitunter viel Beachteten in das Feld des Niederen, Gemeinen und Vulgären, generiert noch lange keine Popularität für die eigenen Werke. Stattdessen müssen sich gerade diese Werke zunehmend mit dem Vorwurf einer mangelnden Leserschaft konfrontiert sehen und dazu Stellung beziehen. Als Aufklärer par excellence bringt Friedrich Nicolai in seinen kritischen Schriften diesen Vorwurf wiederholt zur Geltung: „Die vom Publikum so wenig bemerkten Geisteskinder“ (Nicolai 1797, S. 105) verlangen „den Beyfall der Vielen […] immer noch als eine Schuldigkeit“ (Nicolai 1797, S.108). Aufklärung, das bemerkt auch schon Nicolai, kann nur gelingen, wenn sie von vielen beachtet wird.

Definiert man das Populäre rein quantitativ als das, was bei vielen Beachtung findet (Hecken 2006), entschärft das die bislang vorherrschende Asymmetrie von high und low und die Unterscheidung populär und nicht-populär gewinnt unterdessen an Bedeutung. Während populärkulturelle Artefakte seit jeher mit den Vorwürfen minderer Qualität, Trivialität oder Effekthascherei konfrontiert wurden, verschiebt sich die Beweislast insbesondere zu Ungunsten eines hochkulturellen Feldes, das nun die mangelnde Resonanz ihrer Werke rechtfertigen muss. Den Ausgangspunkt dieses Vortrags sollen die von Nicolai erhobenen Vorwürfen einer mangelnden Leserschaft darstellen, die er an verschiedene Akteure der schriftstellerischen Elite um 1800 richtet. Dabei wird untersucht, was es für ein Werk bedeutet, als ‚nicht-populär‘ bezeichnet zu werden. Welche Wertungen begleiten den Vorwurf der Nicht-Popularität? Mit welchen Argumenten verteidigen sich nicht-populäre Phänomene? Wie wird im Umkehrschluss versucht wird, die Legitimation durch messbare Resonanz zu entwerten? Und wie transformiert die festgestellte und ausgestellte Nicht-Popularität die Artefakte und ihre Urheber:innen selbst? Zielt überhaupt jedes literarische Artefakt darauf ab, einen Erfolg in der breiten Masse zu generieren oder kann Nicht-Popularität vom Vorwurf auch zur Auszeichnung umgeformt werden?

Kurzbiografie: Viktoria Ehrmann studierte von 2015 bis 2021 Internationale kulturhistorische Studien und Neuere deutsche Literaturwissenschaft sowie Kunstgeschichte und Italianistik an der Universität Siegen. Als wissenschaftliche Hilfskraft im Bereich der Technikphilosophie unterstützte sie das Forschungsprojekt ‚poliTE – Soziale Angemessenheit für Assistenzsysteme‘ am Forschungskolleg der Universität Siegen. Seit 2021 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin (NdL) im SFB 1472 ‚Transformationen des Populären‘ und Doktorandin im Teilprojekt C03 ‚Das „Populäre der Anderen“ – Vulgarität zwischen Normativität und Zuschreibung‘. Ihre Dissertation konzentriert sich auf die Konfliktkommunikation im Umfeld unerwünschter oder gar als skandalös wahrgenommener Popularität in den Jahrzehnten um 1800.

 

Gefährliche Apokalyptiken. Populäre religiöse Weltuntergangszenarien als Herausforderung für Eliten und etablierte Ordnungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Dr. Stefanie Siedek-Strunk (Siegen)

Ein Blick in die Bestsellerlisten, Tageszeitungen und auf die Veröffentlichungen der Streamingdienste offenbart, dass die Lust an Weltuntergangsszenarien jeder Art, angefangen von der gegenwärtig wieder begründet scheinenden Sorge vor einem Atomkrieg, bis hin zur wohlig gruselnden – weil sicher nicht eintretenden – Zombieapokalypse, ungebrochen ist. Apokalyptiken, also Szenarien, die sich in irgendeiner Form mit dem Weltende beschäftigen, sind aber kein modernes Phänomen, sondern begleiten die Menschheit bereits seit über zwei Jahrtausenden.

Der auf aktuellen Forschungen zu den Transformationen populartheologischer Wissensdiskurse beruhende Vortrag zeigt die Popularität der zum Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder aufkommenden Endzeiterwartungen unter religiösen Gruppierungen in Deutschland und in der Schweiz. Angeführt, gestaltet und getragen wurden diese Bewegungen nicht nur von Pfarrern, auch charismatischen Lai:innen gelang es immer wieder, Menschen davon zu überzeugen, dass die Endzeit unmittelbar bevorstehe. Weltpolitische Ereignisse, wie z. B. die Napoleonischen Kriege wurden entsprechend gedeutet, aber auch Naturereignisse wie Wirbelstürme oder Flutkatastrophen wurden als Zeichen für die baldige Ankunft des Antichristen und den dann einsetzenden Kampf zwischen Licht und Finsternis um die Welt interpretiert.

Auftreten, Denken und Agieren dieser auf das baldige Weltende fokussierten religiösen Gruppen waren teils derart radikal, dass sie als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Moral angesehen wurden. Besonders theologische und politische Eliten blickten kritisch auf die innerhalb der Gruppierungen kolportierten, bestenfalls marginal mit der kirchlichen Lehre übereinstimmenden Apokalyptiken, da diese die etablierten Deutungshoheiten infrage stellten. Als Folge kam es oftmals zu harten Repressionen gegenüber dem sich hier entgrenzenden Populären.

Der Vortrag zeigt anhand von Fallbeispielen aus dem 19. Jahrhundert die Transformation der Offenbarung des Johannes zum populären Endzeitszenario und beleuchtet die damit einhergehenden Herausforderungen, sowohl für die Anhänger:innen als auch für die etablierten Eliten.

Kurzbiografie: Dr. Stefanie Siedek-Strunk: Geboren 1969 in Siegen. Abschluss der Realschule im Sommer 1986, gefolgt von einer Ausbildung zur Bürokauffrau, woraus verschiedene Beschäftigungen in der Siegerländer Metallindustrie resultierten. 2006 Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und Aufnahme des Geschichtsstudiums an der Universität Siegen mit zunehmender Fokussierung auf die Kirchengeschichte. Nach dem Abschluss des Masterstudiums wissenschaftliche Mitarbeiterin zunächst am Seminar der Evangelischen Theologie und später am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Siegen. 2019 Promotion zum Thema der Seelsorge an den Evangelischen Gefangenen in der Sowjetischen Besatzungszone und in den frühen Jahren der DDR. Seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 1472 „Transformationen des Populären“ der Universität Siegen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Transformationen populartheologischer Laiendiskurse im 19. Jahrhundert, Prozesse theologischer Selbstermündigung in Siegerland und Wittgenstein sowie die Montangeschichte des Siegerlandes.

Panel 4: Popular Culture Studies in Eastern Europe

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30 – 18:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

The study of popular culture has now spread worldwide as both an academic discipline and a general intellectual approach. However, a historical analysis reveals the very diverse trajectories of this field of study outside the English-speaking world. Our panel aims to discuss the different traditions of approaching the topic focusing on the great social transformations of the former “second world,” i.e. the post-socialist Eastern Europe.

 

Organisation

 

Karel Šima (Prag)

 

Vorträge

 

(Un)popularity of Second-Hand Shops with Clothing in (Post-)socialist Slovenia
Mateja Habinc (Ljubljana)

Contemporary consumerist societies are often seen as an opposition to socialist ones. Economies of shortages and tacit knowledges of outsmarting the system supposedly prevailed during socialism while post-socialism introduced previously unknown practices and cultures. Among them ecologically promoted second-hand retail is often also perceived as one of the signs of a (post-socialist) modernisation, which contributes to distancing from the (socialist) past, when re-use supposedly was only a sign of poverty and something to be ashamed of. In the presentation historically various types of second-hand retail with clothing, known in pre-socialist, socialist and post-socialist Slovenia will therefore be a starting point from which transformations of this type of retail will be illustrated: how second-hand retail with clothing changed from an alternative to massive type of retail and then how again it became an alternative and lately supposedly a popular consumption practice. In the recent decade such retail namely gained huge social and media approval which nevertheless doesn’t answer the question if it really is not only a part of a globally recognised popular culture but also a part of a popular culture of contemporary Slovenia. This will be considered acknowledging notions of popular culture, known in Slovene ethnology and cultural anthropology. Already in the 60’s of the previous century a Slovene ethnologist Slavko Kremenšek equated mass and popular culture while decades later, his younger colleague Rajko Muršič divided popular from the mass culture, since the first supposedly transcend all class and other divisions and therefore exists as a specific aspect of culture. Does the phenomenon of second-hand retail with clothing as a part of a broader contemporary reuse trend really transcend class and other divisions? In addressing the topic of its popularity, the duality between the (economic) necessity of second-hand retail and its representation as an alternative, an (ecologically aware) choice will be emphasized. Last but not least the question of such retail’s consumers in local settings will therefore also be brought to the foreground when popularity of a phenomenon is observed.

Kurzbiografie: Mateja Habinc is an associated professor of ethnology and cultural anthropology, employed at the Faculty of Arts, University of Ljubljana. Researching various aspects of material and social culture after 1945 (memory objects, heritagisation, holidays and work, second hand retail with clothing) she is a specialist in the field of the ethnology of Slovenia.

 

The Glory and the Fall of Czech Culturology from “Osvěta” to Academic Disappearance
Karel Šima (Prag)

In my paper I will cover the peculiar story of Czech studies on popular culture (culturology) that is full of ups and downs and has its unfortunate end in 2013 when the only university department of kulturologie was closed. I will trace this conceptual framework back to a notion of “osvěta” in the first half 20th century that represented a specific amalgam of enlightened idea of humanistic cultural education of popular masses and nationalist discourse of nation-formation. This disciplinary discourse underwent fundamental reformulation in the 1960s when the study of culture labelled “kulturologie” was established in dialog with Western cultural sociology and adult education both as basic and applied research area and a university programme. During 1970s and 1980s the area was rearranged according to the Soviet style of “kulturologia” and labelled “the study of theory and history of culture” by a leading figure of “consolidation” of Czech humanities and social sciences after the Prague Spring 1968, the then minister of culture M. Brůžek. With an official research institute on culture and a university department in Prague this discipline served as a very much politically driven vehicle of both scientific and applied knowledge on “socialist culture” and its role in building the socialist society. After the fall of communist regime in 1989 the university department retained its position in the discipline called again “kulturologie” with academics trying to establish new intellectual framework informed by Western social and cultural anthropology but keeping the applied character of “studies on local culture”. However, this holistic and rather eclectic approach with little resemblance to Western cultural studies started to lose its ground during 2000s when it was confronted with international academic standards and the push towards internationalisation of Czech humanities. Finally, the department was closed in 2013 due to low academic performance and unsatisfactory quality of teaching.

Kurzbiografie: Karel Šima studied history and anthropology at Charles University. He has done research in cultural history and cultural studies and higher education studies. His research interests comprise a wide range of themes from public festivities and rituals, subcultures, and DIY activism to research evaluation and higher education policy.

 

Teaching popular culture in a postsocialist country: fighting off the (perceived) high culture
Marina Simić und Miloš Ničić (Belgrad)

This paper provides a follow-up on the article Simić wrote in 2018 entitled “Teaching postsocialism in a postsocialist country: everyday as a source of a political” in which she discussed the characteristics of a postgraduate course designed to offer an understanding of different and often contradictory ways in which dramatic changes in Eastern Europe from 1989 onwards have been played out in everyday life of people who live in these regions. In this paper we wish to go a step further and provide an account of teaching popular culture as part of a core bachelor (Cultural Theory) and master (Cultural Studies) degree courses at the Faculty of Political Science, University of Belgrade. The courses are designed to offer critical understanding of culture from the standpoint of Culture Studies. The main challenge in teaching these courses was to encourage students to “take popular culture seriously” and critically think about politics involved in various approaches to popular culture. We came to realize that although the students do not completely frown upon the idea that popular culture is relevant and worthy of academic analysis, they mostly accept simplified interpretation of Adorno’s work on cultural industries as the only meaningful framework of analyzing popular culture. In this sense, most students perceive culture worth of attention as academic art, as Adorno would put it, not even as high modernist (or postmodernist) art and surely not as popular culture. This indicates the perilous position of popular culture in Serbian academic settings, which might be related to Serbian postsocialist condition and long term discursive battels over popular culture that dominated Serbian cultural scene from the 1990s onwards.

Kurzbiografien:

Marina Simić is a Full Professor of Cultural Theory and Cultural Studies at the Faculty of Political Science, University of Belgrade. She is the head of the MA and PhD programs in Cultural Studies and the Director of the Center for Cultural Studies at the Faculty of Political Science.

Miloš Ničić is a Research Associate at the Faculty of Political Science, University of Belgrade. He is particularly interested in topics related to tourism and heritage, memory culture, creative industries and postsocialist transformation.

 

Still a marginal practice? Popular music studies in the post-Soviet space.
Ekaterina Ganskaya (Turin, Italien)

Over the past 40 years in Europe and the United States, popular music studies have evolved from a practice ironically described as “high foreheads from the four corners of the earth (Sid and Doris Bonkers) […] who discuss such vitally important issues as “God, Morality, and Meaning in the Recent Songs of Bob Dylan” (New Musical Express, 20 June 1981, p. 63) into an institutionalised, recognised scientific field, which does not require any evidence of its academic legitimacy. Meanwhile, the study of popular music in post-Soviet countries remains somewhat a marginal practice.

This state of play remains primarily due to the peculiarities of the development of the local music market (which was absent in the USSR and was rebuilt by each of the 15 countries only after 1991) and the legacy of the Soviet ideology, which strictly divided all the fields of art into widespread/popular (therefore unworthy) and serious, “filled with high meaning,” and worth studying.

Researchers reproducing (post-)Soviet habitus and dispositions are still making reservations that they do not work with “popular” (low) art but with “rock poetry” or “rock literature studies.” A publication on popular music studies in a scientific journal is still seen as something out of the ordinary rather than widespread. The number of dissertations on popular music—whether on Soviet underground rock or British heavy metal—accepted for defence can be counted on the fingers.

In my paper, I aim to analyse the historical genesis of the development of popular music studies in post-Soviet countries (using the Russian one as a case study). I intend to shed light on the key problems of popular music studies in the post-Soviet region related to the specifics of understanding popular culture in these countries. Furthermore, I wish to examine the seek for legitimacy and attempts to find relevant methods undertaken by contemporary researchers.

Kurzbiografie: Ekaterina Ganskaya is a second-year doctoral student at the University of Turin (Italy). Currently, she is developing a research project on diverse critical discourses surrounding peripheral—Soviet and Italian­—music markets.

Panel 5: Wittgenstein and Popular Culture

Freitag, 29. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Organisation

 

Bernhard Stricker (Dresden)

Martin Urschel (Mainz)

 

Vorträge

 

Ludwig Wittgenstein and the Photography of Everyday Life
Alexander Berg (Zürich)

Running parallel to the philosophical development of Wittgenstein’s philosophy, from the initial project of a purified language of logical atomism to language of the everyday, there is also a development in Wittgenstein’s understanding of art: it started in Viennese high culture of art and led to the popular art of the everyday, its production and experience. This development in Wittgenstein’s thinking can be traced in Wittgenstein’s own experiments with the medium of photography, in which we can identify and examine the essential moments of transformation. The connection of Wittgenstein’s early intellectual experiences in G. E. Moore’s lectures at Cambridge University are as crucial a step in this development as his existential experiences in the First World War.

Especially, Wittgenstein originally developed his pictorial thinking from his reading of Heinrich Hertz’s The Principles of Mechanics Presented in a New Form (Leipzig 1894), which also became the initial starting point for the approach of the Tractatus logico-philosophicus. This pictorial thinking evolved further through the various stages of Wittgenstein’s ‘late philosophy’, and finally had a significant influence on the structure of Wittgenstein’s late magnum opus, the Philosophical Investigations. Meanwhile, everyday photography became popular.

Important moments of this parallel development and fruitful confrontation are, on the side of the pictorial thinking: Wittgenstein’s early engineering experiences with his own technical drawings and their ability to depict reality in a model-like way. He conducted lifelong photo-philosophical experiments that culminated in the so-called “album structure” of his late philosophical work. A particular existential asceticism underpinned his experiments, which originated from Wittgenstein’s confrontation with psychology, just as psychology was in the process of developing its methods as a new science. For instance, Wittgenstein read and commented on the writings of William James.

The philosophical and the photographic development can now be examined in parallel and in detail, because a series of previously unpublished photographic works of Wittgenstein have been made accessible to the philosophical community in the Viennese exposition Ludwig Wittgenstein – Philosophy as analytical Practice and some other new publications.

Kurzbiografie: Alexander Berg is a currently Feodor Lynen Research Fellow of the Alexander von Humboldt foundation in the German Department at the University of Zurich. He has studied philosophy, art history and psychology in Dresden, Paris and Florence. He has published extensively on Wittgenstein and related topics. His research on Wittgenstein and German idealism is best exemplified by his dissertation Wittgensteins Hegel (2021, Wilhelm Fink, Paderborn). His current research project is dedicated to the literary form of philosophical masterpieces.

 

Popular culture as Aspect-Change: Wittgenstein on Detective Stories and Norbert Davis’ Novel The Mouse in the Mountain (1943)
Sara Fortuna (Rom)

My contribution aims at proposing, in the first part, a Wittgensteinian view on popular culture as aspect-change whose philosophical relevance according to him was particularly clear in the case of the beloved detective stories. After highlighting the general feature of popular culture as inversion of the ‘normal’ hierarchical structure within the society (typical for instance of the Carnivalesque rituals of role inversion) and connecting it with Wittgenstein’s reflection about seeing as and aspect change the paper will present, in the second part, Wittgenstein’s enthusiastic evaluation of the American detective novels usually known as hard boiled stories and his idea that this popular genre was an essential nurture for his philosophical activity. Finally, the third and last part of the article will be focused on Norbert Davis’ The mouse in the mountain, a detective story Wittgenstein appreciated so much he tried to contact his author to express to him his gratitude. Arguing—as I have already done in a recent contribution—that Norbert Davis is part of that autobiographical group portrait Wittgenstein sketched in the Philosophical Investigations via explicit and implicit references to—among others—Nestroy, Saint Augustine, Weininger, Tolstoy I will present a dialogue between Davis’s novel and Wittgenstein’s last philosophical work, not only the Investigations but also the remarks on philosophy of psychology. I will propose the hypothesis that Wittgenstein’s and Davis’ works share a radical deconstructive intention expressed at a linguistic and textual level in a broad and manyfold declination of irony.

Kurzbiografie: Sara Fortuna studied philosophy, linguistics, semiotics, and history of linguistic ideas in Rome, Palermo, Cosenza, and Berlin. She taught philosophy of language at Sapienza Università di Roma from 2002 to 2006 and is now associate professor at the Università degli Studi Guglielmo Marconi in Rome. She was research fellow of the Alexander von Humboldt Foundation at the Freie Universität Berlin in 2007/08 and at the Humboldt Universität zu Berlin in the Collegium for the Advanced Study of Picture Act and Embodiment in Summer 2015.

Panel 6: Kick-off-Treffen „Kultur – Therapie – Heilung aus intertraditionaler Sicht“ (Intertraditionale Wissenskonstitution)

Freitag, 29. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

Inhalt und Ziele

 

Wir wollen alle kulturwissenschaftlich Forschenden versammeln, die daran interessiert sind, eine gesellschaftliche Praxis des Heilens zu etablieren, die auf kulturwissensdchaftlichen Theorien und Konzepten aufbaut. Die kulturwissenschaftliche Sicht soll es auch ermöglichen, intertraditional vorzugehen. Diese neue Praxis des Heilens soll nach und nach so etabliert werden, dass sie gleichberechtigt neben den bestehenden medizinischen und psychotherapeutischen Verfahren anerkannt wird und einen eigenen Platz und eine eigene Wertigkeit unabhängig von Psychotherapie und Medizin einnehmen kann. Es ist im weitesten Sinn Kulturtherapie.

Dieses Anliegen wirft eine Reihe grundlegender Fragen auf, die wir uns stellen und die wir diskutieren wollen:

  • Brauchen wir eine Theorie der Persönlichkeit? Wenn ja, wie sollte sie aussehen? Können wir von einem dissoziativen, vielstimmigen Selbst ausgehen? (Bakhtin, Deleuze/Guattari )
  • Wie sind Subjekt und Diskurs verknüpft und welche Auswirkungen hat dies auf Krankheit/Störung/Leid? Inwiefern sind Begriffe wie Leid oder Krankheit bereits Ausdruck normativer, diskursiver Setzungen?
  • Welche Konsquenzen hat dies für eine kulturwissenschaftlich fundierte Praxis des Heilens?
  • Wie betrachten die Kulturwissenschaften die Interaktion von Klient*in und Therapeut*in?
  • Inwiefern könnten kulturelle Ressourcen zur Heilung / Resilienz mobilisiert werden? Welche Verbindungen entstehen dadurch zu den Künsten und bereits bestehenden Therapien (z.B. Kunsttherapie, Musiktherapie, Schreibtherapie, Psychodrama)?
  • Welche Möglichkeiten ergeben sich unter posthumanistischer Perspektive und und einem erweitereten Akteurbegriff (tiergestützte Therapie, Landschaften und ökologische Systeme als Resonanzräume, Plant Studies)?
  • Intertraditionale Perspektive: Wie lassen sich kulturwissenschaftliche Fragen und Theorieansätze mit anderen, nicht-wissenschaftlichen Wissentraditionen des Heilens produktiv zusammenbringen? Welche methodologischen Fragen tauchen dadurch auf (etwa am Beispiel westlicher Schamanismusadaptionen Fragen nach Selbstermächtigung, kultureller Aneignung oder Tausch)?

Das Ziel der Veranstaltung ist es herauszufinden, welche Chancen sich ergeben, wenn wir gemeinsam eine solche gesellschaftliche Praxis in den nächsten Jahren entwickeln würden.

Es handelt sich um ein offenes Treffen ohne vorherige Anmeldung, Interessierte können sich aber gerne vorab beim Sprecher der Ad-hoc-Gruppe Intertraditionale Wissenskonstitution mit Fragen, Kommentaren, Ideen oder Vorschlägen melden (Wolf-Andreas Liebert, Universität Koblenz: liebert@uni-koblenz.de )

 

Organisation

 

Die Ad-hoc-Gruppe intertraditionale Wissenskonstitution schließt an den Begriff der Wissenstradition an, wie er von Paul Feyerabend eingeführt wurde. Demnach sind die Wissenschaften eine Wissenstradition unter vielen. Sie weisen zwar eine Reihe von Besonderheiten auf, formulieren ihre Wahrheiten aber letztlich immer auf der Basis unhinterfragter, kulturspezifischer Annahmen. Der Begriff der Intertraditionalität ersetzt dabei den Begriff der Interdisziplinarität, um auf diese Weise auch wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Wissenstraditionen in einen produktiven Forschungszusammenhang bringen zu können.

Das Forschungsnetzwerk Kritische Methodologie“ versteht sich als kritisches Instrument der KWG. (Selbst)reflexiv untersucht werden die methodischen Grundlagen der KWG-Arbeit in den Sektionen, Workshops und Forschungsnetzwerken, wie sie im Selbstverständnis der ForscherInnen vorgestellt, wie sie begründet oder aus der methodologischen Literatur hergeleitet und – im Verhältnis dazu – wie sie tatsächlich angewandt werden (Methodentransparenz). In einer pluralistisch ausgerichteten Wissenschaft werden Forschungsarbeiten durch methodische Paradigmen, Matrizen und Ideale strukturiert oder auch dekonstruiert: Gibt es eine kulturwissenschaftliche Gemeinsamkeit in der Methodik oder transferieren die WissenschaftlerInnen ihre Methoden aus ihren Herkunftswissenschaften? Lassen sich Indikatoren dafür ausmachen, wer welchen Gegenstand in welcher Hinsicht markiert und erforscht?

Panel 7: Workshop zu Adornos Thesen über populäre Musik — Relektüren

Samstag, 30. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Eine dezidierte ästhetische und gesellschaftstheoretische Kritik erfuhr die amerikanische populäre Musik der 1930er Jahre durch Theodor W. Adorno in seinem Aufsatz „On Popular Music“. Im amerikanischen Exil arbeitete Adorno in dem in der Soziologie angesiedelten Princeton Radio Research Project zum Verhalten von Radiohörer*innen mit. Seine daraus hervorgegangenen Untersuchungen und Überlegungen resultierten in dem 1941 erschienenen Aufsatz. Hinter der breiten und kontroversen Rezeption von Adornos Texten zur klassischen Musik und zum Jazz jedoch blieb die Diskussion dieses Artikels zurück. Das mag mit der über lange Zeit nicht einfachen editorischen Situation zu tun haben. Gründe dafür finden sich aber auch in dem Text selbst – angefangen mit seinem Gegenstand: Was folgt aus der äußerst kritischen Auseinandersetzung mit der amerikanischen populären Musik der 1930er Jahre? Allerdings enthält der Text zudem sowohl genaue ästhetische Analysen, die teilweise schon auf Adornos Ästhetische Theorie vorausweisen, als auch tiefgreifende gesellschafts-theoretische wie psychologische Betrachtungen.

Ausgangspunkt des Workshops bilden Fragen, die durch den Gegenstand des Textes und den historischen Zeitpunkt seiner Erarbeitung aufgeworfen werden, sowie die Thesen Adornos, die es zu diskutieren gilt. Obschon klar ist, dass Adorno nicht lediglich eine Verteufelung der populären Musik vornahm – denn die an der populären Musik deutlich zu erkennenden ästhetischen und ideologischen Probleme dürften schließlich auch ihm zufolge die sogenannte „ernste“ klassische Musik betreffen, die ja gleichfalls vermarktet werden muss(te) –, stellt sich die schwierige Aufgabe, herauszufinden, was produktiv für die populäre Musik aus diesem Text entnommen werden kann.

Folgende Themenfelder und Fragen werden uns u.a. beschäftigen:

 

  1. Ästhetische Analyse
    1. Trifft Adornos Analyse auf die damalige populäre Musik zu? Wie verhalten sich seine Ergebnisse zur weiteren Entwicklung der populären Musik im 20. und 21. Jahrhundert? Lassen sich die von ihm erarbeiteten Kriterien ins Heute übertragen bzw. wie müssten sie modifiziert werden?
    2. Verfehlt Adorno das Genuine der „populären“ bzw. „leichten“ Musik, indem er sie an der „ernsten“ Musik misst? Was geht aus diesem Vergleich hervor? Inwiefern lässt sich diese Unterscheidung weitergehend produktiv machen?
  2. Soziologische/psychologische Analyse
    1. Wird an der populären Musik als gesellschaftstheoretischer Gegenstand Ideologisches besonders deutlich, was letztlich aber die gesamte Musik oder gar Kunst betreffen könnte?
  3.  Hören
    1. Welche Auswirkungen auf das Hören hat die populäre Musik? Inwiefern ist eine Psychologie des Hörens angelegt?
    2. Welche Rolle spielen die Medien Schallplatte und Radioübertragung für Adornos Analysen, und inwiefern lassen sie sich ins Heute weiterdenken?

 

An der Diskussion teilnehmen werden bislang die Expert*innen der Adorno-Forschung Prof. Dr. Maxi Berger (Hochschule Wismar), Prof. Dr. Dirk Stederoth (Universität Kassel), Dr. Frank Müller (Centre Marc Bloch), Thassilo Polcik (Universität Wuppertal) und Simon Helling (Universität Wuppertal). Über weitere Mitdiskutierende würden wir uns sehr freuen.

Wir bitten die am Workshop Interessierten, sich rechtzeitig bei Britta Lange oder Carolyn Iselt anzumelden für die Zusendung des (ins Deutsche übersetzten) Textes, dessen Lektüre vorausgesetzt wird. Ein Thesenpapier werden wir als Grundlage für die Diskussion bereitstellen, aber wir freuen uns über die Fragen und Diskussionspunkte der Teilnehmenden.

Anmeldung: langebri@hu-berlin.de, carolyn.iselt@bbaw.de

 

Organisation

 

Britta Lange (Berlin)

Carolyn Iselt (Berlin)

Panel 8–13: Medien des Populären

Panel 8: Popular and Alternative Music of Postsocialist Europe

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00 – 18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

Main aim of this panel is to explore the interference of social dimension into meanings related to different practices of popular music, including its dissemination, institutional frameworks of production, relevant expert knowledge and localities of its consumption. This interdisciplinary panel will investigate different meanings, consumption and reception of popular music in an attempt to capture the gradual diversification of cultural practices in the postoscialist societies.

 

Organisation

 

Daniel Ondřej (Prag)

 

Vorträge

 

(Post)Yugoslavian Music Press in Transition: An Anthropological Perspective
Marija Ajduk, Ljubica Milosavljević, Ana Banić Grubišić (Belgrad)

The development of the Internet and digital technologies has influenced the ever-greater migrations of printed content to the digital sphere (blogs, online media, Internet portals, social networks), which has also brought with itself changes in readers’ habits and in the concept and format of texts as wells. Music press is no exception in that respect. In the context of South European states, these processes coincide with the period of political, social, cultural and economic transition, which has resulted in the development of numerous regional and local specific forms of popular culture. The existence of the SFRY as a shared state enabled the creation of an authentic cultural space which continued to develop even after its disintegration. This paper endeavors to shed light on one segment of that local authenticity through an analysis of music press. The aim the authors of this paper aspire to achieve is the presentation of the development path of the printed media in the first place in the Socialist Federal Republic of Yugoslavia, then in Serbia, as well as the reconstructions of the modality of the transformation of this media in the transition period from an anthropological perspective. The wish is to identify the perception and significance of music as a local cultural phenomenon through the qualitative analysis of the archival material and the available Internet material as well, then to trace the cultural changes that have been going on over time as a result of global and local social and cultural turmoil, too. We do not refer to press only as the medium which has an informative role, but rather as the medium that reflects the local community’s attitudes, simultaneously also constructing narratives on popular culture that are incorporated in our everyday life.

Kurzbiografien:

Marija Ajduk is an Associate Professor and a Senior Research Associate at a Faculty of Philosophy, Department of Ethnology and Anthropology in Belgrade, Serbia. Marija holds a Ph.D. in anthropology of music. She is the author of three monographies and many articles published in proceedings and journals.

Ljubica Milosavljević, PhD, is an associate professor at the Department of Ethnology and Anthropology of the Faculty of Philosophy of the University of Belgrade. She has authored a larger number of original scientific papers in the field of popular culture, mainly in the fields of music, film, TV Series and advertising.

Ana Banić Grubišić, Ph.D. is an assistant professor and research associate at the Department of Ethnology and Anthropology, Faculty of Philosophy University of Belgrade. She taught anthropology of popular culture, folklore, and anthropology of media. She is the author of several papers and two books on popular culture.

 

“We, who are not as others”: Studying Music, Youth and Class in Czech Postsocialism
Daniel Ondřej (Prag)

The period from the last third of the 1980s to the last third of the 1990s represented a context of multiple changes in Czech culture. In addition to fundamental redefinitions of the concept of the nation and other key social categories, which had far-reaching political and social implications, there was a deepening integration into the global sphere at the economic and cultural level. In the context of the advent of the internet, this period also marked the swan song of the cultural industry as it had been established since the late 19th century, which was evident far beyond the music scenes under consideration. In this sense, it was a period that laid the foundations not only for a long-term cultural system, but also for a social and later political and economic system. In terms of the class formation defined by positions at the intersections of different types of capital and beyond the processes of economic and cultural capital accumulation, the key role of social capital built through mutual exchange and interaction within music scenes should be further elaborated. This could build upon the networking for sharing music recordings, communal attendance of music events, and the organization of music festivals as practices requiring the deepest and most coordinated efforts. At the same time, however, the dramatic transformation of the class experience in the period under consideration needs to be underlined again. As the autobiographical book by philosopher and historian Didier Eribon shows, class position could also change significantly during a person’s lifetime, generating new discursive conflicts. Some of the music scenes studied explicitly thematised references to working-class culture, whether in a positive sense as skinheads, in a more negative sense as new wave, or aestheticized as industrial. A specific position was also granted to the culture of marginal parts of society in the Czechoslovak underground and partly in punk. There were nevertheless only few references to the dominantly favoured category of the “middle class” in the materials studied. However, the scenes based on rock, alternative and dance music were constructed in a significant way through the dominance of the middle class and under the middle-class gaze.

Kurzbiografie: Ondřej Daniel earned his PhD in history with a specialization on post-socialism, nationalism, migration, and popular culture. He is working as a historian in the Seminar on General and Comparative History within the Department of Global History at Charles University’s Faculty of Arts. His work covers different aspects of reception of Czech and post-Yugoslav popular music. His current work examines intersections of youth, social class and popular music in the contemporary Czech history. ondrej.daniel@ff.cuni.cz

 

Studying popular culture during the wars in Croatia and Bosnia- Herzegovina in the period from 1990 to 1995
Petra Hamer (Graz)

This paper explores how political, social, economic and cultural transformations in Croatia and Bosnia-Herzegovina shaped the study of popular culture from 1990 to 1995, when both countries not just gained their independence but were involved in an armed conflict.

Before that event, both countries were part of the socialist Yugoslavia, where popular culture and popular music presented the cultural common ground in order to minimise national differences. Scholars studied Yugoslav popular music in relation to the Anglo- American popular music and official communist politics, looking for differences and similarities. With the dissolution of Yugoslavia in 1990, the role of popular culture and music changed drastically. Either the most popular Yugoslav bands have ceased to exist, or they turned to promotion of their new independent nation states. In Croatia, the Institute of Ethnology and Folklore Research from Zagreb contributed to the research of popular culture during the Homeland war in Croatia, offering a wide range of articles, testimonies, video and audio material for further research. In Bosnia-Herzegovina, this was not the case. Due to large-scale military conflict, the siege of Sarajevo and other cities, conducting research was practically impossible. Even though, faculties and research institutes continue with their work during the war, they faced staff shortages and a lack of basic supplies for normal work. Despite that, popular culture bloomed in every B-H city and it now facing the oblivion.

This paper thus, wants to present a comparative approach focusing on two case studies in a limited timeframe. It will show positive and negative sides of war-production of popular culture, elaborate similarities and differences between the production and possible ways of its research.

Kurzbiografie: Petra Hamer (1988) is a Slovenian ethnologist and cultural anthropologist. She holds a PhD from the University of Graz and researches popular music and culture during the war in Croatia and Bosnia-Herzegovina (1992-1995), with a special focus on artistic units of B-H army and the question of national identity construction.

 

Between Academic Oblivion and Public Sparks of Interests: Popular Music Studies in Post-Communist Romania
Claudiu Oancea (Bukarest)

As part of the larger realm of popular culture, popular music has been a topic of interest in Romania since its socialists times. 1970s sociologists paid particular attention to how the young socialist generation responded to the emerging global culture of pop music, based on official and informal transnational networks. Whereas the 1980s saw a decrease in official interest, for ideological reasons, 1989 marked a moment of both rupture and continuity, when it came to the study of popular music in Romania. The fall of the communist regime left behind the ideological restraints which had kept scholars at bay from approaching popular music and its impact upon Romanian society. Notwithstanding this aspect, popular music studies received marginal attention. Until the 2010s, this interest has been largely limited to mass media studies and, occasionally to several sociological articles. Similarly, outside academia, popular music has seldom been a topic of interest. Certain genres, such as rock music, or jazz, have been approached as examples of an elitist stance toward a “Balkanized” society, which had failed to synchronize itself with an idealized European model. Other genres, such as ethno-pop were simply ignored, or presented as poignant examples of the uneducated, “Orientalized” underclass.

The 2010s saw an increase not only in academic interest for the topic of pop music in Romania, but also outside academia, through private curatorial and research projects. Whether as part of the global phenomenon of retromania, or in the nostalgic pursue of the lost cultural heritage, popular music has become a relevant topic of societal debate.

This paper aims to construe these changes and to address the manners in which debates over popular music in post-communist Romania reflect larger topics of cultural and political interest, such as populism, national identity and European integration, or consuming popular music in a global society.

Kurzbiografie: Claudiu Oancea is currently a postdoctoral researcher and project director at New Europe College Institute for Advanced Study in Bucharest, Romania, working on a project entitled: “Rocking under the Hammer and the Sickle: Popular Music in Socialist Romania between Ideology and Entertainment (1948–1989).” His research interests focus on popular culture, history of state socialism, oral history, and music history.

Panel 9: Colonial Popular Culture in Illustrated Periodicals

Donnerstag, 28. September 2023, 14:00–16:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

This panel will investigate the interplay between colonial popular culture and illustrated periodicals. Focusing on colonial India, the panellists will enquire into the affordances that periodical print media presented to readers both in the Global North and Global South. Specific emphasis will be laid on the role of urban entertainment such as exhibitions and travelling theatre and its mediation in the contemporary press. In the Global North, fairs, freak shows, circuses, stage magic and the like turned out to be prominent markers of colonial difference, constructing the image of a mystical yet backward India to European spectators. In India, too, urban entertainment was a key feature of the colonial era, some of which were exclusively available for an English audience in India, creating a complex nexus of power and exoticism. This panel will focus on this duality: the exotic India of the Global North and the romanticised West (primarily London) in colonial India. We take reportage and reviews in contemporary periodicals to locate urban entertainments within the public discourse and initiate conversations around gender, race, caste, class, ethnicity and internal colonisation.

Illustrated periodicals frequently advertised and reported on these events, both in the Global North and Global South. The panel will enquire into the ways by which periodicals created affordances that allowed readers to partake in colonial entertainment. It will also look at how the emerging colonial public sphere was actively shaped by these events. It will examine the key characteristics of periodicals—seriality and miscellaneity—in relation to popular events and ask how the serialization and miscellaneous display of popular culture altered the colonial experience proper. Periodicals not only provided vivid reports and images, but also offered maps, tour guides, advertisements and other media, facilitating the navigation of colonial popular culture virtually or on-site. The panel’s discussion and comparison of colonial popular culture will offer new insights, since it not only includes the perspectives of the European public but also the ways Indian readers looked at white Britisheres.

 

Organisation

 

Shromona Das (Berlin)

Stephan Strunz (Dresden)

 

Vorträge

 

Proscenium and its Others: The Many Functions of English Theatre in Colonial Kolkata
Shromona Das (Berlin)

“The whole front of the Theatre was completely illuminated…the boxes and gallery were overhung with splendid canopies of silk in the form of tents, …The banners represented the colours of every regiment that was at the siege, and beneath them were reversed the flags of Tippoo Sultan (Carey, 1884:77).“ This is how the victory of the British arms over Seringapatam (6th February, 1792) was played out at the Calcutta Theatre in 1793.

This paper is about the institution of the colonial English theatre in Bengal (18th-mid 19th century). The paper looks at the many roles that the European theatre performed: not just as a proscenium, but also as a site of power. I focus on contemporary reporting and publications to trace and reconstruct „other“ functions of the English theatre. The English theatres in Kolkata, in their inception, were strictly for the colonisers. The banning of natives (except for the gentry, eventually) was a display of power and hierarchy and was also a method of coping with the European anxiety of contamination. It was a site of power, studded with Oriental tokens of victory, a sense of nostalgia and homesickness and reinvented familiarity. I trace narratives of colonial Bengali theatre houses (18th-mid 19th century), such as the one in 1793, where the site of the theatre performs these other rolls, including as an exhibition-ground for colonisation. It also, on other occasions, functioned as a site of recreation of a London event to create a sense of familiarity and yet was plagued by the distortions and discomforts the colony interjected. This paper looks at this discomfort, the tension between the site of the theatre as a site of power, and its immense anxiety towards the space of the colony in which it is housed.

Kurzbiografie: Shromona Das is a researcher in the field of feminist and queer graphic narratives and an artist herself. She has submitted her MPhil dissertation on feminist graphic autobiographies and is pursuing her PhD project of gender and humour in colonial Bengali caricatures (1870-1947) at Freie Universität Berlin. She makes feminist comics and firmly believes that to be one of the most important modes of her political engagement. Publications: https://fu-berlin.academia.edu/ShromonaDas

 

Ladies Line Up: The Serialisation of Women’s Photographs in Colonial Periodicals
Suryanandini Narain (New Delhi, Indien)

This paper is an exploration of the serialisation of women’s photographs in colonial periodicals from the subcontinent. As compared to larger commissioned photographic projects such as the People of India volumes (1875, eds. Watson and Kaye), or the pleasure album Beauties of Lucknow (1874, Abbas Ali), how does the colonial periodical feature the female figure? What arguments can explain the idea of multiples when it comes to women as subjects of photography, in the realms of both private and public circulation? What are the shared vocabularies between printed texts that collectively identify with the modern-day album or photobook? Are there later manifestations of this colonial trope in the contact sheet, the family album, the women’s magazine and advertisements?

Through this analysis, larger concerns regarding gendered photographic representations shall be addressed. Women as subjects of the colonial lens have been extensively studied (Karlekar, 2006, Dinkar, 2011, Narain, 2011, Mukherjee, 2014), yet the fact of serialisation of images, be they on colonial playing cards, postcards or albums, remains to be examined for the meanings that they generate. Resonating with the larger theme of this panel, i.e. on aspects of urban entertainment within public discourse, this paper examines the typologies within femininity afforded by photographic works that appear sequentially narrativised within cultures of print. It will analyse the construction of images meant for voyeuristic pleasure and fetishism, through the device of the multiple, facilitating desire.

Kurzbiografie: Suryanandini Narain is Assistant Professor of Visual Studies at the School of Arts and Aesthetics, Jawaharlal Nehru University, New Delhi. She has written extensively on photography in India, especially around themes of women, the family, the home and studio photography, in publications including Marg Magazine, Art India, Visual Anthropology Review, Trans Asia Photography Review and others. She has submitted the edited manuscript of a book bearing 22 essays on family photographs in India to Zubaan Books (due 2023), titled Framing Portraits, Binding Albums: Family Photographs in India. At JNU, she teaches courses on Indian visual culture, photography, aesthetic theory and critical writing, and supervises research students working on photography, graphic novels, digital visual cultures, and popular art. Her next project is a monograph on domestic visual culture as shaped by middle class women in India.

 

India at the Fair: Mediating Orientalist Entertainment Infrastructure in Berlin, circa 1900
Stephan Strunz (Dresden)

This paper explores affordances between typographical and topographical renderings of popular orientalist culture at the turn of twentieth century. For this purpose, a small number of Berlin-based illustrated periodicals will be scrutinized. Focusing on the coverage of the Berliner Gewerbeausstellung (1896) and Carl Hagenbeck’s Indian Fair (1912), I will investigate how the press created bridges between the physical fair structure on the ground and the typographic representation in the periodical. Reports, illustrations, and advertisement of popular colonial culture pre-structured the physical unity of the fair complex, presenting it as a compact area to the reader. The programmatic and architectural structure was reproduced in the press‘ advertising section via layout, enabling readers to navigate through the colonial urban space. The juxtaposition of familiar performances of native military bands and mysterious shows of fakirs re-inserted colonial difference through subtle differences in layout. On the fair site, local beer houses and cafés were interspersed between orientalist bazars and temple structures, providing Europeans with a safe glimpse of the exotic spectacle. In this way, urban consumers were re-assured that the fair would afford them the same impressions they had already made in the press, thus guaranteeing a continued experience of colonial difference.

Kurzbiografie: Stephan Strunz is a cultural historian working at the intersection of literary forms of bureaucracy and bureaucratic forms of literature. He obtained his PhD from Humboldt Universität zu Berlin in 2021. From 2021-22 he was a postdoctoral researcher at Ruhr-Universität Bochum. Since 2023, he has been a Post-Doc at Technische Universität Dresden. Currently, he is working on two projects. The first analyses the miscellaneity of colonial popular culture in imperial Germany. The second is an epistemic history of housing misery in European metropolises around 1900. Publications: https://rub.academia.edu/StephanStrunz

Panel 10: Phenomena of Passing and Twenty-First Century Mass Media

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30–18:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Organisation

 

Ana Elisa Gomez Laris (Duisburg/Essen)

Julia Schwarzmeier (Trier)

 

Vorträge

 

Clandestine Crossings: Exploring Race, Media, and Passing
Dr. Alan Pelaez Lopez (San Francisco State University/NYU)

In 2019, formerly undocumented Dominican migrant and poet Danyeli Rodríguez del Orbe uploaded a spoken word video titled “undocumented black boy” to her YouTube account. The YouTube video lasts 3-minutes, 59-seconds, and it is addressed to an undocumented Black ex-lover. The video opens with a screen capture of a CNN headline that reads, “ICE arrests 21 Savage, says he’s in the US illegally,” followed by another screen-captured headline, “21 Savage opens up about facing deportation: ‘It’s like my worst nightmare.’” Rodríguez del Orbe’s spoken word video was created in reaction to the arrest of Grammy-winning, U.S. Billboard Top 200 chart-topping rapper 21 Savage byU.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE). The rapper has been in deportation proceedings since his arrest in 2019. Born Shéyaa Bin Abraham-Joseph to migrant parents, 21 Savage’s geological archipelago: the islands of Dominica and of Saint Vincent and the Grenadines (his parent’s birth countries, England (his birth country), and the United States (his current unauthorized residence) highlight the fact that contemporary Afro-diasporic crossings are transcontinental, perpetually in motion, and under continuous regulation and surveillance. Rodríguez Del Orbe’s video continues with five more headlines that speak to the lives of undocumented migrants from Haiti, Liberia, and unnamed African nations. The poet’s reproduction of each headline suggests the news stories are neglected documents and to counter the neglect they’ve received, the poet archives them in the video, making them part of her poem. This practice is one that extends digital citizenship to 21 Savage as well as all Black migrants who find themselves crossing into other nations to secure their lives. This presentation explores Danyeli Rodríguez del Orbe’s art practice in contesting social death by insisting on building a clandestine kinship with other Black migrants who have been illegalized by contemporary immigration regimes. Mainly, the talk asks: what might poetry teach us about Afro-diasporic crossings, surveillance, and fugitivity? And, how may we understand “passing” through the vectors of “fame” and race?

Kurzbiografie: Alan Pelaez Lopez is an interdisciplinary writer, visual artist, and theorist from Oaxaca, México. In their poetic and visual work, they attend to questions of Black futures, trans* kinship, and Indigenous (un)belonging. They are the author of Intergalactic Travels: poems from a fugitive alien (The Operating System, 2020) and to love and mourn in the age of displacement (Nomadic Press, 2020). Their writing is published in Teen Vogue, Refinery29, Best American Experimental Writing, the Georgia Review, and others. Pelaez Lopez is an assistant professor of queer and trans* ethnic studies at San Francisco State University and is the 2022-2023 Miriam Jiménez Román Fellow at New York University (NYU).

 

Paratexts as Intermedial Passageways in Popular Discourses on Migration and Displacement
Ana Elisa Gomez Laris (Duisburg/Essen)

Poet Javier Zamora‘s memoir Solito was released in the fall of 2022, quickly amassing more readers than his debut poetry collection Unaccompanied (2019). In Solito, Zamora details his journey to the United States as an unaccompanied, undocumented child migrant from El Salvador. Around the time of the memoir’s release, the poet embarked on a number of media appearances, including a sit-down interview with Today Show (NBC) co-host Jenna Bush Hager as part of the book’s selection for the “Read with Jenna” book club. Bush Hager’s unique platform as the daughter of President George W. Bush and as a recognizable figure in US- American mass media likely brought Zamora’s story and work to new audiences.

This paper engages with the meaning-making potential of intermedial paratexts generated around migration and displacement literature. The wide reach of the interview between Hager Bush and Zamora and the memoir’s subsequent ranking on several bestselling lists signals at the increasing popularity of a literary genre once thought to be a niche subgenre of ethnic or minority literatures. Interviews, publicity tours, and social media comments connected to migrant writing increase visibility of the lived experiences of people who until recent years were excluded from popular discourses. Paratextual passageways, as they are referred to in this paper, serve as transitional spaces where advocacy for legal and social acceptance of migrants happens, although at times relying on questionable methods of trauma story-telling. Paratextual passageways, thus, will be explored in a nuanced manner, accounting for their potential to draw attention to precarious lives, but also for their gate-keeping function. Through these passageways, stories of migration and displacement are made accessible to the masses, correlating in increased national attention to issues faced by people without clear migratory status.

Kurzbiografie: Before starting a doctoral degree at the University of Duisburg-Essen, Ana Elisa Gomez Laris studied Comparative Literature and American Studies at Johannes Gutenberg University Mainz, and at the University of California, Riverside. She identifies as an activist researcher, engaging where possible in endeavors uniting her academic and social interests. Prior to joining the faculty of the Department of Anglophone Studies, she worked as an assistant editor of the DGfA quarterly Amerikastudien / American Studies and as a research advisor at the University Medical Center Mainz.

 

Contemporary Depictions of Racial Identity and Passing in Passing (2021) and Dear White People (2017-2021)
Julia Schwarzmeier (Trier)

Passing, in one of its many meanings, is originally widely understood as a practice of light- skinned Black slaves in the United States who “crossed the color line” to gain freedom while leaving a part of themselves behind. The theme of (racial) passing quickly entered and has remained a popular theme in the literary world as evidenced in Nella Larsen’s novel Passing (1929). Pointing at the ongoing presence of the practice of racial passing, the novel Passing made a comeback in the form of a movie directed by first-time director Rebecca Hall and distributed by the streaming platform Netflix in 2021. Picking up the story of the estranged Black friends, Clare and Irene, the black-and-white movie depicts racial passing, race relations, and racism in the segregated United States of the 1920s. At the center of the film is Clare, whose light black skin has enabled her to pass as a white woman for years, even in her marriage. When reconnecting with Irene, Clare starts to long for her old life in a Black community and thereby risking the life she built. The theme of passing is also present in the American dramedy show Dear White People (2017-2021), adapted from the movie of the same name and distributed by Netflix. The show is set at the fictional Winchester University, and tells the story of several Black students and their struggles with white supremacy and racism on campus. It also follows the life of Samantha White, an activist of the Black Student Union, who struggles with her mixed-race identity, adding another layer to notions of passing.

This paper will explore the portrayal of racial passing in recent popular television and movie productions, including “crossing the color-line” in the segregated United States presented in Passing (2021) and on a modern-day American college campus shown in Dear White People (2017-2021). Clare is a “traditional” passer, trying to gain economic and social benefits by neglecting her Black heritage. Samantha, on the other hand, desperately tries to be viewed as “more” Black and hides parts of her identity and life that could make her be read as non-Black. By analyzing the struggles with identifying as and being identified as a certain race and the complex nuances of passing in recent works of popular culture, contemporary understandings of identity and racial passing will be identified.

Kurzbiografie: Julia Schwarzmeier joined the English Department at the University of Trier in April 2022 to pursue a doctoral degree. Prior to that, she studied English and History at KU Eichstätt-Ingolstadt and spent time abroad at Xavier University, OH, USA. She earned a teacher’s degree (“Staatsexamen”) in December 2021. She is currently working on her PhD thesis in the area of racial passing in contemporary American literature.

Panel 11: Populäre Perspektiven auf Sprache(n). Sprachideologien im öffentlichen Diskurs

Freitag, 29. September 2023, 9:00–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 0.03

 

Organisation

 

Rita Vallentin (Frankfurt a. O.)

Miriam Lind (Mainz)

 

Vorträge

 

Sind Sprachideologien gradierbar? Überlegungen aus den Diskursen zum Gendern
Paul Meuleneers (Freiburg)

In der Linguistik diskutierte Konzepte von Sprachideologie sind nicht völlig gleich. Neben weiten Verständnissen, prominent bspw. in der vielzitierten Silverstein’schen Definition von Sprachideologien als „any sets of beliefs about language articulated by language users“ (Silverstein 1979: 193), stehen z. B. Überlegungen von Cavanaugh (2020). Sie befürchtet, dass „seeing languages as simply speakers‘ views of language evacuates the concept of its explanatory power to understand beliefs as part of how systems of power are organized” (Cavanaugh 2020: 55) – wenn alles Sprachideologie ist, bleibt die Frage nach dem Erkenntnisinteresse in der Anwendung unter Umständen offen. Im Vortrag gehen wir anhand von Beispielen aus Mediendiskussionen Positionen nach, die sich leicht einer der, auch im Call for Papers dieser Sektion angesprochenen, bekannten ideologischen Positionen im medialen Diskurs zu genderbewusster Sprache (Kotthoff 2020) zuordnen lassen: Sprache als fragiler, (be)schützenswerter Organismus oder Sprache als ein laufend zu optimierendes Instrument von Gesellschaftsveränderung auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter. Gleichzeitig zeigt sich aber in von uns geführten, leitfadengestützten Interviews mit nicht-akademischen Befragten in gut der Hälfte der Interviews ein starkes Abwägen von Pro- und Contra-Argumenten, das sich klaren Zuordnungen zu einem der beiden genannten Pole verweigert und die Frage nach zugrundeliegenden Sprachideologien neu aufwirft. Anhand von Beispielen aus Medien und leitfadengestützten Interviews wollen wir überlegen, ob das Konzept der Sprachideologie die Möglichkeit von Abstufungen zulässt und/oder benötigt.

Literatur

Cavanaugh, Jillian R. (2020): Language ideology revisited. International Journal of the Sociology of Language, vol. 2020, no. 263, 51-57. https://doi.org/10.1515/ijsl-2020-2082

Kotthoff, Helga (2020): Gender-Sternchen, Binnen-I oder generisches Maskulinum, … (Akademische) Textstile der Personenreferenz als Registrierungen? Linguistik Online, 103(3), 105–127.

Silverstein, Michael (1979): Language Structure and Linguistic Ideology. In: R. Cline/W. Hanks/C. Hofbauer (Hg.): The Elements: A Parasession on Linguistic Units and Levels. Chicago, 193–247.

 

Diskurse zu geschlechtergerechtem Deutsch im Verein Deutsche Sprache (VDS)
Falco Pfalzgraf (London)

Ende der 1970er Jahre begann die feministische Linguistik damit, sich in Deutschland zu etablieren. In den frühen 1980er Jahren fingen kritische deutsche Sprachwissenschaftlerinnen wie Trömmel-Plötz (1980) und Pusch (1984) damit an, über Wechselwirkungen zwischen dem Sprachgebrauch einerseits sowie über Geschlecht, Geschlechter-rollen und Machtverhältnisse andererseits zu publizieren. Nach Jahren zunehmender Forschungsaktivität erreichte rund vier Jahrzehnte später, nämlich in den 2010er Jahren, die deutsche Genderlinguistik-Forschung einen Höhepunkt. Repräsentativ genannt seien hierzu die Arbeiten von Günthner/Hüpper/Spieß (2012) sowie von Kotthoff/ Nübling (2018). Etwa zur gleichen Zeit, nämlich ungefähr Mitte/Ende der 2010er Jahre, erschienen in journalistischen Qualitätsmedien zunehmend Meinungsbeiträge zum Thema geschlechtergerechte deutsche Sprache. Während sich frühere Beiträge in Zeitungen wie Die Welt noch ausschließlich auf Tendenzen in akademischen Zirkeln bezogen (z. B. Ginsburg 2014), zeigen spätere Beiträge, etwa auf der Deutschen Welle (Danhong 2017), dass die Gender-Debatte schließlich auch die breitere Öffentlichkeit erreicht hatte. Einige wenige deutsche Linguisten begannen, ihre (zumeist kritischen) Ansichten zu äußern; darunter Peter Eisenberg (2017) von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Deutschlandfunk und Helmut Glück (2018) vom Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache in der Frankfurter Allgemeinen. Etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte der Dudenverlag einen Ratgeber zur angemessenen und verständlichen Verwendung geschlechtergerechter Formen im Deutschen (Diewald/Steinhauer 2017). Im März 2019 veröffentlichte der sprachpuristische VDS – Verein Deutsche Sprache unter großem Medienecho auf seiner Internetpräsenz (VDS 2023) einen „Aufruf zum Widerstand“ gegen „die zunehmenden, durch das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit motivierten zerstörerischen Eingriffe in die deutsche Sprache“ und appellierte an „Politiker, Behörden, Firmen, Gewerkschaften, Betriebsräte und Journalisten: Setzt die deutsche Sprache gegen diesen Gender-Unfug wieder durch!“ Eine entsprechende Petition, deren „100 Erstunterzeichner“ deutsche AkademikerInnen, Prominente und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens waren, erzielte bis Anfang Februar 2023 über 91.000 Unterschriften. Die ablehnende Haltung des VDS zur Verwendung geschlechtergerechter Formen im Deutschen hat die Aufmerksamkeit der Soziolinguistik bislang erst ansatzweise erregt. In Arbeiten, in denen der Verein diesbezüglich auftaucht, geschieht dies bisher nur am Rande. Publikationen, die sich explizit und im Detail mit der Einstellung des VDS zu geschlechtergerechter Sprache beschäftigen, gibt es derzeit keine. Unsere derzeitige Arbeit beginnt damit, diese Forschungslücke zu schließen. Unsere detaillierte Analyse der letzten 5 Jahrgänge des VDS-Publikationsorgans Sprachnachrichten zeigt, welche Diskurse zu geschlechtergerechtem Deutsch im VDS vorherrschen. Die wesentlichen Motivationen, die hinter der Kritik des Vereins an geschlechtergerechter Sprache stehen, werden offengelegt. Vor allem aber zeigt unsere Forschung, dass der Widerstand des VDS gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache eine neue Facette des deutschen Sprachpurismus darstellt.

Literatur & Quellen

Danhong, Zhang (2015). „Mein Deutschland: Der grüne Gender-Wahnsinn“. In: Deutsche Welle 04/12/2015. <https://www.dw.com/de/mein-deutschland-der-grüne-gender-wahnsinn/a- 18888325>.

Diewald, Gabriele/Steinhauer, Anja (2017). Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin.

Eisenberg, Peter (2017). „Linguist kritisiert geschlechtergerechte Sprache“. In: Deutschlandfunk 08/03/2017. <https://www.deutschlandfunk.de/linguist-kritisiert-geschlechtergerechte-sprache-ein- 100.html>.

Ginsburg, Michael (2017). „Wie der Genderwahn deutsche Studenten tyrannisiert“. In: Die Welt 19/11/2014. <https://www.welt.de/debatte/kommentare/article134493430/Wie-der-Genderwahn- deutsche-Studenten-tyrannisiert.html>.

Glück, Helmut (2018). „Eine kleine Sex-Grammatik“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 02/05/2018. <https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/eine-kleine-sex-grammatik-das-grammatische- geschlecht-15568596.html>.

Günthner, Susanne/Hüpper, Dagmar/Spieß, Constanze (Hg.) (2012). Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität. Berlin/Boston (= Linguistik–Impulse & Tendenzen 45).

Kotthoff, Helga/Nübling, Damaris (2018). Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen (= Narr-Studienbücher).

Pusch, Luise F. (1984). Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt am Main.

Trömel-Plötz, Senta/Pusch, Luise F. (1980). Sprache, Geschlecht und Macht. Wiesbaden.

VDS–Verein Deutsche Sprache (2023). „Schluss mit Gender-Unfug!“. <https://vds- ev.de/aktionen/aufrufe/schluss-mit-gender-unfug/>.

 

Sprachideologien im Wandel
Hanna Acke (Finnland)

In meinem Vortrag untersuche ich, ob und wie sich Sprachideologien in der öffentlichen Debatte über Sprache und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht gewandelt haben. Dabei fokussiere ich zum einen auf die 1980er Jahre, in denen Vorschläge zur Veränderung von Sprache zur Vermeidung von Sexismus in der Bundesrepublik Deutschland erstmals öffentlich diskutiert wurden, zum anderen auf aktuelle Debatten über geschlechtergerechte Sprache. Bei der Analyse gehe ich qualitativ und diskurslinguistisch (vgl. Fix 2015 und Spitzmüller/Warnke 2010) vor und suche in ausgewählten Debattenbeiträgen nach expliziten Aussagen über Sprache und Sprachgebrauch, also z.B. darüber wie Sprache ist oder sein sollte, was bestimmte Sprecher*innen mit Sprache gemacht haben, machen dürfen oder sollen, sowie nach impliziten Aussagen über Sprache, wie sie beispielweise in Metaphern deutlich werden. Das Korpus für die Analyse steht noch nicht fest, wird sich aber wahrscheinlich auf Beiträge in Tageszeitungen und eventuell aus dem Rundfunk beschränken. Aus meinen bisherigen Arbeiten zur aktuellen Debatte sowie zur linguistischen Debatte der 1970er/80er Jahre (vgl. Acke 2022a und Acke 2022b) deutet sich bereits an, dass Standardsprachideologien, Ideologien sprachlicher Vielfalt, divergierende Vorstellungen davon, wie Sprachwandel von statten geht bzw. gehen sollte sowie das Verhältnis von Sprachsystem und Sprachgebrauch in den Ergebnissen eine wichtige Rolle spielen werden.

Literatur

Acke, Hanna (2022a): Widerspruch einlegen. Sprachhandlungen zum Ausdruck von Widerspruch in einer linguistischen Kontroverse. In: Julia Nintemann und Cornelia Stroh (Hg.): Über Widersprüche sprechen. Springer VS, S. 1–39.

Acke, Hanna (2022b): Über welche Sprache streiten wir eigentlich? Sprachideologien in Mediendebatten über geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Vortrag auf der GAL-Jahrestagung 2022. Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Würzburg, 30.09.2022.

Fix, Ulla (2015): Die EIN-Text-Diskursanalyse. Unter welchen Umständen kann ein einzelner Text Gegenstand einer diskurslinguistischen Untersuchung sein? In: Heidrun Kämper und Ingo H. Warnke (Hg.): Diskurs – interdisziplinär. Zugänge, Gegenstände, Perspektiven. De Gruyter, S. 317–334.

Spitzmüller, Jürgen; Warnke, Ingo H. (2010): Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin, New York: De Gruyter.

 

Sprachideologien im Dienst des menschlichen Exzeptionalismus. Vorstellungen von Sprache im Mensch-Tier-Verhältnis
Miriam Lind (Mainz)

Mit der Entdeckung, dass Menschen und andere Tiere eng miteinander verwandt sind bzw. Menschen aus biologischer Sicht als Tiere zu klassifizieren sind, hat das Bemühen darum begonnen, Merkmale zu finden, über die sich der Mensch klar vom Tierreich abgrenzen lässt. In eben dieser Abgrenzung kommt dem menschlichen Sprachvermögen eine besondere Rolle: Während Tiere zwar vielfältig und teils auf komplexe Weise miteinander kommunizieren können, gilt Sprache als regelgebundenes, rekursives System, mit dem sowohl auf Anwesende(s) als auch auf Abwesende(s) verwiesen werden kann, als genuin menschlich. Nichtsdestotrotz interessiert sich insbesondere die verhaltensbiologische Forschung seit Jahrzehnten dafür, ob einzelne Tierarten – z.B. Primaten oder Graupapageien – nicht doch Sprachkompetenz besitzen. Die diskursive Verhandlung tierlicher Sprachkompetenz gewinnt gegenwärtig neue Relevanz, da sich zum einen Mensch-Tier-Beziehungen stark gewandelt haben und zum anderen die rasante Entwicklung von Kommunikationstechnologien neue Möglichkeiten zur interspezifischen Verständigung verspricht. Technische Hilfsmittel, die von relativ simplen druckaktivierten Wiedergabegeräten (sogenannte Talking Buttons) bis hin zu sehr viel komplexeren Geräten zur Videotelefonie von Hund und Mensch oder – derzeit nur als Zukunftsvision existierenden – Übersetzungsmaschinen für die Haustier-Mensch- Kommunikation zeigen, wie groß das menschliche Bedürfnis nach sprachlicher Interaktion mit ihren tierlichen Begleitern ist. Der Vortrag widmet sich der Verhandlung und Konzeptualisierung von Sprache in der populären Inszenierung von Tier-Mensch-Beziehungen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf Kommunikationstechnologien für die interspezifische Kommunikation und deren Bewerbung.

 

Populäre Diskurse der Sprachtechnologie – Neue Missionarslinguistiken im Kontext von KI
Britta Schneider (Frankfurt a. O.)

Sprachtechnologien gehören mittlerweile zum Alltag. Dazu gehören Chatbots, maschinelle Übersetzung, automatische Korrekturprogramme oder digitale Sprachassistenten. Diskurse rund um Sprachtechnologie sind Teil populärer öffentlicher Debatten geworden und bestimmen Annahmen, Erfahrungen und Einstellungen zu Sprache mit. Dabei sind insbesondere Beiträge von Computerlinguist*innen und Programmierer*innen von hoher Relevanz und nehmen als diskursive Autoritäten Einfluss auf öffentliche Debatten und hegemoniale Vorstellungen rund um Sprache. In diesem Vortrag diskutiere ich, wie Sprache in Wissenschaftstexten konzeptualisiert wird, die von kommerziellen Firmen (z.B. Microsoft, Facebook, OpenAI, Google) (mit- )herausgegeben wurden, und die öffentliche Diskurse aufgrund ihrer Reichweite und Herkunft mitbestimmen, Dabei fokussiere ich mich insbesondere auf Beiträge, die sich mit möglichen gesellschaftlichen Ungleichheiten befassen, die, wie die Autor*innen der Texte annehmen, durch Sprachtechnologien verstärkt oder aber überwunden werden können (z.B. Kreutzer, Caswell und Wang 2021; Nee et al. 2022; NLLB Team et al. 2022). Da die Texte in erster Linie von Menschen ohne soziolinguistische Ausbildung verfasst werden, zeigen sich häufig essentialistische Annahmen von Sprache und Kultur, in denen Sprache als referentielles Instrument und Kulturen als abgeschlossene Einheiten dargestellt werden. Zugleich finden sich Diskurse, die an Missionarslinguistik aus der Zeit europäischer Kolonialpolitik erinnern. So werden etwa ‚universale‘ Übersetzungstools anvisiert, an denen ‚low-resourced‘ Sprachen – also Sprachen, für die keine großen verschriftlichten, digitalisierten Datensätze existieren – durch die Generierung künstlicher Sprachdaten teilhaben sollen (z.B. NLLB et al. 2022). Die Form und Funktion dieser Sprachen werden also durch computer-basierte und kommerzielle Ziele mitgestaltet, ähnlich wie die Konstruktion von Sprachen in den Kolonien durch Bibelübersetzung und Missionierungspolitik mitbestimmt wurde. Populäre Debatten zu Sprache, Legitimität, Kultur, Normativität bleiben nicht unangetastet von diesen neuen soziolinguistischen Hierarchien und Universalismusphantasien.

Literatur

Kreutzer, Julia, Isaac Caswell, and Lisa Wang. 2021. “Quality at a glance: an audit of web-crawled multilingual datasets,” Transactions of the Association for Computational Linguistics, https://arxiv.org/pdf/2103.12028.pdf.

Nee, Julia, Genevieve Macfarlane Smith, Alicia Sheares, and Ishita Rustagi. 2022. “Linguistic justice as a framework for designing, developing, and managing natural language processing tools,” Big Data & Society, 1-6: DOI: 10.1177/20539517221090930.

NLLB Team et al. 2022. “No Language Left Behind: Scaling Human-Centered Machine Translation,” arXiv, abs/2207.04672.

Panel 12: Populäre Düfte

Samstag, 30. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 0.03

 

Organisation

 

Lis Hansen (Hildesheim)

Dirk Hohnsträter (Hildesheim)

 

Vorträge

 

Populäre Düfte und olfaktorische Ästhetiken
Lis Hansen (Hildesheim)

Der Geruchssinn galt lange Zeit als animalischer, insbesondere gegenüber dem Seh- und Hörsinn zweitrangiger und im Diskurs zu vernachlässigender Sinn. Gerüche und Düfte prägen jedoch unsere Weltwahrnehmung und sozialen Beziehungen auf grundlegende Weise. Darüber hinaus ist die olfaktorische Gestaltung der Subjekte und ihrer Lebenswelt mit Parfums und Duftstoffen ein wesentlicher Teil populärer Kulturen. Bereits ein Blick auf die enormen Verkaufszahlen bekannter Duftklassiker wie Chanel No. 5 macht dies deutlich.

In den Kulturwissenschaften wurden Gerüche gleichwohl erstaunlich wenig untersucht. Das Desiderat überrascht, sind doch olfaktorische Ausdrucksformen wie etwa Parfums nicht nur nach Thomas Heckens quantitativer Definition von Populärkultur etwas, das viele beachten – und damit ein wesentlicher Teil populärer Alltagskulturen, sondern auch ein kulturtheoretisch relevantes Sujet. Zum einen verweist die Verwendung von Parfums und parfümierter Produkte auf das kulturelle Selbstverständnis unterschiedlicher Gesellschaften. Zum anderen sind olfaktorische Ästhetiken und Praktiken eng mit individuellen und sozialen Wahrnehmungs- und Zuschreibungsformen verbunden. Parfums sind einerseits Ausdruck der individuellen Selbststilisierung, andererseits ein populäres Massenprodukt mit einem beachtlichen Verkaufsvolumen. Zudem stellen sie eine spannungsvolle Schnittstelle zwischen der ephemeren Wirkung molekularer Duftstoffe, ihrer materiellen Dimension (z.B. der Flakons und Etiketten), leibkörperlichen Praktiken sowie medial und sozio-ökonomisch informierten Konsumästhetiken dar. Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage, wie spezifisch olfaktorische Fiktionswerte in Kultur und Ästhetik erzeugt werden und wie diese wirken.

Der Vortrag möchte einführend die vielseitigen materiellen, atmosphärischen, körperbezogenen, praxeologischen, sozialen und genderspezifischen Dimensionen olfaktorischer Kulturen und Ästhetiken am Beispiel des Parfums und der kulturellen Praktik des Parfümierens in den Blick nehmen.

Kurzbiografie: Dr. Lis Hansen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim. Sie wurde an der Graduate School Practices of Literature der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einer Arbeit zu poetischen Müllszenen in der Gegenwartsliteratur promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind olfaktorische Ästhetiken, materielle Kulturen und Konsumkultur, insbesondere Müll und Kunststoffe, Natur-Imaginationen und das Verhältnis von Literatur und Ausstellungen. E-Mail: hansenl@uni-hildesheim.de

 

Nasenweisheit. Zum olfaktorischen Wissen in Mithu Sanyals Roman Identitti
Aglaia Kister (Bern)

„Der Kokosduft seiner Haut“ (Mithu Sanyal: Identitti. München 32021, S. 293) der „scharfe[], zitronige[] Geruch“ (ebd.) des Dills, „der Sandelholzduft ihrer Haare“ (ebd.) – in Mithu Sanyals Roman Identitti (2021) begegnen eine Vielzahl unterschiedlichster Gerüche. Während die popliterarischen Elemente des Romans und seine ironisch-kluge Reflexion identitätspolitischer Fragen in mehreren Artikeln analysiert wurden, hat die eminente Bedeutung des Olfaktorischen bislang keine Beachtung gefunden. Mein Vortrag soll diese Lücke schließen und verschiedene Funktionen des Geruchs in dem Roman herausarbeiten. Wie es zu zeigen gilt, ist das zentrale Thema von Identitti – die Identität – aufs Engste mit dem Olfaktorischen verwoben. So zeichnen sich die Figuren stets durch einen charakteristischen Geruch aus, der über detailliert beschriebene Praktiken des Parfümierens erzeugt wird. Diese Arbeit am eigenen Duft erscheint als Strategie der Singularisierung (Zu diesem Begriff vgl. Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Frankfurt/M. 2017) die – paradoxerweise gerade über die Verwendung kommerzieller Massenware wie Parfüms, Cremes oder Deodorants – den Eindruck des Individuellen und Unverwechselbaren hervorbringt.

Bereits Georg Simmel beschreibt das Parfümieren als eine „typische Stilisierungserscheinung“, die „eine eigenartige Synthese individuell-egoistischer und sozialer Teleologie auf dem Gebiet des Geruchsinnes“ (Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908, S. 490). Wichtige Anknüpfungspunkte für meine Analyse bietet außerdem Jürgen Raab: Soziologie des Geruchs. Über die soziale Konstruktion olfaktorischer Wahrnehmung. Konstanz 2001) vollzieht. Die „soziale Frage“ ist ihm zufolge stets „auch eine Nasenfrage“ (Simmel: Soziologie, S. 489). In Sanyals Roman bringen die Figuren über die Wahl der Duftstoffe nicht nur die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck, sondern unbewusst ebenso ihre Milieuzugehörigkeit – Parfüme avancieren zu Mitteln der sozialen Distinktion, die einen Abstand zu den weniger wohlriechenden Angehörigen der Unterschicht herstellen. Zugleich sind sie Teil eines Lebensstils, in dem Selbstoptimierung und die Ästhetisierung der eigenen Existenz eine zentrale Rolle spielen.

Über den Geruch werden jedoch nicht nur Fragen der Klassenzugehörigkeit verhandelt, sondern auch die Themen von race und gender. So parodiert der Roman die misogynen Vorurteile, die sich mit dem Geruch des weiblichen Geschlechtsorgans verbinden, ebenso wie die stereotypen Annahmen über nationenspezifische Gerüche – etwa das Klischee, jede indische Wohnung dufte nach Kurkuma und Räucherstäbchen. Die Nase wird in dem Roman zum Medium eines intuitiven Wissens, das auch subtile Mechanismen der Distinktion und Ausgrenzung erspürt: Einer der Figuren wird explizit die Fähigkeit zugesprochen, mit ihrer „Nase Rassismus [zu] witter[n]“ und den „geheimen Gestank“ (Sanyal: Identitti, S. 408) der Diskriminierung zu riechen. Zuletzt möchte ich die atmosphärische Dichte untersuchen, die durch die detaillierten Schilderungen von Düften entsteht und darauf hinweist, dass das Olfaktorische in dem Roman auch eine ästhetische Funktion besitzt. (Wichtige Anknüpfungspunkte bietet dabei der – allerdings nicht auf Sanyals Roman bezogene – Artikel von Hans J. Rindisbacher: What’s this Smell? Shifting Worlds of Olfactory Perception. In: KulturPoetik Bd. 15, H. 1 (2015), S. 70–104)

Die genaue Analyse des Olfaktorischen in Mithu Sanyals Identitti soll ein zentrales, bislang jedoch nicht näher untersuchtes Thema des Romans beleuchten und auf diese Weise zugleich die vielfältigen sozialen, gendertheoretischen, popkulturellen sowie ästhetischen Aspekte erkunden, die sich in der Gegenwartsgesellschaft mit dem Phänomen des Geruchs verbinden.

 

Digitalparfum? Influencermarketing, Online Retail und die Veränderung des artistic perfume– Marktes. Ein Case Study-Impuls
Bodo Kubartz (Brüggen)

Seit den frühen 2000er-Jahren hat eine erhebliche Ausdifferenzierung des Marktsegmentes „artistic perfumery“ – vereinfacht: Nischenparfum – qua Ästhetik, (Preis-)Positionierung, Markenanzahl und -herkunft stattgefunden. Das Segment stellt einen kleinen, beständig wachsenden Teil des Parfummarktes dar; es wird als Trend- und Innovationstreiber des mass market wahrgenommen. Produktangebot und -nachfrage wachsen unterschiedlich schnell und zunehmend herrscht ein Angebotsüberschuss. Der Wettbewerb der Parfummarken steigt; Hürden sind Einlistung und Abverkauf im stationären Handel sowie der Marktverbleib.

Aktuell findet angebotsseitig eine Diversifikation der Vermarktungs- und Kommunikationsstrategien etwa per Influencermarketing und Online Retail statt. In der Aufmerksamkeitsökonomie wird Parfum von diversen Akteuren zunehmend digital verhandelt. Vorläufige Ergebnisse sind: Neue Wege und Orte der Emotionalisierung von Produkten und Umbrüche der räumlichen Muster des Konsums.

Im Vortrag verfolge ich drei Ziele:

  1. Die Marktveränderungen anhand ästhetischer Differenzierung, Globalisierung und Angebotsvielfalt zu umreißen;
  2. Alte und neue Kommunikations- und Handelsformen sowie -wege zu kontrastieren. Letztere abstrahiere, porträtiere und analysiere ich unter dem Arbeitsbegriff „Digitalparfum“ am Beispiel ausgewählter Case Studies (TikTok- und YouTube-Influencer sowie Online Retail);
  3. Emotionalisierungscharakteristika und räumliche Merkmale des digitalisierenden Segmentes zu skizzieren und deuten.

Dr. Bodo Kubartz, Passion and Consulting, Brüggen

Kubartz, B. (2011): Sensing brands, branding scents: on perfume creation in the fragrance industry. In: Pike, A. (ed.): Brand and branding geographies. Cheltenham & Northampton, MA: Edward Elgar. Kapitel 8: 125-149.

Kubartz, B. (2009): Scent and the city. Perfume, consumption, and the urban economy. In: Urban Geography, Vol. 30, No. 4: 340-359.

Panel 13: Moving Pictures: Migration and Mobility in Contemporary Graphic Narratives

Samstag, 30. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

The papers in this panel will investigate a range of graphic narratives from across the globe, focusing on the discussion of the concept of ’migration.’ The term itself oscillates between almost self-explanatory and oddly broad to the extent that it may refer to human movement around the globe as well as to animal activities. For the purpose of this panel, we understand migration as any kind of movement from one geographical place to another, be it forced or voluntary, temporary or permanent.

The meaning creating tension achieved through the combination of words and images on paper germane to the genre of the graphic narrative, serves especially well when it comes to the depiction of migration. Some of these depictions follow in the footsteps of traditional travel writing, such as the photographic renderings of cultural landmarks in Sorai Mone’s manga Our Not-So-Lonely Planet Travel Guide, which fuses world- and self-discovery with the (Japanese) queer experience. Other examples include graphic narratives that focus on migrant experiences accompanying more permanent relocations. Gene Luen Yang’s Superman Smashes the Klan, for example, portrays the challenges and strengths that arise from living between two cultures, combining a view on migration that may have been voluntary, albeit driven by economic concerns, and the forced migration inherent to Superman’s refugee origins.

Through our focus on graphic narratives, we draw attention to the use of popular forms to express intensely personal and complex subjects, while highlighting the way that graphic narratives allow creators to literally make migration experiences visible. Graphic narratives are by nature ‘moving pictures.’ Even if they are not animated for the screen, the movement implied by the transitions between panels, and the images’ inherent visuality lend graphic narratives an increased potential to be ‘moving’ in both the literal and the more metaphorical sense of the word. This panel will demonstrate how different authors from diverse cultural backgrounds have realized and treated a range of distinct types of migration in their respective works and showcase how both popular comics and manga and more literary graphic novels can be used for dynamic portrayals of various mobilities.

 

Organisation

 

Amanda M. Boyce (Trier)

Bettina Burger (Düsseldorf)

 

Vorträge

 

Queer Journeying: Sorai Mone’s Our Not-So Lonely Planet Travel Guide to Self-Acceptance
Amanda M. Boyce (Trier)

From Tomboys and Transwomen in Thailand, over legally married lesbians in Finland, to a lonely queer grandmother in Italy, Sorai Mone’s ongoing fictional manga series Our Not-So Lonely Planet Travel Guide provides an insight into queer identities and stories all around the world. The narrative follows gay couple Mitsuki and Asahi on their journey around the world before they intend to return to Japan to get married –if their relationship survives the trip. Outgoing Mitsuki and reserved Asahi are polar opposites, and the situations they are met with along their travels, be it chance encounters with ex-girlfriends, or traveling through countries where being gay is illegal, repeatedly put their relationship to the test.

This paper proposes that Sorai uses the format of the travel log, with its insights into the history of the landmarks our two protagonists visit and the local people and cultures they connect with, to tell not a story about mere traveling, but about the opportunities of emotional growth it provides to the traveler. Removed from his usual surroundings in Japan and a family to which he is afraid to come out to, Asahi is repeatedly confronted with people and experiences on their journey that challenge his fears of rejection, turning his and Mitsuki’s trip around the world into a quest for queer self-acceptance.

Kurzbiografie: Amanda M. Boyce is a PhD student and lecturer at the Department of English Studies at the University of Trier, Germany. They wrote their graduate thesis in the area of reader response theory, investigating the influence of queer baiting and queer coding on fandom and television audiences. Amanda is currently working on their PhD thesis in the area of fan studies, investigating transmedial power dynamics and the depiction of fan fiction / fan fiction authors in print and television narratives. Other research interests also include science fiction/fantasy fiction and film, comics, and disability studies.

 

Magical Refugees: Involuntary Migration and Identity in Bardugo & Pendergast’s Demon in the Wood
Carolin Sloykowski (Trier)

In Leigh Bardugo’s Grishaverse, human beings can be categorised into two groups. The first group of people, which makes up the majority, are humans as we know them, without any meaningful powers. The second group of people are known as Grisha. They are able to manipulate the natural world with the powers they are born with, ranging from conjuring winds to controlling another person’s heartbeat. Because of these powers, many people consider them dangerous, to a point where Grisha are ostracised, experimented on, or killed. Grisha fall into three different orders, depending on the nature of their powers; the Corporalki, whose power focuses on the human body, the Etherialki, who can influence natural elements, and the Materialki, whose powers focus on composite materials. Despite these differences, the three types of Grisha often form communities to support each other, by bonding over their shared experiences of persecution. However, those with rare and powerful abilities are feared even by their peers and are left isolated from any type of community.

This paper will investigate the origin story of one of these Grisha with rare powers and how his life as a persecuted nomad leads to his determination to create a permanent safe haven. In Leigh Bardugo and Dani Pendergast’s Demon in the Wood, shadow summoner and human amplifier Aleksander Morozova grows up in a me where divisions between peoples are at their most severe. Because of his ability to amplify other Grisha’s powers, he not only has to hide from regular people, but also from those of his own kind seeking to abuse his abilities. Therefore, he is forced into roaming the world with his mother, changing their identies in every new village. As their journey takes its toll on them, however, his and his mother’s approach to this nomad life start to diverge.

Kurzbiografie: Carolin Sloykowski is a student and student assistant at the Department of English Studies at the University of Trier, Germany. In the course of their studies, they have written papers about the depiction of queerness and disability in YA novels and graphic novels. They are currently working on their BA thesis in the field of adaptation studies, investigating how queer elements were portrayed in the TV show versus in the original novels.

 

Immigrant from Krypton, Citizen of Metropolis – Immigrant Success Stories in Gene Luen Yang’s and Gurihiru’s Superman Smashes the Klan
Bettina Burger (Düsseldorf)

Gene Luen Yang’s and Gurihiru’s Superman Smashes the Klan is a graphic novel for middle grade readers, set in a post-World War II Metropolis. In 1946, the Nazi threat is still looming in the form of the Atom Man, but the graphic novel’s real threat lies much closer to home: The Klan of the Fiery Cross is attacking all those who do not fit their ideals of “One Race! One Colour! One Religion!”, which includes the Lee family who have just moved from Chinatown into the city centre of Metropolis.

The Klan also attempts to co-opt Superman into their racist ideology by claiming that he is “living proof of just how superior a white man can be”, but the graphic novel goes above and beyond to deny and subvert narratives which equate Superman with the Nazi concept of the Übermensch, often also translated as the superman.

In my talk, I will showcase how Superman Smashes the Klan establishes parallels between Superman and the Lee family by highlighting not only Superman’s otherness but also Superman’s, Roberta Lee’s, and her brother Tommy’s responses to the pressure to fit in with mainstream society. In Yang’s and Gurihiru’s graphic novel, Superman’s own migrant history is put centre-stage, at first as a source of confusion and alienation for the young Clark Kent, but eventually it is revealed as a source of strength for Superman’s superhero abilities.

Kurzbiografie: Bettina Charlotte Burger is a research assistant and lecturer at the Heinrich-Heine University of Dusseldorf in the field of English Studies. Their dissertation argues that fantasy literature ought to be considered as world literature in its scope and that world literary readings of individual examples of world fantasy are highly productive as well as necessary. They have co-edited a collection on Nonhuman Agencies in The Twenty-First-Century Anglophone Novel and have published several articles in the field of speculative fiction. Additionally, they have been a Digi Fellow and project co-leader for “Charting the Australian Fantastic” in 2021, for which they still produce Open Educational Resources.

 

Bridging Gaps – Queer Fairy Tales as Communication Within the Immigrant Family in Trung Le Nguyen‘s The Magic Fish?
Theodora Charalambous (Düsseldorf)

Trung Le Nguyen’s debut graphic novel The Magic Fish takes place in 90’s America and narrates the story of the Vietnamese Phong family, in particular the thirteen-year-old Tiên and his mother.

Tiên is struggling to communicate his sexuality to his first-generation immigrant parents, who do not speak English fluently. He and his mother attempt to bridge the communication gap by reading fairytales to each other. Trung’s merging of Western and Vietnamese fairytales creates stories, which resonate both with Tiên’s anxiety about his identity and his mother’s refugee past, bringing these two perspectives closer together.

Researchers of queer Asian studies argue that homophobia is not an intrinsically Asian value but rather it is a side effect of Western colonialism. Historical evidence such as queer Han dynasty rulers in Imperial China and the Kama Sutra, covering information on gay sex, show that homosexuality was accepted and valued throughout many Asian countries in the past. Asia’s negative views on homosexuality arose as a consequence of its contact with the west, in particular western colonisation and Christian missionary work, which spread the idea that same-sex relations are sinful and is hinted at in The Magic Fish through reference to the lack of a word for “gay” in Vietnamese. Furthermore, Westernization enabled the emergence of new vocabulary concerning homosexual relations, for example the Vietnamese word “pédé” and the Chinese “jijian”. However, these words are considered derogatory and were used to degrade and discourage homosexuality. While the West is slowly moving away from these harmful prejudices, many Asian countries have been framed as (sexually) conservative by a Western lens.

In my talk, I will discuss how The Magic Fish’s storytelling shatters the false image that Asian countries are more intolerant of queerness in comparison to the West. Tiên, discouraged by his discovery that there is no equivalent word for „gay“ in Vietnamese, assumes that this is a result of prejudice, making his attempts at coming out to his parents increasingly difficult. His anxiety about burdening his parents with the truth about his sexuality and the fear of not being accepted, escalate when the West, his school, intervenes. However, after the encouragement of her aunt, his mother is able to alleviate Tiên’s anxieties by changing the narrative of the fairytale to show her son she accepts and loves him for who he is. Therefore, the lack of vocabulary in Vietnamese to describe same sex relationships seems to suggest that they are natural and normal rather than indicate that they are nonexistent in (traditional) Vietnamese society.

Kurzbiografie: Theodora Charalambous is a BA student at the Heinrich-Heine University of Düsseldorf, where she is pursuing a degree in English and American studies and a minor in Japanese studies. During the course of her studies, she has written papers about Japan’s false image of homogeneity and the “second-class” oppression Asian Americans experience. Theodora is currently working as a student assistant and illustrator for the “Charting the Australian Fantastic” project, which focuses on Australian literature and Australian speculative fiction in particular. Other fields of interest include queer literature, graphic novels and topics on migration.

Panel 14–20: Narrationen und Ästhetiken des Populären

Panel 14: »Ich erzähle, also bin ich!« — Identitätsnarrration(en) in der mediatisierten Alltagskultur

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00–16:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

Erzählen kann als medienkulturelle Praktik zur (Er-)Schaffung mediatisierter Identitäten betrachtet werden. „Digitales Storytelling“ vermittelt Authentizität und suggeriert Nahbarkeit und erweist sich dabei als unerlässlich für ein „virtual bonding“ unterschiedlicher Usergruppen. Erzählen in mediatisierten Kontexten unterscheidet sich jedoch grundlegend vom klassischen Erzählbegriff (vgl. Labov/Waletzky 1967), da Alltagserzählungen häufig fragmentarisch und interaktiv bzw. kooperativ gestaltet sind. Folge ist, dass der Erzählvorgang meist verzögert, also zeitlich asynchron, vollzogen wird. Georgakopoulou (2006, 2007, 2016) bezeichnet solche digitalen Alltagserzählungen als „small stories“, die der steten Aufrechterhaltung und dem Ausbau von medienkulturell geprägten Identitäten, beispielsweise in sozialen Online-Netzwerken, dienen.

Längerfristiges serielles Erzählen, wie es beispielsweise in TV-Formaten stattfindet, hat über Youtuber:innen oder TikTok-/Instagram-Aktivist:innen ebenfalls den Weg in die Social-Media-Welt gefunden. Serielle Kohärenz erhalten diese Posts, Storys und Clips über narrative Identitätsinszenierungen eines ‚Personal Publishing‘ durch Influencer:innen aber auch durch sogenannte ‚Sinnfluencer:innen‘. Alltagserzählungen werden zu genreorientierten Formaten im Bereich Beauty, Games, Sport, Reise, Fitness, Ernährung, Do-it-yourself, Recht, Politik, Wissenschaft und Bildung. Geframt oder perspektiviert sind diese Genres häufig mit Botschaften der Nachhaltigkeit und Diversität, des Entertainments oder der Mobilisierung und Agitation. Eigenes Erleben wird so erzählerisch nicht nur als Ressource zur Unterhaltung eingesetzt, sondern auch in Argumentationen: „Prominent sind Anschaulichkeitsherstellung, Wissensgenerierung und Überzeugung.” (Schwarze 2019: 67-68) Durch das (strategische und kontinuierliche) Erzählen über ‚eigene‘ Erlebnisse und Erfahrungen entstehen authentizitätssuggerierende Aufführungen von Identität. Die Rezipierenden können teilhaben an den vermeintlich persönlichen Eindrücken, Emotionen und Haltungen der Social-Media-Aktivist:innen. Deren vermeintliche Offenheit lässt sie glaubwürdig erscheinen, da sie dafür sogar heftigen Widerspruch bis zum Shitstorm zu ertragen bereit zu sein scheinen. Politische sowie (vermeintlich) unpolitische Narrationen lassen so auch bestimmte Argumentationstopoi in diskursiven Zusammenhängen realisieren: „Der narratio kommt dann eine besondere Funktion innerhalb des Daten- und Validationstopos zu, da sie ein effektives Mittel der Schilderung der Situationsdaten einschließlich ihrer Bewertung darstellt“ (Girnth/Burggraf 2019: 568). Interessant ist in diesem Zusammen- hang auch die Perspektive auf die wenig expliziten Botschaften von Erzählungen, welche über die Präsentation bevorzugter Alltagspraktiken vermittelt werden. Hier kommen Persuasionen zum Tragen, die auf neue Formen von Starinszenierungen und parasozialen Beziehungen zwischen Social-Media-Aktivist:innen und Rezipierenden beruhen. Somit werden auch neue pop(ulär)kulturelle Analyseperspektiven und Beschreibungsmodelle nötig.

Jüngst werden die beschriebenen Aspekte digitaler Narrativierung außerdem durch KI-Anwendungen wie beispielsweise Chatbots oder algorithmisch generierter (Bewegt-) Bildwelten ergänzt. Damit besteht eine neue Praxis digitaler Identitätskonstruktion, die nicht mehr auf direkter humaner Autor:innenschaft beruht, sondern auf algorithmisch generierte Persönlichkeitsprofilierung zurückgeht und so die medienvermittelte Interaktion neu zu konzeptionalisieren herausfordert. So sind bislang KI-gestützte Erzähl- Praktiken im Rahmen des Natural Language Processing, der Avatarerstellung und der Social-Media-Kommunikation noch wenig bis gar nicht erforscht.

Ausgehend von dieser Mikro- und Mesoperspektive ergibt sich in einem weiteren Schritt der Fokus auf die Makroebene, die Erzählvorgänge erfasst, die für mediatisierte „kleine Lebenswelten“ (vgl. Shibutany 1955) bzw. „mediatisierte Welten“ (vgl. Hepp 2013) charakteristisch sind.

Eine kulturwissenschaftliche Herangehensweise stellt mediatisiertes Erzählen als transdisziplinäres Phänomen ins Zentrum des Interesses. Dies kann etwa folgende Schwerpunkte und Leitfragen umfassen:

  • Begriffsbildung: Inwiefern lässt sich eine gemeinsame kulturwissenschaftliche Begriffsbestimmung von Narration, Erzählung und Storytelling in mediatisierten Kontexten vornehmen? Inwieweit wird dadurch die traditionelle Erzählforschung und -theorie (vgl. Genette 2010) ergänzt und welche neuen Erzählweisen regt die aktuelle Social-Media-Welt im Vergleich zur vergangenen massenmedialen an?
  • Welche Identitäten werden durch Erzählpraktiken geschaffen? Wie tragen sie zur Konstitution von neuen Erzähler:innenrollen bzw. Identitäts- und/oder Starinszenierungen in der mediatisierten Alltagskultur bei?
  • Welche medienkulturellen Muster und Praktiken mediatisierten Erzählens lassen sich empirisch beschreiben? Inwiefern werden diese multimodal realisiert?
  • Inwieweit prägen Medien und Dispositive Erzählvorgänge und -typen (vgl. Meier 2019; Michel 2022)?
  • Zu welchen Zwecken werden Erzählungen eingesetzt? Welche Rolle spielen sie im Modus der Unterhaltung einerseits und als diskursive Exemplare in Argumentationen andererseits?
  • Welche Erzähl-Situationen, -Formen und -Funktionen lassen sich im Rahmen des Natural Language Processing sowie KI-gestützter multimodaler Identitätskonstruktionen beschreiben?
  • Inwieweit reflektieren ko-konstituierte Erzählungen soziale Bindungen/Netzwerke bzw. sind sie an (temporären) Netzwerkbildungen beteiligt?
  • Inwiefern sind Erzählungen charakteristisch für „kleine Lebenswelten“ bzw. „mediatisierte Welten“? Inwiefern prägen solche „Welten“ wiederum Erzählungen?

 

Organisation

 

Stefan Meier (Koblenz)

Sascha Michel (Aachen)

 

Vorträge

 

Begrüßung und Einführung
Stefan Meier (Koblenz) / Sascha Michel (Aachen)

 

Politisches Storytelling. Form und Funktion einer diskursiven Praxis
Heiko Girnth (Marburg)

Politisches Storytelling stellt eine effektive diskursive Praxis der Konstruktion von Realität dar. Aufgrund seines spezifischen Persuasionspotenzials kann politisches Storytelling Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen, wobei es sich vor allem in der Art der mentalen Verarbeitung und der emotionalen Wirkung von rhetorischer Argumentation unterscheidet (vgl. Girnth/Burggraf 2019). Schnittstellen ergeben sich dort, wo politisches Storytelling einerseits die persuasive Kraft rhetorischer Argumentation verstärkt und „die Erzählung als rhetorisches Mittel der ›narratio‹ in einem konkreten argumentativ-persuasiven Sprachspiel eingesetzt wird“ (Weidacher 2018: 315). Zugleich wird politisches Storytelling erst durch die Einbettung in bestimmte Argumentationstopoi kontextualisiert und in seiner spezifischen Funktion für die jeweiligen Diskurse erfahrbar.  Die Funktion wird dabei von der narrativen Struktur bzw. Form des politischen Storytellings entscheidend geprägt, die sich beispielsweise in ihrem oftmals fragmentarischen Charakter von den Strukturen traditioneller Narration unterscheidet. Der Vortrag greift das scheinbare Spannungsverhältnis von rationaler rhetorischer und emotional narrativer Argumentation auf und zeigt exemplarisch an aktuellen politischen Diskursen wie etwa dem Klima- oder Ukraine-Diskurs, in welchen Formen politisches Storytelling auftritt und welche persuasive Kraft es entfalten kann.

Literatur:

Girnth, Heiko/Burggraf, Stefan (2019): Narration und Persuasion in der politischen Rede. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 49, S. 107–119.

Weidacher, Georg (2018): Erzählen als Element politischer Kommunikation in Sozialen Medien. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 48, S. 309–330.

Kurzbiografie:

seit 2008           apl. Professor an der  Philipps Universität Marburg

Forschungsschwerpunkte Politolinguistik, Pragmalinguistik und Dialektologie

1992–2008         Wissenschaftlicher Mitarbeiter/ Hochschuldozent an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

1999                 Habilitation

1992                 Promotion

1983-1989         Studium der Deutschen Philologie, Vergleichenden Sprachwissenschaft und Philosophie

Johannes Gutenberg-Universität Mainz

 

Liebes-Geschichten. Narrationen und Narrative der Liebe im Brief und in sozialen Medien.
Eva Wyss (Koblenz)

In Liebesbotschaften der sozialen Medien zeigen sich wie schon früher in Liebeskorrespondenzen unterschiedlichste Formen des Erzählens. Bisweilen dienen Narrationen dem Austausch von Alltagsgeschehnissen, dann wieder geht es um die Vergegenwärtigung des gemeinsamen Erlebens oder der Darstellung zukunftsbezogener Wunschfantasien. Narrationen fungieren gerade in sozialen Medien allerdings häufig als Teasermaterial für die Zwecke des Aufbaus kommerzieller Markenidentität.

Diese individuellen und paarbezogenen Narrationen werden allerdings überlagert vom Liebesdiskurs, der als Narrativ in unterschiedlichsten linguistischen Ebenen die sprachlichen Äusserungen durchdringt.

Diese grundlegenden linguistischen Ebenen und brieflichen Formen des Erzählens – also die „eigentlich“ narrativen Passagen – werden auf der Grundlage empirischer Briefmaterialien analysiert und typisiert. Abschließend wird versucht, diese Erzählformen und -formate vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Narrative des Liebesdiskurses, in einen diskursanalytische Modellierung zu integrieren und eine systematische Differenzierung zwischen unterschiedlichen medialen Realisierungsformen vorzunehmen.

Kurzbiografie: Eva L. Wyss ist Professorin für Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik am Institut für Germanistik der Universität Koblenz. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der sprach- und kulturwissenschaftlichen Text- und Medienanalyse, der Emotionsforschung und der Gender Studies und ihrer Vermittlung.

 

Multimedia-Journalismus in regionalen Medienunternehmen am Beispiel des MDR
Julia Walter (Mittweida)

Multimedialität und ihre journalistischen Darstellungsformen wie Scrollytelling, Webdokumentationen oder Multimedia-Stories haben sich dank früher Leuchtturmprojekte internationaler sowie überregionaler Medien wie „Snow Fall“ der New York Times oder „Mein Vater, ein Werwolf“ des SPIEGEL im Journalismus etabliert. Die Masterarbeit „Multimedia-Journalismus in regionalen Medienunternehmen am Beispiel des MDR“ widmet sich der Untersuchung des multimedialen Journalismus auf regionaler Ebene, insbesondere von sächsischen Medienunternehmen. Die Masterarbeit entstand im Rahmen des Landesforschungsprojektes „New Digital Storytelling and Social Journalism in Saxon Publishing Companies – Ökonomische, publizistische und technische Prozesse und Potenziale multimedialer Medienproduktion in sächsischen Medienunternehmen“ und betrachtet dazu in der zugrundeliegenden Untersuchung das Beispiel des MDR als öffentlich-rechtliche Plattform.

Anhand der Forschungsfrage „Wie setzen sächsische Medienunternehmen multimedialen Journalismus um?“ werden im Rahmen der Arbeit zentrale Begriffe wie Multimedia, Crossmedia und Transmedia voneinander abgegrenzt, relevante Aspekte des digitalen Journalismus und Storytellings dargelegt und ein Überblick des aktuellen Forschungsstandes zum Thema beschrieben, um die zentrale Untersuchung der Arbeit theoretisch zu untermauern.

Untersuchung

Um den breiten Forschungsbereich inhaltlich zu gliedern, wurden drei Untersuchungsdimensionen festgelegt: die publizistische, die technische sowie die ökonomische Dimension. Der Fragestellung wurde mithilfe eines multimethodischen Forschungsdesigns nachgegangen, bestehend aus einer Medieninhaltsanalyse von 70 Multimedia-Stories des MDRs sowie anschließender teilstandardisierter Leitfadeninterviews von fünf Expert*innen, die als Redakteur*innen sowie Redaktionsverantwortliche tätig sind.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass insbesondere das Tool Pageflow zur Erstellung von Multimedia-Stories zum Einsatz kam (in 57 von 70 Stories), doch auch einige „Leuchtturm-Projekte“ existieren, die über das lineare Erzählen hinaus auch komplexe Erzählstrukturen und einen hohen Grad an Multimedialität aufweisen. Die untersuchten Stories sind dabei unterschiedlich dramaturgisch aufgebaut. Stories, die in Dossiers oder übergreifende transmediale Strukturen eingegliedert sind, weisen vor Beginn der Story häufig Gliederungen auf mit Querverweisen z.B. in Form von Hyperlinks zu verwandten Geschichten, während in sich geschlossene Multimedia-Stories direkt in die Geschichte eintauchen – in Form von Texten, aber auch Video- oder Audioelementen. Die Immersivität, das Eintauchen in die Geschichte, profitiert dabei von verschiedenen Mitteln. Interaktionselemente wie Karten, Diagramme oder spielerische Module involvieren die Nutzer*innen über den passiven Konsum hinaus, aber auch der bewusste Einsatz von Multimedialität erhöht den Immersionsgrad. Dabei werden verschiedene Medienelemente, die sich gegenseitig ergänzen, so digital kombiniert, dass sie den Nutzenden einen direkten Mehrwert bieten. Insgesamt zeigt sich zudem, dass diese Art des multimedialen Storytellings weniger für nachrichtliche als vielmehr für narrativ oder informativ angelegte Themen genutzt wird, die demnach innerhalb des MDR eher von Redaktionen mit besonderem thematischem Fokus bespielt werden als von Nachrichtenredaktionen.

Biobibliographische Notiz

Walter, Julia (2023): Multimedia-Journalismus in regionalen Medienunternehmen am Beispiel des MDR. Masterarbeit, Mittweida: Hochschule Mittweida, University of Applied Sciences.

Literatur

Dowling, David/Vogan, Travis (2015): Can We “Snowfall” This? Digital longform and the race for the tablet market. In: Digital Journalism, Jg. 3, Nr. 2, S. 209-224, https://doi.org/10.1080/21670811.2014.930250.

Godulla, Alexander/Wolf, Cornelia (2018): Digitales Storytelling. In: Nuernbergk, Christian; Neuberger, Christoph (Hrsg.) (2018): Journalismus im Internet. Profession – Partizipation – Technisierung, 2. Auflage, Wiesbaden: Springer VS.

Haarkötter, Hektor (2019a): Journalismus.Online. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Haarkötter, Hektor (2019b): Lang, bunt und schön. In: Columbus Magazin online vom 04.02.2019, https://www.vdrj.de/lang-bunt-und-schoen/ (09.02.2022).

Hernandez, Richard Koci/Rue, Jeremy (2016): The Principles of Multimedia Journalism. Packaging Digital News, New York; London: Routledge.

McAdams, Mindy (2014): Multimedia Journalism. In: Zion, Lawrence; Craig, David (Hrsg.): Ethics for Digital Journalists. Emerging Best Practices, S. 187-201, New York: Routledge.

Nuernbergk, Christian; Neuberger, Christoph (Hrsg.) (2018): Journalismus im Internet.Profession – Partizipation – Technisierung, 2. Auflage, Wiesbaden: Springer VS.

Radü, Jens (2019a): New Digital Storytelling. Anspruch, Nutzung und Qualität von Multimedia-Geschichten. Baden-Baden: Nomos.

Radü, Jens (2019b): Was macht eine gute Multimedia-Reportage aus? In: Journalist, Nr. 6 (2019), https://www.journalist.de/startseite/detail/article/was-macht-einegute-multimedia-reportage-aus (09.02.2023).

Ryan, Marie-Laure (2019): Transmedia Storytelling and Its Discourses. In: Salmose, Niklas; Elleström, Lars (Hrsg.): Transmediations Communication Across Media Borders, S. 35-341, New York: Routledge.

Van der Nat, Renée/Müller, Eggo/Bakker, Piet (2021): Navigating Interactive Story Spaces. The Architecture of Interactive Narratives in Online Journalism. In: Digital Journalism, DOI: 10.1080/21670811.2021.1960178.

Kurzbiografie: Julia Walter ist seit September 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Mittweida im Landesforschungsprojekt „New Digital Storytelling and Social Journalism in Saxon Publishing Companies – Ökonomische, publizistische und technische Prozesse und Potenziale multimedialer Medienproduktion in sächsischen Medienunternehmen“, nachdem sie zunächst von 2017 bis 2020 ihren Bachelor of Arts in Medienmanagement sowie zwischen 2020 und 2023 ihren Master of Arts in Media and Communication Studies dort absolviert hat.

 

„Ich-Journalismus“: On-Presenting als kulturelle Praktik des subjektiven Erzählens in YouTube– Reportagen des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk
Janis Brinkmann (Mittweida)

Der Beitrag argumentiert aus einer Theorieperspektive auf Journalismus als kulturelle bzw. soziale Praxis (vgl. Raabe 2016; Buschow 2018a), dass die journalistische Praktik des „On- Presenting“, wie sie in Reportage-Formaten des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk praktiziert wird, eine kontemporär für die Wirklichkeitskonstruktion und Identitätsbildung junger Zielgruppen hochgradig einflussreiche Form des radikal subjektiven Erzähljournalismus unter den Bedingungen von Social Media darstellt. Vor der im CfP aufgespannten Hintergrundfolie eines authentischen, personalisierten und emotionalisierten „Digital Storytelling“ und anknüpfend an dort adressierte Forschungsfragen – insb. welche medienkulturellen Muster, journalistischen Praktiken und Erzählrollen sich in der „mediatisierten Alltagskultur“ herausbilden – vermisst der Beitrag den Praxiskomplex des „Ich-Journalismus“ anhand einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse von YouTube– Reportagen, die über halbstandardisierte Leitfadeninterviews mit Reporter:innen und Redakteuren der Presenter-Formate von funk trianguliert werden und arbeitet ein „strategisches Ritual“ der Subjektivität als prägend für journalistische Erzählweisen in sozialen Medien heraus.

Theoretisch wählt der Beitrag den Zugang einer strukturationstheoretisch integrierten Praxistheorie (vgl. Buschow 2018b), nach der Vermittlungsmodalitäten auf der Ebene sozialer bzw. kultureller Praktiken eine Scharnierfunktion zwischen Struktur und Handeln im Journalismus einnehmen (vgl. Abb. 1): Durch Rückgriff auf verschiedene Regeln und Ressourcen aktualisieren, (re-)produzieren und modifizieren journalistische Handlungsmuster die Sinn- und Herrschaftsordnungen der Praxiskonstellation des Journalismus. Konkret auf einen in der journalistischen Praxis als einflussreich wahrgenommen subjektiven Journalismus (vgl. Steensen 2017; Wahl-Jorgensen 2013; 2020) gewendet, nimmt der Beitrag subjektiv- journalistische Praktiken der Konzeption, Produktion und Distribution von Inhalten in den Blick, für die ein hoher erzählerischer Anspruch charakteristisch ist und dessen Inhalte, die u.a. von pionierjournalistischen „Millenial“-Medien wie BuzzFeed, Vice oder funk angeboten werden (vgl. Hepp et al. 2021) als neue Formen des Narrativen Journalismus verstanden werden können (vgl. Habers/Broersma 2014; Schlütz 2020; Kläs/Birkner 2020; vgl. Abb. 2).

Zur Beantwortung der forschungsleitenden Frage, wie Web-Reportage-Formate für junge Zielgruppen Wirklichkeit konstruieren und Journalismus praktizieren, analysiert die dem Beitrag übergeordnete Studie zum subjektiven Journalismus 1.155 YouTube-Beiträge von fünf funk-Presenter-Reportage-Formaten (Y-Kollektiv, STRG_F, reporter, follow me.reports und Die Frage) und wertet 28 Leifadeninterviews mit Reporter:innen und Redakteur:innen aus.

Auf Basis des empirischen Materials lässt sich dann der Praxiskomplex des „Ich- Journalismus“ skizzieren, der in praxi durch ein radikal subjektives Erzählen und Einordnen präsentierter Fakten ebenso geprägt ist wie durch eine konsequente Personalisierung über die Erzählfigur des/der On-Reporter:innen vor der Kamera. So thematisieren die Presenter die Zielgruppen- und Lebensweltthemen der Reportagen (z.B. Drogen, Sexualität oder psychosoziale Krankheiten) sehr konsequent durch persönliche Bezüge, recherchieren story- basiert und präsentieren Recherchergebnisse und die Handlung der Reportagen anhand von eigenen Gefühlen, Erfahrungen sowie persönlicher Meinung/Haltung (vgl. Abb. 3). Die hochgradig partizipativ ausgelegten Reportagen, die an verschiedenen Stellen der Beiträge ritualisiert die „vierte Wand“ durchbrechen, um direkt mit der Community zu interagieren, setzen zudem insb. bei Identitätsthemen (z.B. LGBTG, soziale Gerechtigkeit, Klimawandel, Radikalismus) auf ein konsequentes Empowern der Zielgruppe, das die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus verschwimmen lässt.

Zusammenfassend lässt sich nicht mit den großen Reichweitenerfolgen in der jungen Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen nicht nur das Herausbilden weiterer Presenter-Formate (z.B. Vollbild, Exactly oder ultraviolet stories) erklären, sondern in Anlehnung an Tuchman (1972) auch ein „strategisches Ritual“ der Subjektivität als charakterlich für diese Form des „Ich-Journalismus“ ableiten, dessen zunächst progressiver Ansatz inzwischen zur formatierten Routine zu verkommen droht – und damit wiederum die gesamte Praxiskonstellation des Journalismus beeinflusst.

Kurzbiografie: Prof. Dr. phil. Janis Brinkmann ist Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Fakultät Medien der Hochschule Mittweida. Er ist studierter und volontierter Journalist, lehrt insbesondere in der Studienvertiefung „Digital Journalism“ des Studiengangs Medienmanagement und forscht schwerpunktmäßig zum praktischen Journalismus, Medienökonomie und Medienpolitik sowie zu Media Accountability und Medienethik. Seine aktuellen Forschungsprojekte konzentrieren sich auf Formen des subjektiven Journalismus.

 

SLENDER MAN, AYUWOKI und Passive Income. Digitale folkloristische Erzählungen als Ausgangspunkt für eine Neubetrachtung der Aufgaben und Werkzeuge der Narratologie im Deutschunterricht in einer mediatisierten Welt
Bernhard Franke (Halle)

Eine zunehmend digitalisierte und mediatisierte Welt prägt auch Identitätsnarrationen und ihre Ausdrucksformen. Die entstehenden Narrative, so argumentiert der Beitrag, können als digitale folkloristische Erzählungen begriffen werden, die in sozialen Medien und anderen digitalen Plattformen entstehen. Dieser Beitrag untersucht die Strukturen der Entstehung, die Wirkung und Analysemöglichkeiten dieser Social-Media-Erzählungen mit Fokus auf Jugendliche mit Blick auf Handlungsoptionen des Deutschunterrichts und beleuchtet die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen.

Dazu werden für Medienkonsum (und -produktion) von Kindern und Jugendlichen relevante Social-Media-Beiträge analysiert: einerseits im Kontext ihrer multimodalen, plattformübergreifenden Entstehungsmustern, andererseits in ihren konkreten, plattforminternen Aufmerksamkeits-, Verwertungs- bzw. Monetarisierungslogik analysiert. So wird Zugang zu narratologischen Mustern verschiedener viraler Erzählungen ermöglicht, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu analysieren.

Die Untersuchung dieser verschiedenen Beiträge, von Creepypasta bis Finanz-Coach-Video, erfolgt je unter Rückbezug auf fachdidaktische Fragen für den Deutschunterricht im Dreischritt: erstens anhand ihrer Entstehungs- und Verbreitungsmuster, zweitens anhand folkloristischer Grundlagen, drittens anhand von Fiktions- und Faktualitätssignalen.

Ziel des Beitrags ist eine Neubetrachtung der Aufgaben und Werkzeuge der Narratologie im Deutschunterricht. Es werden Grundlagen für einen zeitgemäßen Deutschunterricht vorgestellt, der relevante narratologische Konzepte und Werkzeuge einbezieht und gleichzeitig solche berücksichtigt, die aus bisher im Deutschunterricht nicht üblichen Fachrichtungen stammen. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern ein Verständnis für die Bedeutung und Funktion von digitalen Erzählungen zu vermitteln und sie dazu zu befähigen, aktiv gemeinschaftliche Erzählkultur zu analysieren und an dieser teilzuhaben bzw. sie gegebenenfalls zu hinterfragen.

Der Beitrag schließt mit konkreten Handlungsempfehlungen für den Deutschunterricht, die aufzeigen, wie digitale folkloristische Erzählungen genutzt werden können, um narrative Kompetenzen zu fördern. Dabei wird der Einsatz neuer Technologien und Fachrichtungen wie der Medienwissenschaft, der Digital Humanities oder der Kulturwissenschaften in Betracht gezogen.

Hepp, Andreas (2013): Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten. [2. Aufl.]. Wiesbaden: Springer VS.

Martínez, (2021). Was ist und wozu dient Faktualitätskompetenz? Faktuale Erzähltexte als Gegenstand medialer Bildung. MiDU – Medien Im Deutschunterricht, 3(2), 1–11.

McDowall (2013). The Folklore of Finance. In: Folklore. Vol. 124, No. 3 (December 2013),  253-264

Moore (2023). The Momo Challenge and the Intersection of Contemporary Legend and Moral Panic. Contemporary Legend, 1, 1-34.

Ryan, M. L. (2015). Narrative as virtual reality 2: Revisiting immersion and interactivity in literature and electronic media.

Tolbert & Johnson (2019). Digital Folkloristics. In: Western Folklore, 78(4), 327-356.

Kurzbiografie: Bernhard Franke, M.Ed. studierte bis 2017 Deutsch, Informatik und Pädagogik an der TU Dresden und der KU Leuven. Zeitgleich arbeitete er bereits in der Jugend- und Medienbildung. Seit 2020 ist er Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Fachdidaktik Deutsch der Universität Halle-Wittenberg mit Schwerpunkt Mediendidaktik für den Deutschunterricht. Zuvor leitete er ebendort die technische Realisation im Projekt [D-3] zur Digitalisierung der Deutschdidaktik. In seinem Promotionsprojekt untersucht er Wellen- und Echoeffekte zwischen Fiktion und Wirklichkeit in den digitalen Medienwelten Jugendlicher mit den Schwerpunkten prosuming/Prosumption, Selbstwirksamkeitserfahrung und ästhetische (Medien)Bildung. https://deutschdidaktik.germanistik.uni-halle.de/bernhard-franke-m-ed/ Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Medienwechsel in (digitalen) Erzählungen, Arten und Funktionen von Visualisierungen in der Mediendidaktik und im (Deutsch-)Unterricht, Praxisphasen des Lehramtsstudiums

 

Herausforderungen für kritisches Denken im Zeitalter von TikTok: Desinformation zum Klimawandel in sozialen Medien
Oliver Klawitter (Erfurt) / Claudia Grümpel (Alicante)

Für viele Menschen, insbesondere für Jugendliche, sind soziale Medien heute ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags. Die Plattform TikTok hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen. Sie bietet eine Vielfalt an Videoinhalten, die von Nutzer:innen erstellt und geteilt werden. Fisher (1987) prägte den Begriff des Homo Narrans, des erzählenden Menschen, der davon ausgeht, dass alle Menschen Geschichtenerzähler sind und eine überzeugende Geschichte mehr Überzeugungskraft hat als Argumente. Jede Kommunikation ist demnach eine Erzählung und eine Form der sozialen Beeinflussung. Wenn Menschen beispielsweise ein TikTok-Video ansehen, rezipieren sie Geschichten. TikTok-Creator sind um Kontinuität und Kohärenz der eigenen Identität bemüht (vgl. Hall, 1994) und bringen in ihren Diskursen habituelle Orientierungen durch Erzählungen, wiederkehrende Aussagen, Formulierungen und Narrative zum Ausdruck. Insbesondere bei komplexen Themen wie dem Klimawandel können Inhalte aber falsch, polarisierend oder sogar demokratiegefährdend wirken. Desinformation erschwert oder verhindert das Aushandeln von Perspektiven und den produktiven Dissens, der für eine funktionierende Demokratie unerlässlich ist.

Der Beitrag untersucht Herausforderungen für kritisches Denken im Zeitalter von TikTok mithilfe der dokumentarischen Methode, die neben der Textebene insbesondere auch auf die qualitative Bild- und Videointerpretation zielt (Bohnsack, 2009). Wie Desinformation über den Klimawandel über TikTok verbreitet wird und welche Auswirkungen dies auf die öffentliche Meinung und das Handeln haben kann, wird anhand von Fallbeispielen diskutiert. Dabei werden insbesondere die kommunikativen Strategien und narrativen Selbstpositionierungen der Akteur:innen betrachtet. Durch den Einsatz narrativer Elemente erhöhen TikTok-Akteur:innen die Überzeugungskraft ihrer Botschaften, um das Publikum eher auf einer emotionalen und narrativen Ebene als durch rationale Argumentation anzusprechen. Die Ergebnisse zeigen: Desinformation und Argumente gegen den Klimawandel werden auch über etablierte Nachrichtenkanäle als Absender publiziert und über TikTok weiterverbreitet. Es zeigt sich, dass die Argumentation in den Narrativen eine anti-elitäre Haltung ausdrückt, die Ängste schürt.

Das Projekt stellt didaktische Ansätze vor, um das kritische Denken zu stärken und die Fähigkeit der Rezipienten zu verbessern, Desinformation zu erkennen und zu widerlegen. Ziel ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung von Kritikfähigkeit in unserer Zeit zu schärfen und Strategien vorzustellen, wie Lehrer:innen, Pädagog:innen und junge Menschen sich auf die Herausforderungen der Informationsgesellschaft vorbereiten können. Eine anschließende Diskussion wird sich auch mit der Frage befassen, wie Lehrpläne und Bildungsprogramme den Bedürfnissen der Schüler:innen im Hinblick auf die Förderung des kritischen Denkens gerecht werden können.

Kurzbiografie: OLIVER KLAWITTER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt im Forschungsverbund „Diktaturerfahrung und Transformation“, der Erfahrungen und Repräsentationen der späten DDR und der Transformationszeit untersucht und neue Formate des gesellschaftlichen Dialogs entwickelt. Seine Forschungsinteressen liegen in der Medienpädagogik und politischen Kommunikation. Er studierte Medienforschung und -praxis (TU Dresden) sowie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (Universität der Künste Berlin) und promoviert an der Universität Alicante über Medienkompetenz im Zeitalter künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung von Manipulation und Desinformation. Zuvor arbeitete er als Projektleiter und lehrte an der Hertie School, Berlin. Er sammelte wertvolle Berufserfahrung als Projektmanager in der Europäischen Kommission, als Projektleiter im Hochschulbereich und als Leiter des Verbindungsbüros einer edTech-NGO in Brüssel, die digitale Bildungsangebote für Geflüchtete anbietet. E-Mail: olliklawitter@gmail.com

 

Gegenentwürfe zum hegemonialen Wasserstoff-Narrativ in Tweets der deutschen Nachhaltigkeitsbewegung
Barbara Wessel (Bochum)

In der linguistischen Diskursanalyse und anderen wissenschaftlichen Disziplinen finden sich verstärkt Bestrebungen, den Begriff des Narrativs definitorisch zu schärfen. An diese Bestrebungen anknüpfend und dabei auch deutlich kritische Anmerkungen an der semantischen Unschärfe des Begriffs (u. a. Reisigl 2020) aufgreifend ist es zunächst notwendig, den Narrativ-Begriff von der literaturwissenschaftlichen Definition der Narration abzugrenzen. Im Anschluss an Liebert (2019) und Meer (2022; 2023) ist dabei entscheidend, dass es sich bei Narrativen um diskursive Strukturen handelt, die in unterschiedlichen Textsorten aufgegriffen werden und nicht ausschließlich an die Textsorte der Narration gekoppelt sind (vgl. Meer 2023: 8).

Diese grundlegende theoretische Differenzierung im Hinterkopf behaltend, möchte ich im Rahmen des Vortrags erste Befunde meiner Dissertation zum Thema „Gegenentwürfe zum hegemonialen Wasserstoff-Narrativ in Tweets der deutschen Nachhaltigkeitsbewegung“ teilen. Aufbauend auf aktueller theoretischer und empirischer Forschung zum Narrativbegriff aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (u.a. Meer 2023; Roos/Reccius 2021; Gadinger/Jarzebski/Yildiz 2014) untersuche ich in meiner Dissertation im Rahmen einer qualitativen Analyse Tweets von zehn Accounts der deutschsprachigen Nachhaltigkeitsbewegung, darunter u. a. der Aktivistin Luisa Neubauer, des Klimaforschers Stefan Rahmstorf, der Ökonomin Claudia Kemfert und des NABU. Die Daten wurden von Juni 2020 bis Ende Oktober 2022 mithilfe des Suchstrings *wasserstoff* erhoben. Die Analyse zielt darauf ab, Gegenentwürfe zum Wasserstoff-Narrativ im medialen Interdiskurs, das in einer aktuellen Studie anhand von Zeitungsartikeln herausgearbeitet und benannt wird (s. Meer 2023), zu identifizieren. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, an welche Widerstandspunkte diese Gegenentwürfe gegen das hegemoniale Wasserstoff-Narrativ anknüpfen.

Anhand von zwei Beispielanalysen legt der Vortrag den Fokus auf die argumentative Funktion von Narrativen. Dabei soll deutlich werden, dass narrative Elemente in argumentativen Kontexten genutzt werden, um zu beschreiben, zu argumentieren und zu kommentieren. Da Wasserstoff „einen diskursiv hochrelevanten Gegenstand im Zusammenhang mit der Transformation der aktuellen Energiepolitik“ darstellt (Meer 2023: 3), eignet sich das Wasserstoff-Narrativ bzw. dessen Gegenentwürfe gut, um exemplarisch die Wirkweise von Narrativen in der (energie-)politischen Argumentation aufzuzeigen.

Literatur

Gadinger, Frank/Jarzebski, Sebastian/Yildiz, Taylan (2014). Politische Narrative. Konturen einer politikwissenschaftlichen Erzähltheorie. In: dies. (Hrsg). Politische Narrative. Konzepte – Analysen – Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer Verlag. 3-38.

Liebert, Wolf-Andreas (2019). Zur Sprache Totaler Ideologien. Wie die Linguistik zum Verstehen extremistischen Denkens und Sprechens beitragen kann. In: Sprachreport 35. 1-12.

Meer, Dorothee (2022). Grean Deal, Naturschutz und Pandemie. Sprachliche und bildliche Aspekte der Kommunikation von Nachhaltigkeit in Form von Narrativen. In: Lars Berger/Hans-Werner Frohn/Christiane Schell (Hrsg.). Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Covid-19-Pandemie. Zum Verhältnis bestehender Krisenlagen. Bonn: BfN. 99-114.

Meer, Dorothee (2023). Zum Wasserstoffnarrativ und der diskursiven Rolle des Narrativs der Brückentechnologie. Ein empirisch gestützter Definitionsvorschlag. In: Zeitschrift für angewandte Linguistik (78). 1-33.

Reisigl, Martin (2020). ‘”Narrative!” I can’t hear that anymore’. A linguistic critique of an overstretched umbrella term in cultural and social science studies, discussed with the example of the discourse on climate change. In: Critical Discourse Studies. Vol 18(3). 368-386.

Roos, Michael/Reccius, Matthias (2021). Narratives in economics. Ruhr Economic Papers #922. Essen: RWI.

Kurzbiografie: Barbara Wessel promoviert mit diskurslinguistischem Schwerpunkt an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema „Gegenentwürfe zum hegemonialen Wasserstoff-Narrativ in Tweets der deutschen Nachhaltigkeitsbewegung“. Das Promotionsprojekt ist angebunden an die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Dorothee Meer zu Fragen der Kommunikation von Nachhaltigkeit innerhalb des politischen Diskurses der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus ist Barbara Wessel seit 2020 als Mentorin für Berufsfeldorientierung am Germanistischen Institut der RUB angestellt und betreut in diesem Zusammenhang u.a. das Programm „Schreibmentoring im internationalen Kontext“.

 

First-person cat accounts on Instagram and networks of emotion
Riitta-Liisa Valijärvi (London/Uppsala)

The purpose of this paper is to analyse first-person cat accounts on Instagram combining Georgakopoulou’s (2007, 2016) small stories framework, theory of emotion (Ahmed 2004), and Critical Animal Studies (Best et al. 2007). On first-person cat accounts the cats are the protagonists and narrators.

Many people consider cats to be family members and attribute well developed socio-cognitive skills to them (Pongrácz and Szapu 2018). In some cases, cats can be a preferable option to having children given the extent that we experience “peternal” feelings towards our “furbabies” (see Laurent-Simpson 2017; Owens and Grauerholz 2019), and they are mourned with the same intensity as other family members (Woolledge 2013).

Cats provide us healing not only at home but also in popular but contested cat cafés (Robinson 2019; Plourde 2014) and on campus as emotional support animals alongside dogs and ponies (Taylor 2016, see also Hart et al. 2018). Cats entertain and distract us, help us to regulate emotions and procrastinate both online and offline (Myrick 2015).

Against this background, my research questions are: What function do first-person cat accounts serve for the community of followers and the owner of the account? What types of emotion are performed in the posts, how and to what end? What is the general structure of these posts and comments?

The accounts chosen are @mrlondonmeow (UK; 11,500 followers), @eric_the_c.at (UK; 52,500 followers), @therealpercythepersian (USA; 111,000 followers) @nala_cat (USA; 4,5 million followers), @cobythecat (USA; 1,8 million followers), @truffles_the_kitty (USA; 111,000 followers). The method is qualitative and multimodal examining photos, emojis, and written comments. The analysis shows that through the Instagram posts we become able to communicate with the Other (cat) in a network of shared values, and positive emotion such as love, attachment, and kawaii (cf. Fryer 2022).

References

Ahmed, Sara. 2014. The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh: Edinburgh University Press.

Best, Steve; Nocella, Anthony J.; Kahn, Richard; Gigliotti, Carol, & Kemmerer, Lisa. 2007). Introducing Critical Animal Studies. Journal for Critical Animal Studies 5 (1).

Georgakopoulou, Alexandra. 2007. Small Stories, Interaction and Identities. Amsterdam: John Benjamins.

Georgakopoulou, Alexandra. 2016. From Narrating the Self to Posting Self(ies): A Small Stories Approach to Selfies. Open Linguistics 2(1):300-317.

Fryer, Daniel Lees. 2022. AllCatsAreBeautiful: Ambient affiliation and the visual-verbal representation and appreciation of cats in online subversive discourses. Discourse & Society 33 (1):3-33.

Hart, Lynette A.; Thigpen, Abigail P.; Willits, Neil H.; Lyons, Leslie A.; Hertz-Picciotto, Irva & Hart, Benjamin L. 2018. Affectionate Interactions of Cats with Children Having Autism Spectrum Disorder. Frontiers in Veterinary Science 5:39-39.

Laurent-Simpson, Andrea. 2017. Considering Alternate Sources of Role Identity: Childless Parents and Their Animal “Kids”. Sociological Forum 32(3):610-634.

Myrick, Jessica Gall. 2015. Emotion regulation, procrastination, and watching cat videos online: Who watches Internet cats, why, and to what effect? Computers in Human Behavior 52:168-176.

Owens, Nicole & Grauerholz, Liz. 2019. Interspecies Parenting: How Pet Parents Construct Their Roles. Humanity & Society 43(2):96-119.

Plourde, Lorraine. 2014. Cat Cafés, Affective Labor, and the Healing Boom in Japan. Japanese Studies 34(2):115-133.

Pongrácz, Péter & Szapu, Julianna Szulamit. 2018. The socio-cognitive relationship between cats and humans – Companion cats (Felis catus) as their owners see them. Applied Animal Behaviour Science 207:57-66.

Robinson, Amanda S. 2019. Finding healing through animal companionship in Japanese animal cafés. Medical Humanities 45 (2):190-198.

Taylor, Judy Sutton. 2016. Who let the dogs, cats and ponies in? Colleges see an uptick in requests for emotional support animals on campus. ABA Journal 102(7): 9.

Woolledge, Jeanie. 2013. Experiences of Childless Women with Grief after Losing a Pet: A Phenomenological Study. PhD dissertation. Capella University. ProQuest Dissertations Publishing.

Kurzbiografie: Riitta-Liisa Valijärvi is Associate Professor of Finnish and Minority Languages at University College London. She recently organised an interdisciplinary conference on cats. Her research interests include endangered and minority languages, nonbinary and genderqueer language, Meänkieli, Greenlandic, song lyrics, and cats in culture and society.

Panel 15: Die Stummheit der Materialien: Über kulturwissenschaftliche und künstlerische Methoden (Performance)

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30 – 18:30 Uhr
UNESCO-Weltkulturerbe Völklinger Hütte

 

Dieses Panel findet im UNESCO-Weltkulturerbe Völklinger Hütte statt! Start des Panels um 16:30 Uhr an der zentralen Bushaltestelle Universität Campus: Wir fahren mit Bus und Zug gemeinsam nach Völklingen, wo das Panel ab 17:30 Uhr in der »Handwerkergasse« (Ateliers der HBK Saar) fortgeführt wird!

This panel takes place at the »Handwerkergasse« (HBK Saar) of the UNESCO World Heritage Site Völklinger Hütte! Meeting Point: 16:30 at the Campus bus stop. We will travel together by bus and train to Völklingen, where the panel will continue from 17:30 at the »Handwerkergasse« (studios of the HBK Saar)!

 

 

„Der gemeinsamen Stummheit“ zwischen Menschen und Dingen nachgehen

(Béla Baláz, Der sichtbare Mensch, 1924)

 

Das Panel „Die Stummheit der Materialien“ lädt zu einem Austausch zwischen KünstlerInnen und KulturwissenschaftlerInnen ein, um gemeinsam an Methoden zu arbeiten, welche uns die Stummheit der Materialien und die Sprache des Körpers näherbringen. In Form von (lecture) performances sind Gäste eingeladen worden, ihre Projekte und Methoden zu präsentieren. Die Vorführungen werden am 28. September an der HbK Saar, in der Handwerkergasse des Weltkulturerbes Völklinger Hütte, in Völklingen stattfinden.

Eine Kooperation zwischen der Kunstuniversität Linz (Professur für Künstlerische Forschung) und der HBK Saar (Professur für Bildhauerei/Public Art).

 

Organisation

 

Amalia Barboza (Linz)

Georg Winter (Saarbrücken)

 

 

Gäste

 

AG AST Arbeitsgemeinschaft anastrophale Stadt und die Spekulativen Nomad*innen

Andressa Miyazato (Tänzerin und Performerin, Kunstuniversität und Bruckner Universität Linz)

Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann (Künstler*innen, Kunstuniversität Linz, Teil des Werkstatt-Kollektives Habibi.Works)

Internationale Kompostist*innen Völklingen

rrrrröCHlingsrrröCHInChor HBKsaar und der krrrrOrchester der Kunstuniversität Linz,

Stephan Schmidt-Wulffen (Kunsttheoretiker und Kurator)

 

 

„Kann uns ein gemeinsames Tun im Material, ein kollektives Umgehen mit Materialien die Stummheit der Materialien näherbringen? Können wir so mit ihnen in Austausch treten? Oder lassen sich auf diese Weise gar Stummheiten in einer zwischenmenschlichen Kommunikation überbrücken?“ (Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann)

„Hände/ Gummi/ Baum/ Samen/ Blut/ Marmor/ Schweiß/ Spiegel/ Haut/ Rost/ Säulen/ Wirbelsäule/ Bewegung/ Oberfläche/ Stahl/ Federn/ Waffe/ Zivilisation/ Eingeweide: Auf welche Art von Anatomie deutet diese Komposition hin? Eine Performance über die Stummheit der Materialien des Teatro Amazonas in Manaus, Brasilien“ (Andressa Miyazato)

„Schleifen, schneiden, löten, übermalen, ätzen… Diese sind einige der Techniken, um Metalle zu bearbeiten. Auch wenn diese Techniken sehr routiniert angewandt werden, gibt es in der Bearbeitung oft Momente, wo das Material sich unseren Erwartungen widersetzt.“ (Sounds und Stimmen aus dem rrrrröCHlingsrrröCHInChor HBKsaar und der krrrr-Orchester der Kunstuniversität Linz)

Panel 16: Materielle Kultur und populäre (Fest-)Praktiken (Workshop)

Freitag, 29. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

Seit Gründung der KWG diskutiert die Sektion unterschiedliche Aspekte und Facetten materieller Kulturen in jeweiliger Anlehnung an das allgemeine Tagungsthema. Das Panel im Rahmen der Jahrestagung 2023 möchte die Rolle von Gegenständen und ihrer Narrative sowie insgesamt die Materialität von populären Kulturen, ihrer Repräsentationsformen und Praktiken als Bestandteil einer Aushandlung von Normen, Werten und Ideologien anhand von Beispielen aus populären Festkulturen beleuchten.

Was aber sind „populäre Kulturen“? Während die einen in der breiten Rezeption des „Populären“ seit den 1960er Jahren eine Befreiung vom Joch der „Hochkultur“ sehen, beklagen Andere eine schichtenübergreifende Eventisierung der (westlichen) Gesellschaft mit ihrem überbordenden Konsum- und Unterhaltungsangebot. Greifen die Schemata von „Hochkultur“ und „Volkskunst“, von „Kunst“ und „Kulturindustrie“, von „Popkultur“ und „Trivialität“ noch oder sind die Übergänge längst fließend und die entsprechenden Unterschiede damit neutralisiert worden? Ist die diagnostizierte Erlebnis- und Genusssucht ein typisches Phänomen der (Post-)Moderne oder gibt es historische Vorbilder? Gilt das Top-down-Modell auch für künstlerische Praktiken und ihre materiellen Erzeugnisse?

„Populäre Kulturen“ bilden gegenwärtig einen eminent wichtigen gesellschaftlichen Raum zur Aushandlung von sozialen und kulturellen Normen, Werten und Maßstäben und damit auch zur kritischen Auseinandersetzung mit den damit verbundenen politischen Ideologemen. Sie sind in der Lage, soziale Impulse, aktuelle Konflikte, kurzlebige Trends und wechselnde Moden aufzunehmen, sich affirmativ oder auch kontrastiv mit dem Gewohnten auseinanderzusetzen und dabei soziale Hierarchien zu durchbrechen oder zu verfestigen. Deutlich sichtbar wird dies in den populären Festkulturen, von den antiken Dionysien und Saturnalien über die spätmittelalterlichen Fastnachtsbräuche und Prozessionen bis hin zu Schützenfesten, Sportevents oder Musikfestivals. Dabei erweisen sich materielle Gegenstände als signifikante Ausdrucksformen und Funktionsträger populärkultureller Praktiken: Sie rahmen und begleiten die Veranstaltung, koordinieren Bewegungsabläufe, orientieren Blicke und Erwartungen und wirken atmosphärisch auf die Teilnehmenden ein.

Während die Performanz- und daran anschließend die Ritualforschung den kollektiven Aktivitäten zeit- und raumübergreifend vielfach Aufmerksamkeit gezollt hat, konnten die konkrete Dinge weniger Interesse auf sich ziehen. Eben darauf aber soll sich unser Sektionsworkshop konzentrieren: Welche Rolle spielen materielle Gegenstände bei „populär“ indizierten Veranstaltungen? Wie, wann, wo, von wem und aus welchen Gründen werden sie eingesetzt? Wie werden sie gehandhabt, medial repräsentiert, konsumiert und/oder auch transformiert? Wie ist die agency beschaffen, die diese Dinge formt, heranzieht, zitiert, in Szene setzt und ihnen Ausdruck und Bedeutung verleiht?

 

Organisation

 

Nicole Maruo-Schröder (Koblenz)

Marion Steinicke (Koblenz)

 

Vorträge

 

Einführung
Nicole Maruo-Schröder (Koblenz)

Kurzbiografie: Nicole Maruo-Schröder ist Amerikanistin und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet im Institut für Anglistik und Amerikanistik. Besondere Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind u.a. die Themenbereiche Material Culture Studies (mit besonderem Fokus auf literarischer Konsumdarstellung und Esskulturen) sowie „Traveling Bodies“ in Reiseliteratur.

 

Die “Fiestas de Moros y Cristianos”: eine dialektische Festkultur im Spanien des 21. Jahrhunderts
Resul Karaca (Paderborn)

Kurzbiografie: Resul Karaca ist seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Romanistik an der Universität Paderborn. Nach seiner Promotion zur Korrelation zwischen der nationalen Identität und der religiösen Identität der Muslime in Frankreich, habilitiert und forscht er seit Juli 2021 an der Universität Paderborn im Bereich der spanischen Literatur- und Kulturwissenschaften zu dem Thema Kurzgeschichten über Fußball in Argentinien.

 

Wert-Transformationen von Alltagsobjekten auf Festen
Stefanie Mallon (Göttingen)

Kurzbiografie: Stefanie Mallon ist empirische Kulturwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten ‚Materialität & Wissen‘ und ‚Critical Fashion‘. Seit 2021 organisiert sie im Team der Responsible Fashion Series internationale Veranstaltungen. 2018 hat sie ihre Dissertation mit dem Titel ‚Das Ordnen der Dinge‘ veröffentlicht. Ihre Zu ihren Co-Herausgaben gehören ‚Der Tod und das Ding‘ mit Studien zu Textilien im Kontext von Tod (2020) und der Sammelband ‚Welt.Wissen.Gestalten‘ (2021).

Panel 17: Ästhetische Kulturwissenschaften — Eine Ästhetik des Populären?

Freitag, 29. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

„Eine Ästhetik des Populären?“

 

In seinem Buch „Die Schönheiten des Populären“ plädiert Kaspar Maase nachdrücklich für ein Verständnis der „Eigenständigkeit, Eigenlogik und Selbstzweckhaftigkeit ästhetischer Praktiken in der Alltags- und Populärkultur“. Den sozialwissenschaftlichen Paradigmen entgegen tretend, die das Populäre primär in seiner Funktion als Ablenkung oder Kompensation, als Stimulation oder Distinktion verstehen möchten, beobachtet Maase in den spätmodernen Gesellschaften variierende „Schönheitserfahrungen“ im Feld von Alltag, Konsum- und Popkultur.

Maases Plädoyer hat in den letzten Jahren vermehrt Widerhall gefunden. Positionen, die E- und U, Kunst und Populäres nicht mehr gegeneinander ausspielen, sondern Begriffe und Konzepte der Ästhetik auf populärkulturelle Phänomene und Artefakte beziehen, sind weithin sichtbar geworden. Dennoch bleibt offen, ob es Sinn macht, von den vielfältigen Schönheitserfahrungen auf eine Ästhetik des Populären zu schließen und sich damit in eine philosophiegeschichtliche Tradition zu stellen, die den Werkcharakter zentral stellt, womit Modi des Vollzugs, der Praktiken oder der Rezeption und Erfahrungen ästhetischer Artefakte partiell aus dem Blick geraten können.

Das Panel möchte seinen Titel deshalb als eine Hypothese verstehen, die aus unterschiedlichen Perspektiven befragt wird. Anders, und methodologisch formuliert: Was beobachten und erkennen wir, wenn wir dem Populären eine eigenlogische Ästhetik unterstellen? Dabei nutzen wir die Möglichkeit divergierender und doch miteinander korrespondierender Perspektiven, indem sich alle drei Vorträge auf ein gemeinsames Phänomen – auf den ästhetischen Umgang der Popkultur mit (ihrer) Geschichte nämlich – konzentrieren und jenes beleuchten.

 

Organisation

 

Stefan Krankenhagen (Hildesheim)

 

Vorträge

 

“In this house”. Pop-Persona, Sozialfigur und Stilgemeinschaft zwischen Ästhetik und Politik und Pop-Ästhetik
Moritz Baßler (Münster)

Taylor Swifts Fußmatte eröffnet die Frage nach dem Wir gegenwärtiger Stilgemeinschaften. Die Selbstzuordnung zu Gemeinschaften, die sich um den Star bilden, galt lange als freie, aber in ihren Konsequenzen wenig verbindliche „Quasivergesellschaftung“ (J. Venus). Was aber geschieht, wenn die ästhetische Konstitution von Tribes über das Ästhetische hinausgreift in Fragen der Lebensgestaltung und schließlich der Politik?

 

Geschichte und Pop-Ästhetik
Thomas Hecken (Siegen)

Pop wird oftmals mit Gegenwärtigkeit verbunden. Darum stellt sich die Frage, ob es Pop-Ästhetiken gibt, die Beschreibungs- und Analysekategorien anbieten, um Historisches in den Blick zu nehmen. Zudem wird sich der Vortrag der Frage widmen, wie es um die Tradition der Pop-Ästhetik selbst bestellt ist.

 

“Who lives, who dies, who tells your story?“ Oder: die Frage der Autorschaft in populären Geschichtsinszenierungen ist eine Frage der ästhetischen Praxis
Stefan Krankenhagen (Hildesheim)

Biopics und True Crime Formate: In der Popkultur scheint reale Geschichte Konjunktur zu haben. Die Überlegungen für diesen Vortrag gehen davon aus, dass in popkulturellen Inszenierungen von Geschichte auf ästhetische Weise eine Unklarheit darüber etabliert wird, wer über Geschichte verfügt, wer der oder die Erzählerin von Geschichte ist. Ein solches Verfahren, das genau die Frage, wer Geschichte schreibt in das Zentrum der Inszenierungen rückt, ist zurückzuverfolgen bis ins 19. Jahrhundert; sie soll hier aber am Beispiel des Musicals Hamilton aufgezeigt und die Frage gestellt werden, welches „Begehren nach Geschichte“ (Hayden White) in Hamilton bedient wird.

Panel 18: Komische Kasuistiken. Zur Reflexion von Kulturtechniken in populären Artefakten

Samstag, 30. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

Alltägliche, selbstverständlich anmutende Kulturtechniken bilden eine wichtige Grundlage komischer Darstellungen: Filme und Texte, Bilder und Theateraufführungen inszenieren, um Lachen zu evozieren, abweichende, misslingende oder maßlos übertriebene Ausführungen von kulturellen Praktiken. Zu denken ist bspw. an den Austausch lächerlich schmachtender Liebesbriefe in humoristischer Prosa oder an die irrwitzigen Autofahrten und Verfolgungsjagden im Slapstick. Hierüber reflektiert das Komische sozial ausgehandelte Konventionen und Gesetzmäßigkeiten; zugleich macht es geradezu analytisch auf die Instabilität und Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Sinn- und Orientierungsmuster aufmerksam. Daher sind komische Artefakte als zentrale Verhandlungsorte kulturellen Wissens zu verstehen; zentral nicht zuletzt, weil das Komische im Sozialen eine ungleich populärere Position einnimmt als die sogenannte Hochkultur, deren Nutzung und Diskussion auf spezifische Gruppen beschränkt bleibt.

Just als Teil der Populärkultur kämpfen komische Artefakte auch in der Forschung gegen moralische Abwertungen an, obwohl sie – so der Ausgangspunkt des Panels – als Studienobjekte thematisch reichhaltig, strukturell komplex und epistemologisch irritierend sind. Als eine Praxis der kulturellen Selbstverständigung bildet das Komische eine wissensbasierte, historisch veränderliche und medial wandelbare Kulturtechnik, die es zu erforschen gilt. Womöglich rührt das bisweilen zurückhaltende wissenschaftliche Interesse daher, dass das Komische als ein „unsystematischer Gegenstand” erscheint, der sich „Ordnungsversuch[en] geradezu konsequent entzieht”, so Joseph Vogl in Kafkas Komik. Vogl schlägt vor, nicht auf eine Systematik, sondern auf eine Kasuistik zu setzen, um die eher impliziten kulturellen Vorschriften und Prinzipien an komischen Einzelfällen greifbar zu machen. Vor diesem Hintergrund geht es dem Panel um die jeweils konkrete historische wie mediale Inszenierung von Kulturtechniken in und durch komische Darstellungen. Das Vorgehen lässt sich auch seriell denken, bspw. als Untersuchungen, die auf Reihen verschiedener Darbietungsformen einer spezifischen kulturellen Praxis beruhen – sei das Suppe löffeln, Schuhe binden oder ein Gedicht aufsagen.

Serialität verbindet das Komische mit dem Populären: Belustigende Situationen zeichnen sich nicht selten durch Wiederholungen aus (mögen diese auch durchkreuzt werden, um das Gelächter durch plötzlich enttäuschte Erwartungen zu potenzieren); populäre Formate etablieren sich nicht zuletzt aufgrund von repetitiven narrativen Bögen, Figurenkonstellationen oder medialen Arrangements. Vorschnell verkannt als eine ideologische Nähe zu industriellen Prozessen und Massenware, birgt der serielle Charakter erhebliches analytisches Potenzial, kann so doch erschlossen werden, wann und wo Umbrüche in Darstellungsverfahren, gesellschaftlichen Funktionen und ästhetischen Wirkungsweisen stattfinden.

Das Panel nimmt komische Kasuistiken doppelt in den Blick. Einerseits, indem danach gefragt wird, was das Komische als Reflexionsmedium von Kulturtechniken leistet. Andererseits, indem die Vorträge eruieren, mit welchen komischen Techniken und Mitteln, in und mit welchen populären Medien und Artefakten sich dies ereignet. In und aus dieser wechselseitigen Durchdringung lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf die jeweiligen gesellschaftlichen und medialen Konfigurationen ziehen, sondern gleichfalls darauf, welche vielfältigen Funktionen das Komische als kulturelle Praxis ausübt.

 

Organisation

 

Annette Keck (München)

Roxanne Phillips (Essen)

 

Vorträge

 

Komische Gewalt: Über Figurationen unenthebbaren Lachens
Kurt Hahn (Graz)

Seit Aristoteles’ Poetik gilt es als ausgemacht, dass komische Handlungen zwar ebenso fehlerhaft wie lächerlich sind, jedoch weder nachhaltig schmerzen noch ins Unglück stürzen. Wie die Kulturgeschichte des Lachens mannigfaltig demonstriert, ist die damit indizierte ‚Enthebbarkeit‘ (K.-H. Stierle) des Komischen gleichwohl so sicher nicht; nicht einmal in ästhetischen Figurationen des Komischen, wo Verlachen und Belachen gemeinhin virtuos eng geführt werden. Die Frage, ob über physische oder psychische Grausamkeiten gelacht werden darf – so sie in grotesker Verzerrung, parodistischer Überzeichnung oder fremdbestimmter Mechanik inszeniert werden – kehrt unter Signaturen spezifischer Historizität oder politischer Aktualität regemäßig wieder. Sucht man sie indes grundsätzlicher, im Hinblick auf ihre kultursymptomatische Dimension zu stellen, tun sich unweigerlich Abgründe auf, welche die emotionale ‚Anästhetisierung‘ der/des Lachenden („le comique exige […] une anesthésie momentanée du cœur“, H. Bergson: Le Rire) weit übers Momenthafte ausdehnen, ja womöglich ins Anthropologische vertiefen.

Der hoch ambige Befund, dass auch dem amoralisch Bösen und der Brutalität komisches Potential eignen kann, bringt dessen aristotelisch inspirierte und komiktheoretisch tradierte ‚Sublimierung‘ gehörig ins Wanken. Anhand einer Beispielreihe, die vorrangig die französische Hoch- und Populärkultur adressiert, nimmt sich der Vortrag ebendieser Ambiguität an und fragt nach Darstellungs- und Rezeptionsmodi, nach epistemologischen Ermöglichungen sowie denkbaren Interpretationsmustern einer Komik, die schmerzt, und eines Lachens, das nicht unbedingt im Halse stecken bleibt. Konsistent geschlossene Deutungsangebote stehen dabei freilich nicht zu erwarten, zumal dem Rückfall in logozentrische Fixierungen vorzubeugen ist, die u.a. atavistisch wilde Körperlichkeit am Ursprung solch einer Komik der Gewalt sähe. Außer Zweifel steht: Das Komische als Kulturtechnik zu begreifen, erfordert auch, seine Exzesse und blinden Flecken in Rechnung zu stellen; und das umso mehr, als diese ungemeine Popularität entfalten können.

Kurzbiografie: Kurt Hahn ist Professor für Romanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Graz; er forscht zu transatlantischen Kulturtransfers, (post-)moderner Lyrik französischer und spanischer Sprache sowie zu medialen und ökonomischen Aspekten des Literarischen. Unter seinen Publikationen siehe u.a. Ethopoetik des Elementaren – Zum Schreiben als Lebensform in der Lyrik von René Char, Paul Celan und Octavio Paz (2008); „Mentaler Gallizismus“ und transkulturelles Erzählen – Fallstudien zu einer französischen Genealogie der hispanoamerikanischen Narrativik im 19. Jahrhundert (2017); Unendlichkeiten: Lesarten einer (post-)modernen Denk- und Textfigur (2020, hg. mit Barbara Kuhn/Jobst Welge); Finanznarrative als Krisennarrative: Literarische und filmische Modellierungen „kapitaler“ Erschütterungen in der Romania (2021, hg. mit Marita Liebermann). Zur Fragestellung des Panels siehe „Zerrbilder zwischen Vitalismus und Mortalismus – Alfred Jarrys Ubu-Figur und die Komik im Ausnahmezustand“, in: Stephan Leopold/Dietrich Scholler (Hg.): Von der Dekadenz zu den neuen Lebensdiskursen. Die französische Literatur und Kultur zwischen Sedan und Vichy, München: Wilhelm Fink 2010, S. 191-210, oder „Trojanische Operationen zwischen Welt und Text – Von den zwei Seiten des Deskriptiven und drei mehr oder minder komischen Fällen“ (publ. vorauss. 2023).

 

Die Treppe, das Stürzen. Komische Einzelfälle in Serie
Roxanne Phillips (Essen)

Welche automatisierten Bewegungen verrichtet werden müssen, um eine Treppe zu besteigen, bedenken wir im Alltag meist nicht – es sei denn, etwas läuft gehörig schief. Die ungewohnte Bauweise von Stufen oder die eigene Unachtsamkeit können Fehltritte und mit diesen die sonst routinierten Abläufe buchstäblich zum Erliegen bringen. Dabei ist Treppensteigen nicht allein eine zu erlernende Körper-, sondern ebenfalls eine Kulturtechnik, organisieren doch unausgesprochene Regeln das Fortkommen: Wer etwa langsam ist, steigt am Rand hinauf/hinab, zügig gehende Personen scheren zum Überholen (und unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs) in die Mitte aus. Wie populäre Slapstickfilme des frühen 20. Jahrhunderts erkennen und seriell inszenieren, bergen Treppen und insbesondere die zugehörigen Stürze erhebliches komisches Potenzial. Die Kamera nimmt dabei die Möglichkeiten des neuen Beobachtungs- und Unterhaltungsmediums Film, technische Innovationen wie die Rolltreppe und gleichfalls eine Urszene und Grundtechnik des Komischen in den Blick: das Fallen.

Bereits Thales von Milet erzeugt (unfreiwillig) Komik, weil er vor den Augen einer thrakischen Magd in einen Brunnen fällt; Jahrhunderte später erheben zahlreiche lazzi der Commedia dell’arte den stürzenden Körper zum lustigen Spektakel. Hutcheson spricht im 18. Jahrhundert davon, dass „the strange Contortions of the Body in a Fall” einen exzellenten Lachanlass bieten und auch bei Bergson fehlt der Hinweis nicht. Im Slapstick machen die exzessiv in die Länge gezogenen akrobatischen Fallkünste auf Grundbedingungen des physischen in-der-Welt-Seins aufmerksam: auf die Schwerkraft, die konstant in den Abgrund zieht, auf die Umwelt und die Dinge in ihr, die zum Sturz beitragen oder ihn verhindern können, auf die fragile Materialität des durch Raum und Zeit fallenden Körpers. Das Publikum bekommt den Körper dabei auch selbst, spätestens nämlich beim eigenen Lachen zu spüren. Paradoxerweise setzt die vermeintliche Ungeschicklichkeit der Darstellenden und die Disruption regelhafter Abläufe eine immense Körperbeherrschung sowie eine präzis choreografierte Artistik des Fallens voraus. Es handelt sich damit um eine dissimulatio artis: Die Figuren mögen unbeholfen bis tollpatschig wirken, doch ihre virtuose Performance geht auf einstudierte Körpertechniken zurück – deren Relevanz für Disziplinargesellschaften nicht zu unterschätzen sind. Anhand einer um Treppen zentrierten Serie von Einzelfällen eruiert der Vortrag, weshalb das komische Stürzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine derartige Popularität entfaltet, wie das Fallen lustig dargestellt und welches kulturelle Wissen dabei verhandelt wird.

Kurzbiografie: Roxanne Phillips ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen. Zuvor lehrte sie am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie 2020 ihre Promotion abschloss. Ihre Forschung zu Literatur und Film untersucht u.a. Regierungs- und Erzähltechniken, medizinisches Wissen sowie Geschlechts- und Autorschaftskonstruktionen seit dem 18. Jahrhundert. Aktuell arbeitet sie an einem Comedy-Studies-Projekt zu komischen Körpern zwischen Aufklärungskomödie und Slapstick. Jüngere Publikationen: Die Regierung der Menschen erzählen. Figurationen der Gouvernementalität bei Streeruwitz, Meinecke und Mora (Würzburg: Königshausen & Neumann 2022); „Wiederholung, Differenz, Exzess. Lektüreverfahren des Weihnachtsfilms, oder: Gremlins liest It’s a Wonderful Life“. In: Weihnachtsfilme lesen. Hg. v. Andrea Geier/Irina Gradinari/Irmtraud Hnilica (Bielefeld: transcript 2023), S. 257–279.

 

Ridiculing Courtship: Humor and Intimacy in Tabitha Gilman Tenney’s Female Quixotism
Leopold Lippert (Münster)

Tabitha Gilman Tenney’s two-volume novel Female Quixotism: Exhibited in the Romantic Opinions and Extravagant Adventures of Dorcasina Sheldon (Boston, 1801) rests on a simple comic ploy: Because Dorcasina Sheldon, a wealthy white woman who lives some thirty miles outside Philadelphia with her father, has read too many novels, she falls for an unrealistic, or quixotic, notion of romantic love and cannot find a husband in real life. Tenney’s anti-novel novel is essentially a social satire concerned with ridiculing overblown heterosexual courtship practices—in a long series of scenes, it details suitor after suitor, rejection after rejection, and, in a long biographical arc, accompanies its heroine Dorcasine to lonely old age.

Literary scholars who have engaged with the text since its feminist recovery in the 1980s have been divided over its critical potential. On the one hand, Female Quixotism’s satire and eventual dismissal of courtship practices as a road to straight temporality has been lauded by queer critics, as has its representation of masquerade, cross-dressing, and cross-racial intimacy. On the other, critics have suggested that the novel’s emancipatory potential is severely stifled by its heteropessimist framework, its misogynist and anophobic descriptions of Dorcasina, and its moralistic address of its (supposedly) female readers.

My own talk is specifically interested in the role humor plays in the assessment of the novel’s emancipatory potential, especially relating to its representation of gender and sexuality. In doing so, I understand “courtship” as an everyday heteroconservative practice of popular culture that is ridiculed in the novel in serial and repetitive form. As such, ridicule creates critical, perhaps even reflexive, distance to the seeming self-evidence of such courtship practices, pointing to the heterosexist assumptions on which they rest. At the same time, however, the affective economy of humor bases such ridicule in a much more foundational intimacy between the text and its readers—readers who are willing to engage with the novel’s jokes and take pleasure from that engagement. The popular politics of humor relies on this intimacy, as readers of Female Quixotism need to affectively affirm its humorous situations at the same time as they are dissociated by the critical distance these situations create.

Kurzbiografie: Leopold Lippert teaches American Studies at the University of Münster. He holds a PhD in American Studies (University of Vienna, 2015) and received the 2016 Fulbright Prize in American Studies for his dissertation. He is the author of Performing America Abroad: Transnational Cultural Politics in the Age of Neoliberal Capitalism (Winter, 2018). His second book project is concerned with the relationship of humor, intimacy, and the public sphere in late-eighteenth-century America. He has recently co-edited three volumes: American Cultures as Transnational Performance: Commons, Skills, Traces (Routledge, 2022; with Katrin Horn, Ilka Saal, and Pia Wiegmink); The Politics of Gender in Early American Theater: Revolutionary Dramatists and Theatrical Practices (Transcript, 2021; with Ralph J. Poole); and a special issue of JCDE: Journal of Contemporary Drama in English on “Theatre of Crisis” (8.1, 2020; with Nassim W. Balestrini and Maria Löschnigg).

Panel 19: Are you series? Serielle Reduzierungen, Verkürzungen und Verdichtungen im Medienvergleich

Samstag, 30. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Zeichnen sich epische Fernsehserien des frühen 21. Jahrhunderts häufig durch einen narrativen Exzess und eine regelrechte (Selbst-)Überbietungslogik aus, so ist – womöglich auch durch die mediale Konkurrenz aus dem Internet – inzwischen auch eine Gegentendenz der Verkürzung und Reduzierung zu beobachten: Miniserien werden als regelrechte Events zelebriert und versprechen statt ungewisser Laufzeit ein absehbares Ende, in teils »Instant Fiction« genannten Serien reduziert sich die Episodenlänge zuweilen auf nur noch wenige Minuten. Die kurzen, aber fast täglich ausgestrahlten Episoden von Bref oder Bloqués beispielsweise schreiben sich aufgrund ihrer leichten Integrierbarkeit regelrecht in das Leben der Rezipierenden ein.

Reduzierung muss dabei nicht zwangsläufig nur ›Verkürzung‹ bedeuten, sondern kann auch mit einer Verdichtung einhergehen: Gerade Bottle(neck) Episodes wie »The Fly« (S3.E10) in Breaking Bad oder »The Suitcase« (S4.E07) in Mad Men werden in Fankreisen als die intensivsten, narratologisch nunmehr unabdingbaren Folgen im Serienuniversum gehandelt und scheinen sich somit aus dem bisherigen Schattendasein als ungeliebtes Beiprodukt ökonomischer Zwänge zu lösen und als eigenständige Form zu emanzipieren.

Das Panel möchte sich dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Serialität und Reduzierung annehmen und dieses Phänomen vielmehr als kreatives Spannungsfeld verstehen, in dem auch Potenziale der Verkürzung und Verdichtung offen zutage treten. Neben Fernsehserien soll es dabei ebenso um andere mediale Einflüsse und Veränderungen — etwa durch die Narration und Ästhetik von Podcasts oder Webserien auf Instagram, YouTube und zunehmend auch TikTok — gehen, wie auch um die Frage, wie sich das Spannungsverhältnis von Serialität und Reduzierung in anderen Medien und Künsten verhält.

 

Organisation

 

Marco Agnetta (Innsbruck)

Jonas Nesselhauf (Saarbrücken)

 

Vorträge

 

Endloser Spaß: KI-generierte Webserien
Jonas Nesselhauf (Saarbrücken)

In den vergangenen Monaten haben sich breite gesellschaftliche Debatten um die Chancen und Grenzen, Potentiale und Gefahren von Künstlicher Intelligenz exemplarisch an den aktuellen Versionen von ChatGPT oder Bard, Dall-E oder Midjourney entfaltet, die sicherlich aber nur die Spitze des Eisbergs in den gegenwärtigen Tech-Forschungen darstellen.

Diese technologische Revolution wird — wie bei anderen medialen Innovationen zuvor (Fotografie, Film, Computer) — auch von den Künsten aufgegriffen, begleitet und fruchtbar gemacht, nicht zuletzt um die Möglichkeiten von KI direkt in der praktischen Arbeit auszuloten: Spielerisch wie experimentell wird in den und für die Künste probiert, was passiert, wenn Algorithmen nun Musikstücke komponieren, Bilder erstellen oder Texte verfassen, was Künstliche Intelligenz für Konzepte von Original(ität) und Copyright, Autor:innenschaft und Künstler:innenschaft bedeutet, oder ob eine KI dabei wirklich ›kreativ‹ sein kann.

Im Bereich des Seriellen sorgten zuletzt KI-basierte Webserien auf der Streaming-Plattform Twitch für Aufsehen: Die kurzen Episoden von Formaten wie Nothing, Forever des Kollektivs »Mismatch Media« werden quasi automatisch und potentiell endlos von Algorithmen erstellt. Mit dieser ins Absurde gesteigerten Angebotsfülle wird der Drang nach ständig neuen Inhalten parodiert — schließlich können die Text- und Bild-KIs mehr und schneller Folgen produzieren als jemals rezipierbar wären. Zumindest bis zur vorläufigen Einstellung des Experiments: Der ausgeprägte bias des bald schon heftig pöbelnden Algorithmus steht (zumindest noch derzeit und ähnlich wie im Falle des nach lediglich 16 Stunden abgeschalteten Microsoft-Bot Tay) symptomatisch für die nicht nur technologische Unreife der KI.

 

Konstruktionsweisen narrativer Verknappung: Die Bottle Episode in zeitgenössischen US-Serien
Eric Dewald (Saarbrücken)

Höher, schneller, teurer: Die moderne Serienlandschaft steht im Zeichen des Exzesses. Mehr und mehr Serien flimmern über unsere Bildschirme, locken mit gigantischen Casts oder buhlen mit immensen Produktionskosten um die Gunst eines internationalen Publikums. Ein Phänomen, welches im Kosmos serieller Opulenz als gebrandmarkt gilt, ist der Episodentypus der Bottle Episode. Darunter versteht man minimalistisch produzierte Folgen einer Serie, welche meist in einem einzigen Raum angesiedelt sind, wenige Handlungsstränge aufbieten und mit reduzierter Besatzung agieren. Lange Zeit wurde die Bottle Episode im Produktionsalltag der Serienindustrie als finanzielle Notlösung betrachtet. Ihre primäre Daseinsberechtigung: Kosten sparen, was wiederum die Dreharbeiten spektakulärer Episoden ermöglichen solle. Als Diktum kapitalistisch geprägter Produktionsmaxime galt die Bottle Episode dank ihrer sparsamen Inszenierung somit lange Zeit als ultima ratio, ausufernde Kostenexplosionen wieder aufzufangen.

Erst die Ausstrahlung der Folge Fly in der AMC-Erfolgsserie BREAKING BAD (2008–2013) markiert einen Wendepunkt dieser Wahrnehmung. Fortan wurde das Episodengenre nicht mehr bloß als unliebsame Begleiterscheinung monetärer Produktionsumstände betrachtet, sondern etablierte sich aufgrund ihrer dramaturgischen Eigenarten als beliebte Kreativaufgabe für Showrunner:innen und Filmteams. Von Sitcoms wie FRIENDS (1994–2004), Zeichentrickserien à la FAMILY GUY (1999–2003; seit 2005) oder Produktionen des Quality TVs findet die Bottle Episode mittlerweile genreübergreifende Verbreitung. Während der Korpus an Ausnahmefolgen bei Fancommunities und Serienkritiker:innen bereits wertschätzende Würdigung erfährt, prangt im Bereich akademischer Serienforschung bislang eine gravierende Lücke. Sofern Bottle Episoden in wissenschaftlichen Abhandlungen überhaupt Erwähnung finden, geschieht dies ausschließlich punktuell, quasi via Randnotiz.

Der Diskurs erweist sich überdies als stark normativ geprägt und ist bisweilen untrennbar mit der — nicht selten als unzeitgemäß titulierten — Frage nach serieller Qualität vermengt. So wird das geringe Budget der Bottle Episode unentwegt mit einem (wie auch immer gearteten) Mangel an erzählerischer Fertigkeit assoziiert; eine Deutung, die es auf den Prüfstand zu stellen gilt. Neben der Statuierung eines unterschätzten Episodengenres dient die Bottle Episode auch als geeigneter Topos für die philologische Perspektive auf zeitgenössische Serientexte. Medienkomapartistische Vorgänger findet sie in unterschiedlichen Künsten, sei es Literatur, theatralisches Kammerspiel oder dessen filmischen Pendants des Kammerspielfilms. Geeint werden die Spielarten — nicht wie so oft — durch die divergierende Inszenierung eines gemeinsamen Erzählstoffes; ihr gemeinsamer Nenner offenbart sich in der analogen Ästhetik narrativer Verknappung und einem daraus evozierten, asketischen Minimalismus der Narration, welcher sich im popkulturellen Phänomen der Bottle Episode, als jüngste der genannten Formen, ein- als auch fortschreibt.

 

Von der Bottle-Folge zur Bottle-Staffel? Pandemiebedingte Engpässe in der Fernsehserienproduktion und deren diegetische Legitimation
Marco Agnetta (Innsbruck)

Die Budgets von Produzenten und Serienmachern werden — im durchschnittlichen Zahlen betrachtet — für gewöhnlich nicht paritätisch auf die Episoden einer global budgetierten Staffel aufgeteilt. So kommt es dazu, dass einige Folgen mehr Produktionsgelder veranschlagen als andere, weniger aufwändige Episoden. Letztgenannte kompensieren, wenn man so möchte, die Kostenintensivität der Erstgenannten, zu denen vor allem die Pilotfolge, die (kalendarischen) Sonderfolgen und das Staffelfinale gehören. Reduzierte Figurencasts, seltener Schauplatzwechsel, Wiederholung bereits gezeigten filmischen Materials und insgesamt eine, vom Produktionsaufwand her betrachtet, einfachere Faktur führen dazu, dass diese sogenannten Bottle-(neck-)Episoden auch von der Rezipientenschaft eher abschätzig bewertet werden. Nesselhauf/Schleich (2016: 162) haben jedoch auch die erzählerischen Potenziale solcher Bottle-Folgen erwähnt, die etwa in einer eingehenden Figurenzeichnung und in der Darstellung interpersonaler Verhältnisse besteht. Die notwendige oder gewollte Reduzierung kostenintensiver Elemente wird in der Regel auf irgendeine Weise interpretatorisch aufgefangen.

Während der Corona-Pandemie waren es nicht primär budgetäre Engpässe, sondern die restriktiven politischen Maßnahmen, die zu produktionsbezogenen Erwägungen des Einsparens führte. An etlichen Serien lässt sich auf diese Weise die Pandemie — selbst wenn sie nicht thematisiert wird — an den Figurenkonstellationen, den Szenen im Freien u.v.m. ablesen. Ganze Staffeln von erfolgreichen Fernsehserien sind in je kulturspezifischer Weise von den am Set geltenden Corona-Maßnahmen betroffen, sodass sich womöglich die Rede von ganzen Bottle-Staffeln anbietet. Inwiefern die geschilderte Ökonomik der Mittel intradiegetisch aufgefangen wird, ist das Thema des anvisierten Beitrags.

Panel 20: Green Popular Culture Studies: (In)Visibility, Affordances, Affects

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00–18:00 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

In Environmentalism in Popular Culture (2009), Noël Sturgeon argues that popular culture is a “rich arena” for developing pertinent analyses of “revealing the connections between social inequalities and environmental problems to uncover the systems of power that continue to generate the complex problems we face” (6). At the same time, Sturgeon suggests that the increasing presence of environmentalist discourses in (U.S.) popular culture has to be examined critically, because “a mainstream version of environmentalism has become a common narrative framework used to understand and legitimate certain aspects of U.S. consumerism, family values, global military power, and American history” (6). Similarly, Nicole Seymour has argued for a more complex and intersectional understanding of the many different ways that popular culture engages with the effects of global warming and environmental degradation. In Bad Environmentalism (2018), she finds that “when confronting ‘real’ issues such as climate change, environmental racism and classism, species endangerment, or sea level rise [some cultural artifacts] reach for responses such as irony, absurdity, perversity, and camp” (Seymour 12), rather than employing more serious, elegiac, or alarmist modes. Building on the work of scholars of green popular culture such as Sturgeon and Seymour, this panel is interested in cultural studies approaches to the diversified stories, media formats, strategies of visualization, affects, and sensibilities mobilized by contemporary popular culture in the much-proclaimed Anthropocene. It asks how popular culture showcases and contributes to contemporary discourses surrounding human-nonhuman relations, global warming, and climate catastrophe, while also rendering certain causes, conditions, and effects of environmental change and injustice invisible.

 

Organisation

 

Judith Rauscher (Köln)

Maria Sulimma (Freiburg)

 

Vorträge

 

Fake Plastic Trees: Negotiations of Plastic in Music Videos
Kylie Crane (Rostock)

Plastic and pop, a compelling combination. Plastic has many meanings—it can denote a material, it can mean ‘synthetic’ or ‘fake’, it can be used to describe the ability to adapt. Deriving from the Greek plassein ‘to mould’, and coming to English via Latin and French, the historical use of plastic, which emerged in the mid-17th century, was to mean “characteristic of moulding”: Shape-shifting, like popular culture itself.

Taking Radiohead’s 1995 music video for “Fake Plastic Trees” as departure and theory, this talk will engage in a multimodal media analysis. Attention will be paid to evocations of plastic in this and other popular music videos, as well as to the ways in which these meanings are constructed or problematised across the interferences of the different semiotic channels of music videos (especially: lyrics, music, visuals). Whilst Radiohead’s video will form the basis of the analysis, reference will be made to other videos (of the time, as well as more contemporary examples).

Although the environmental crisis might seem bracketed out of most of pop’s evocations of plastic, where an initial analysis reveals a prediliction for the readings of ‘synthetic’ or ‘fake’, a consideration for the mobilisation of the various meanings attributed to—and derived from—plastic will show how pop culture affords moments for dwelling on the effects, and affects, of the Anthropocene, and, further, stress why material culture might also attend to materials.

Kurzbiografie: Kylie Crane is Professor of British and American Cultural Studies at the University of Rostock. Her major publications are Myths of Wilderness in Contemporary Narratives: Environmental Postcolonialism in Australia and Canada (PalgraveMacmillan NY, 2012) and Concrete & Plastic: Thinking Through Materiality (under contract with Bloomsbury Academic, 2024). She is currently working on a bunch of things at the intersection of postcolonial studies, material cultures and the environmental humanities.

 

Ecofungi? Mushrooms and their Fungal Networks in Twenty-First Century Horror
Susanne Gruß (Köln)

In recent popular narratives about humanity’s (non)future in the Anthropocene, fungi and their invisible mycelial networks have become metonymic both for the adaptability and the resilience of the non-human and for the annihilation of the human by a posthuman (fungal) alternative. Depictions of fungi in popular culture tend to connect ecocritical concerns with an appreciation of the grotesque beauty of mycelial structures and the body horror of fungi infesting and destroying or changing their human hosts. Fungi are used, then, to throw into relief the interconnectedness and interdependency of human and fungal agency; at the same time, they are predominantly constructed as an ecogothic monstrous ‘other’ threatening to annihilate or supplant humanity. Examples include feature films such as Colm McCarthy’s The Girl with All the Gifts (2016), Alex Garland’s Annihilation (2018), Ben Wheatley’s In the Earth (2021), and the wildly popular TV series The Last of Us (HBO, 2023- ). Using these texts as case studies of fungal horror, my paper will explore the extent to which fungi have played a major, if sinister, role in ‘green’ popular culture and its exploration of the contact zones between the plant world and humanity.

Kurzbiografie: Susanne Gruß is Professor of British Literature and Culture / Gender & Queer Studies at the University of Cologne. She is the author of The Pleasure of the Feminist Text: Reading Michèle Roberts and Angela Carter (Rodopi/Brill 2009) and currently preparing her second book manuscript, The Laws of Excess: Law, Literature, and the Laws of Genre in Early Modern Drama, for publication. In her current research, she focuses on cultural and literary implications of the fungal world.

 

Speculative History, Human Exceptionalism, and Graphic Violence in the Comic Series Manifest Destiny
Judith Rauscher (Köln)

Created by writer Chris Dingess, penciller and inker Matthew Roberts, and colorist Owen Gieni, the Image original comic series Manifest Destiny (2003-2022) combines elements of adventure and horror to revise the 1804-1806 history of the Lewis and Clark expedition. Following the “secret” rather than the “official” journal of the U.S. military expedition from St. Louis to the Pacific, all the way through the Louisiana Purchase and the Pacific Northwest, Manifest Destiny offers an alternative history of Captain Meriwether Lewis (1774-1809) and Lieutenant William Clark’s (1770-1838) famous exploration of the American West. During the expedition depicted in the comic, the Lewis and Clark company—consisting of soldiers, convicts, and a motley crew of civilians, including Clark’s enslaved servant York and the reluctant Indigenous guide Sacagawea—encounters plant zombies, man-eating human-animal hybrids, and countless other “monstrous” creatures. In 48 visually striking comics filled with stunning and often horrific detail, Manifest Destiny produces a speculative history of the westward expansion that challenges notions of American exceptionalism and its accompanying narratives of justifiable institutionalized violence via a questioning of human exceptionalism.

As the titles of the 8 collected volumes of the comic series suggest (Vol. 1: Flora & Fauna, Vol. 2: Amphibia & Insecta, Vol. 3: Chiroptera & Carniformaves, Vol. 4: Sasquatch etc.), Manifest Destiny is preoccupied not only with history and geographic exploration, but also with the more-than-human/ super-natural world and American enlightenment projects of scientific classification. Represented by the naturalist Lewis, the project of classification undertaken in Manifest Destiny employs scientific knowledge production in support of the militaristic goals of the mission. Aiming to establish control over the unknown territories of the American West and the beings that inhabit it, the mission is increasingly endangered as the Corps of Discovery runs into ever more fantastical creatures. Borrowing heavily from prominent genre tropes of the ecogothic, Manifest Destiny’s juxtaposition of narrative and visuals forces a questioning of human exceptionalism not only in the sense of humans’ supposed distinctness from an allegedly “nonhuman” world, but also of a human sense of superiority to the more-than-human world. As I will try to show in my presentation, Manifest Destiny’s critique of human exceptionalism works through a play with graphic violence that raises questions about the use and justification of different forms of violence, including ecological violence.

Kurzbiografie: Judith Rauscher is Professor (Juniorprofessorin) of American Literature and Culture at the University of Cologne. Her forthcoming first book is entitled Ecopoetics of Place-Making: Nature and Mobility in Contemporary American Poetry (Transcript) and her current research focuses on infrastructure and institutions in Green American popular culture as well as on imaginaries of (state) violence, technoscience, and community formation in works of North American speculative fiction featuring single-sex societies.

 

Drawn to Light: Electricity, Television, and the ‘Banal Anthropocene’ of Yellowjackets
Maria Sulimma (Freiburg)

In a 2021 dossier for Screen, Julia Leyda and Diane Negra identify the need to consider “how television entertainment engages, or resists engaging, with Anthropocene conditions” (79). Expanding upon the concept of Heather Anne Swanson, the contributions to the dossier explore television’s “Banal Anthropocene,” including the ways that absences and taken-for-granted aspects of television narration become visible through the methods of environmental humanities. Continuing such a line of inquiry, this talk turns to the female-centered television series Yellowjackets (Showtime, since 2021) and its depictions of electricity (or absence of it).

Electricity is often imagined as a symbol for progress and modernity, as well as an alternative to fossil fuels and a bridge to green energy futures. Yet, with a predominant focus on oil and fossil fuels, the energy humanities have only recently begun to interrogate electricity and its relationship to cultural productions and meanings. Scholars such as Sage Gerson draw our attention to the unjust cultural and political power relations surrounding electricity as an energy system. Inspired by such scholarship, this talk will explore a television show as an example of electricity’s entanglements with (popular) culture.

Kurzbiografie: Maria Sulimma is Professor (Juniorprofessorin) of North American Literature and Cultural Studies at the University of Freiburg. She is the author of Gender and Seriality: Practices and Politics of Contemporary US Television (Edinburgh University Press, 2021). Her recent work is on storytelling and gentrification, as well as urban pastimes of 19th-century and 21st-century fiction.

Panel 21–35: Themen und Genres des Populären

Panel 21: Populäre (Medien-)Kultur queeren

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00 – 18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

„Queere Phänomene sind in der Populärkultur omnipräsent“ (Zilles 2018, S. 7) heißt es in der Einleitung der 2018 erschienenen Sonderausgabe der Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften Navigationen zum Schwerpunkt „Queer(ing) Popular Culture“. In der Tat werden in zahlreichen aktuellen populären Medien wiederholt queere Inhalte thematisiert und queere Akteur*innen präsentiert. Die populäre Verhandlung von Queerness in der zeitgenössischen (Medien-)Kultur lässt sich jedoch nicht auf eine rein inhaltliche (Repräsentations-)Ebene reduzieren. Als Form der Normabweichung, Widerständigkeit und Unabgeschlossenheit vermag die Kategorie Queer vielmehr auch für Produktions- und Rezeptionslogiken, Institutionalisierungen, (inter-)mediale Ästhetiken und Relationen ebenso von Bedeutung zu sein wie für macht- und repräsentationskritische Aspekte.

Während der mehrdeutige Begriff ‚queer‘ gleichzeitig für „a way of naming, describing, doing and being” (McCann/Monoghan 2020, S. 1) steht, kann der Prozess des ‚Queering‘ als ein Instrumentarium der Denaturalisierung und Dekonstruktion (hetero-)normativer Konzepte verstanden werden, das stets eine politische Dimension der Macht- und Hegemoniekritik, der Veruneindeutigung und des Verdrehens in sich birgt. Analog zur Kategorie Queer besitzt auch das Populäre bzw. die Populärkultur unterschiedlichste Erscheinungsformen und lässt sich nur schwerlich definieren. Diese mehrdeutige Qualität populärer (Medien-)Kulturen ermöglicht nicht nur „widersprüchliche Lesearten“ (Villa/Jäckel/Pfeiffer et al 2012, S. 7), sondern kennzeichnet Populärkultur gemeinhin als einen dynamischen Ort, „an dem gesellschaftliche und sozioökonomische Deutungen verhandelt werden“ (ebd., S. 8). Populäre (Medien-)Kulturen werden so zu einem „Feld der Auseinandersetzung“ (ebd.), in dem bestehende hegemoniale Machtverhältnisse genauso (re-)produziert und verstärkt, wie auch gezielt unterwandert und irritiert werden können. Somit eröffnet das Populäre „grundsätzlich einen Raum der Möglichkeiten, einen Raum für Überschreitungen und Übertreibungen“ (ebd., S. 13), den es im Sinne eines queering popular culture produktiv zu nutzen und kritisch zu reflektieren gilt.

In dem vorgeschlagenen Panel möchten wir uns in vier Vorträgen queeren Phänomenen in der populären (Medien-)Kultur annähern und den vielfältigen formal-strukturellen, inhaltlichen und ästhetischen Berührungspunkten von Queerness und Populärkultur nachgehen. So stellt Joanna Staśkiewicz (Potsdam) am Beispiel der (Neo-)Burlesque-Szenen von New Orleans, Berlin und Warschau die queerende Wirkung der (Neo-)Burlesque dar und zeigt, wie dieses popkulturelle, auf den ersten Blick vielleicht unpolitisch wirkende, Unterhaltungsphänomen eine subversive Wirkung entfaltet und das nicht nur im Sinne einer queeren Intervention in der heteronormativen Matrix der Geschlechternormen, sondern auch auf der Ebene der lokalen Mythen, der kulturellen Inszenierungen von Geschichte und Tradition sowie der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslagen. Katharina Wiedlack (Wien) wird sich in ihrem Vortrag mit dem queeren, anti-rassistischen und dekolonialen Potential von Punk Rock als poetischer und politischer Form auseinandersetzen. Am Beispiel Sasha taqwšəblu LaPointe Coast Salish Punk Poetry wird sie analysieren, wie zeitgenössische Kulturschaffende queere feministische Punkformen für anti-rassistische und dekolonialisierende Interventionen in weiß-dominierten Räumen nutzen und dadurch marginalisierten Positionen eine Stimme verleihen sowie die Grenzen der queeren feministischen Subkulturen erweitern. Véronique Sina (Frankfurt) setzt sich in ihrem geplanten Beitrag mit der Beständigkeit, Virulenz und Aktualität antisemitischer Zerrbilder auseinander, die bis heute in populären Medien wie Comic, Film und Fernsehen zirkulieren. Dabei verdeutlicht sie nicht nur exemplarisch die intersektionale Verzahnung der Kategorien Queerness und Jewishness, sondern arbeitet zugleich auch die soziokulturellen Implikationen, historischen Einbettungen und zeitgenössischen Manifestationen geschlechtlich codierter Vorstellungsbilder ‚des Jüdischen‘ in populären Medienformaten heraus. Der Beitrag von Elisabeth Krieber (Salzburg) widmet sich der vielschichtigen formalen Queerness die das populärkulturelle Medium Comic auszeichnet und eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der performativen Grundstruktur autobiographischer Darstellung sowie der Verhandlung queer-feministischer Identitäten begünstigt. Anhand konkreter Beispiele geht sie ebenfalls der Frage nach, ob und wie queere Comics in anderen Medien neu inszeniert werden können und wie sich diese Adaptionen inhaltlich sowie formal mit der Queerness der Ausgangstexte befassen.

Zitierte Literatur:

McCann, Hannah/Whitney Monoghan: Queer Theory Now. From Foundations to Futures. London 2020.

Villa, Paula-Irene/Julia Jäckel/Zara S. Pfeiffer (Hg. et al.): Banale Kämpfe? Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht. Wiesbaden 2012.

Zilles, Sebastian: Towards a Queer Popular Culture. Eine (Kurz-)Einführung. In: Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften. Jg. 18 H.1 2018, S. 7-14.

 

Organisation

 

Véronique Sina (Frankfurt)

Joanna Staśkiewicz (Potsdam)

 

Vorträge

 

Burlesque als queeres Heterotopia. Queering der Geschlechterkonstruktionen, der Mythen sowie der Biografie in der Burlesque an Beispielen aus Berlin, New Orleans und Warschau
Joanna Staśkiewicz (Potsdam)

Kann eine erotische Unterhaltungskunst wie die Burlesque eine queerende Wirkung haben und einen heterotopischen Raum bilden, in dem Normalisierungsprozesse sowohl in Bezug auf Geschlecht, Begehren, Körper, aber auch gesellschaftliche, soziale und politische Narrative aufgedeckt werden und sogar die eigene Biografie dekonstruiert wird? Handelt es sich bei der Burlesque insgesamt um eine queere popkulturelle Intervention unabhängig vom Geschlecht oder Begehren der Performer*innen? Am Beispiel ausgewählter Performances aus Berlin, New Orleans und Warschau wird im Vortrag die Burlesque als ein absurdes und ironisches popkulturelles Phänomen unter dem Aspekt der queerenden/verUneindeutigenden Wirkung diskutiert. Dabei werden nicht nur geschichtlich-kulturelle Narrative und Wiederholungen lokaler Erzählungen und Geschlechterkonstruktionen in der Burlesque untersucht, sondern auch die biografische Verstricktheit der Performer*innen und sogar eine beinahe therapeutische Wirkung sowohl auf die Performer*innen selbst als auch auf das Publikum. Es wird dabei verdeutlicht, dass die Burlesque als ein Theater der Grausamkeit im Sinne von Antonin Artaud angesehen werden kann, das ironischerweise durch die Parodie erschüttert.

Kurzbiografie: Dr. Joanna Staśkiewicz ist seit Januar 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin ihres DFG- Projekts „Queering von Gender, Begehren und lokalen Mythen in der (Neo-)Burlesque. Eine vergleichende Analyse der (Neo-)Burlesque-Szenen in New Orleans, Berlin und Warschau“ am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam. Sie war unter anderem Research Associate an der Loyola Universität in New Orleans und Visiting Postdoctoral Scholar an der Tulane Universität in New Orleans sowie Lehrbeauftragte an der Europa-Universität Viadrina, der Universität Potsdam und der Universität Wien. Sie ist assoziiertes Mitglied Forschungsstelle „Queery/ing Popular Culture“ Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Gender und Queer Studies, soziale Bewegungen, Mythen- und Diskursforschung, Poststrukturalismus, populäre Kulturen und Performance Studies.

 

Queere dekoloniale Kritik, Punkpoetry und Repräsentation in Sasha taqwšəblu LaPointes Red Paint
Katharina Wiedlack (Wien)

Wie können Indigene Minderheiten und Individuen in der amerikanischen Populärkultur repräsentiert werden, ohne in die üblichen stereotypen Muster zu verfallen? Diese Frage stellt Sasha taqwšəblu LaPointes Memoir Red Paint: An Ancestral Autobiography of a Coast Salish Punk. Ihr Roman ist nicht einfach zu kategorisieren, denn er oszilliert zwischen einer Coming-of-Age-Story, einer Spurensuche nach dem Vermächtnis LaPointes weiblicher Coast Salish Vorfahren, und Traumageschichte. Populärkulturreferenzen und besonders Punkkultur durchziehen den Roman und verorten die Protagonistin einerseits innerhalb des amerikanischen Nordwestens und markieren die Unterdrückung der Indigenen Minderheit und Kultur. LaPointe schreibt einerseits gegen die Unsichtbarkeit an und queert durch die Einbindung sprachlicher (Lushootseed), kultureller und historischer Elemente ihrer Coast Salish Herkunft hegemoniale narrative Formen und Geschichten. Gleichzeitig queert sie Coast Salish Normen durch ihre popkulturelle und punk Verortung. Dabei greift LaPointe nicht einfach auf die Sichtbarmachung queerer oder nicht-normativer Sexualität und nicht-monogamer Beziehungen zurück, obwohl diese Elemente durchaus eine Rolle spielen. Vielmehr dekonstruiert ihre Verwendung poetischer Punkformen heteronormative minoritäre und hegemoniale koloniale Vorstellungen und Erwartungen. Der Roman eröffnet dadurch Queerness als einen nicht-normativen Bezugspunkt, Ort für dekoloniale Kritik und Raum für das Herstellen von Beziehungspunkten und Verständnis, in dem Differenz nicht negiert, sondern anerkannt und geschätzt wird.

Kurzbiografie: Dr. Katharina Wiedlack ist Assistenzprofessorin für Anglophone Kulturwissenschaften am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien. Ihre Forschungsinteressen sind transnationale Amerikastudien, queere und feministische Theorie, Populärkultur, post-sozialistische, dekoloniale und Disability Studies. Ihre Monografie Queer-feminist Punk: An Anti-Social History ist 2015 im queer- feministischen Verlag Zaglossus erschienen. Sie analysiert die verschiedenen kreativen radikalen queer- feministischen Punk-Communities, die in den späten 1980er Jahren in Nordamerika entstanden sind und ihre jeweiligen Kulturlandschaften bis heute stark prägen. In ihrer aktuellen Forschung beschäftigt sie sich mit Opazität und Un_Sichtbarkeit als künstlerischer und politischer Form, queeren Lebensweisen und Internationalismen.

 

Queering Jewishness. Zur geschlechtlichen Strukturierung populärer Bilder des Jüdischen“
Véronique Sina (Frankfurt a.M.)

Welche Vorstellungen von ‚Jüdischsein‘ werden in populären Bildmedien (re-)produziert und verhandelt? Als Orte der kulturellen Bedeutungsproduktion haben audio-visuelle Medien und ihre Bilder einen entscheidenden Anteil an Vorstellungen von Judentum und ‚Jüdischsein‘. Diese Vorstellungen sind geschlechtlich strukturiert und erhalten so ihre Wirksamkeit. Anhand zeitgenössischer grafischer, televisueller und filmischer Bilder ‚des Jüdischen‘ wird im Vortrag der Verzahnung von Queerness, Jewishness und Medialisierung nachgegangen. Dabei wird nicht nur das komplexe Verhältnis zwischen Aufklärung, Sichtbarmachung und Ausstellen – im Sinne eines Othering-Prozesses – queerer jüdischer Identität(en) in audio-visuellen Medien thematisiert, sondern auch die gesellschaftspolitische ‚Macht der Bilder’ mit Blick auf die mediale Inszenierung und Konstituierung von ‚Jüdischsein‘ diskutiert. Im Rahmen einer intersektionalen Perspektive werden Jewishness und Queerness als miteinander verwobene Kategorien betrachtet und verdeutlicht, wie im Nexus von Fremd- und Selbstzuschreibung die (Re-)Produktion und Verhandlung eines medial vermittelten Wissens von ‚Jüdischsein‘ von geschlechtlich codierten Vorstellungen geprägt ist.

Kurzbiografie: Dr. Véronique Sina vertritt im Sommersemester 2023 die Professur für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit Oktober 2022 leitet sie am dortigen Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Queering Jewishness – Jewish Queerness. Diskursive Inszenierungen von Geschlecht und ‚jüdischer Differenz‘ in (audio-)visuellen Medien“. Im Sommersemester 2022 hat sie die Professur für „Medienakteure und Medienöffentlichkeit unter besonderer Berücksichtigung von Gender“ am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum vertreten. Sie ist u.a. assoziiertes Mitglied der Siegener Forschungsstelle „Queery/ing Popular Culture“ sowie Mitglied im DFG-Netzwerk „Gender, Medien und Affekt“. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kultur- und Medientheorie, Medienästhetik, Jewish Visual Culture Studies, Gender- und Queer Theory, Intersektionalitätsforschung und Holocaust Studies.

 

Adapting Queerness from Page to Stage. Alison Bechdels Fun Home auf der Musicalbühne
Elisabeth Krieber (Salzburg)

Wie Alison Bechdel in ihrem Graphic Memoir Fun Home veranschaulicht, eignet sich das Medium Comics hervorragend zur Darstellung queerer Perspektiven und Lebensentwürfe. Fun Home präsentiert eine Coming-of-Age und Coming-Out Erzählung, die den tragischen Tod von Bechdels Vater sowie dessen geheim gehaltene Bi-/Homosexualität mit der Entdeckung ihrer eigenen lesbischen Identität verknüpft. Für diese komplexe und generationenübergreifende Darstellung queerer Identitäten inszeniert die Autorin bewusst die formalen Besonderheiten des Mediums. Comics zeichnen sich besonders durch ihr hybrides Format, ein produktives Spannungsverhältnis zwischen Bild und Text sowie eine fragmentierte, sequenzielle 3 Erzählstruktur und performative Wiederholungen mit Differenz aus. Bechdels autobiographische Erzählung mobilisiert diese comicspezifische formale Queerness zur Darstellung einer einzigartig queeren Familiengeschichte. Wie diese vielschichtige Queerness, die das Graphic Memoir charakterisiert, auch in anderen Medien realisiert werden kann soll anhand Lisa Krons und Jeanine Tesoris Musicaladaption von Fun Home aufgezeigt werden. Um die Transformation vom autobiographischen Comic zum Broadyway Musical zu illustrieren, widmet sich mein Vortrag zunächst Bechdels grafischen Darstellungsstrategien und konzentriert sich im Anschluss auf die theatrale Adaption und transmediale Weiterentwicklung von Fun Homes facettenreicher Queerness.

Kurzbiografie: Dr. Elisabeth Krieber ist derzeit Referentin der Abteilung „Family, Gender, Disability & Diversity“ an der Universität Salzburg und Lehrbeauftragte im fakultätsübergreifenden Studienschwerpunkt „Gender, Diversity & Equality“. Sie hat ihr Masterstudium in „English Studies and the Creative Industries“ sowie ihr Doktoratsstudium an der Universität Salzburg absolviert und sich in ihrer Dissertation mit der Adaption (queer-)feministischer autobiographischer Comics für Bühne und Film auseinandergesetzt. Ihre Forschungsinteressen umfassen Comic- und Autobiographieforschung, Gender und Queer Theory sowie Medien- und Adaptionsforschung.

Panel 22: Popular Waste: Representations in Contemporary Anglophone Fictions

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00–18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 0.03

 

While in the past popular culture has often been seen, and sometimes continues to be perceived, as a waste of time, the popular cultures of the 20th and 21st centuries have arguably been fascinated with waste and waste spaces, with debris, rubbish, litter, garbage, trash. Waste has been sentimentalised and cuteified or alternatively gothicized and marginalized, often with a view to its target audiences. These audiences maintain high degrees of interpretive freedom in their reception/s of popular waste fictions, though, which guarantees a proliferating and multifaceted cultural discourse.

Landfills and other waste spaces proliferate in many cultural fictions, from, say, a framing device in Ishiguro’s Klara and the Sun to a projection space of subconscious fears in Miéville’s This Census Taker. Our panel will seek to develop a spatial approach to its topic, focusing on waste both as a physical phenomenon and immaterial force forming land- and cityscapes that home in on the cultures that produced them. By their very existence, waste spaces pose questions of resource and waste management, reaching out into the field of ecocritical criticism. At the same time, waste spaces threaten to overwhelm discourses and physical configurations of the human itself, gesturing towards transitions from the (at times, all-too) human to some things and beings new, new entities that appear as more adjusted to these new wastescapes – the transhuman or the posthuman.

Oscillating between the popular and the subcultural, science fictions and their waste spaces in particular signify an array of class, race and gender markers circumscribing who is confined to them and who is not. Waste spaces often encroach on fabrics of urban or rural life connoted as ordinary, and they offer unregulated spaces that sometimes serve as emotionalized spaces of shelter, refuges for the ostracized and marginalized. They can also pose as incubators for decidedly other lifeforms, from AI to extra-terrestrial, and they are often performed as unauthorised spaces in which rebellion can foment. They can be familiar and dangerous, utopian and dystopian, changing from one to the other in rapid succession, intermittently collapsing binaries. Their one unifying characteristic is their marked otherness with heterotopian characteristics in the Foucauldian sense. What is associated with waste is marginalized and abject as defined by Julia Kristeva.

The three papers of this panel will explore different aspects of the topic by contextualising and closely analysing largely contemporary cultural fictions in literature, film, and streaming TV.

 

Organisation

 

Joachim Frenk (Saarbrücken)

Anne Hess (Saarbrücken)

 

Vorträge

 

Joachim Frenk (Saarbrücken): „Introduction / Victorian Waste Discourses“

Anne Hess (Saarbrücken): „‚I am the Self-Organized Machine‘ — Waste Spaces and the Posthuman in China Miéville’s ‚Perdido Street Station'“

Marie-Claire Steinkraus (Saarbrücken): „From ‚Dracula‘ to ‚The Vampire Diaries‘: The Trajectory of Human-as-Waste Representations in Vampire Fiction since 1897“

Panel 23: Visuality of War: Pop Culture References

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00–18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 1.30

 

Research on processing war-related experiences has recently gained momentum due to the current geopolitical situation affected by the Russian-Ukrainian war. Whereas the healing power of pop culture in times of crisis has been extensively examined, the conference panel under consideration offers a guideline on how the pop culture contributes to normalizing and / or alienating a war as a phenomenon.

The conference panel is aimed at investigating the Russian-Ukrainian war reality through its – often humorous and mainly visual – pop culture references, substantially represented on (social) media. To achieve the goal, political cartoons, memes, maps, short videos as well as other visuals are analyzed as the means to reveal the true roots of prevailing war narratives. While establishing the links between the pop culture and its (re)visualization in mass and social media, the panel discussions seek to work out the dominant patters for processing traumatic events related to the war mentioned above.

The visual discourse within the frame of pop culture is regarded as central for establishing specifics of war experiences on the (inter)national, geographical, and (trans)cultural levels. The focus of the panel discussions is also set on establishing how super-heroic and Tolkienian discourses are represented on media.

 

Organisation

 

Kateryna Haidarzhyi (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Svitlana Kot (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Alina Mozolevska (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Oleksandra Filonenko (Jena)

 

Moderation

 

Yuliya Stodolinska (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Vorträge

 

Geography of War in Ukrainian Memes
Kateryna Haidarzhyi (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Captain Ukraine and Others vs Z: Superheros and Supervillains in Visual Narratives about Russian-Ukrainian War
Svitlana Kot (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Popular Culture and Visual Discourse of Russia’s War in Ukraine
Alina Mozolevska (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

“You Shall Not Pass!”: Tolkienian Discourse of the Russian-Ukrainian War on Social Media
Oleksandra Filonenko (Jena)

Panel 24: Aktivismus und populäre Klimakulturen

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Organisation

 

Gabriele Dürbeck (Vechta)

Simon Probst (Vechta)

 

Programm und Ablauf

 

  • Gabriele Dürbeck und Simon Probst (Vechta): Einleitung
  • Felix Böhm (Kassel): Klimawissen schafft Aktivismus. Digitale Wissenskommunikation zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Krisenappellen bei Fridays for Future
  • Gemeinsame Diskussion
  • Annika Rink (Kassel): „Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ Wie unterscheidet sich die mediale Inszenierung der Klima-RAF von der medialen Selbstbild der Protestbewegungen musikalisch?
  • Florian Wobser (Passau): Der populäre Aktivismus der ‚anderen‘ Seite am Beispiel der ‚Petro-Masculinity‘
  • Gemeinsame Diskussion

 

Vorträge: jeweils 20 Minuten; Diskussion: jeweils 15 Minuten

Gesamtdauer des Panels: 120 Minuten

 

Vorträge

 

Klimawissen schafft Aktivismus. Digitale Wissenskommunikation zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Krisenappellen bei Fridays for Future
Felix Böhm (Kassel)

„Die Wissenschaft gibt uns Recht […]“ (fridaysforfuture.de) – Seit Beginn ihrer Streiks und weiteren Protestaktionen betonen Fridays for Future in auffälliger Weise ihre Nähe zur Wissenschaft und den Befunden wissenschaftlicher Forschung (s. Sommer et al. 2020, 37). Für die Gruppierung spielen wissenschaftliche Erkenntnisse eine komplexe Rolle. Sie motivieren und inspirieren, legitimieren und begrenzen, denn: „Wir fordern von der Politik nicht mehr als die Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten.“ (fridaysforfuture.de) Das Zusammenspiel von wissenschaftlicher Forschung und Aktivismus erschöpft sich aber nicht in der inspirierenden Rezeption von wissenschaftlichen Erkenntnissen durch die Aktivist:innen von Fridays for Future. Vielmehr zeichnet sich Fridays for Future dadurch aus, dass die Gruppierung im Rahmen ihres Protests und ihrer Handlungsappelle selbst zur Wissenskommuni­kation und damit zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse beiträgt. Die Aktivist:innen treten daher nicht allein in politischer Funktion auf, sondern übernehmen eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, die traditioneller Weise dem Bildungssystem und dem Journalismus zugeschrieben wird.

Im Zentrum des geplanten Vortrags stehen ausgewählte Tweets des Twitter-Accounts Fridays for Future Germany, die Wissenskommunikation und Handlungsappelle miteinander verbindet. Mittels multimodaler Feinanalysen (Böhm/Gätje 2021, Böhm/Reszke 2021) soll anhand dieser Tweets als digitale Kombinationen von Schrift, Bild und Video gezeigt werden, mit welchen multimodalen, interaktionalen Verfahren Wissen kommuniziert wird und sich die beteiligten Akteur:innen dabei in dem selbsterzeugten kommunikativen Spannungsverhältnis von Deskriptivität und Normativität inszenieren und positionieren. Die Analyseergebnisse geben dadurch nicht nur einen Einblick in den digitalen Aktivismus von Fridays for Future, sondern ermöglichen Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Gruppierung.

Kurzbiografie: Dr. Felix Böhm ist als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Germanistik (Fachgebiet Sprachwissenschaft/-didaktik) der Universität Kassel tätig. Er promovierte zu multimodalen Kohärenzbildungsprozessen in softwaregestützten Präsentationen von Schüler:innen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: multimodale und digitale Wissenskommunikation, Schreib- und Präsentationsdidaktik, das Kommentieren visuellen Wissens, das Sprechen über den Klimawandel.

 

„Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ Wie unterscheidet sich die mediale Inszenierung der Klima-RAF von der medialen Selbstbild der Protestbewegungen musikalisch?
Annika Rink (Kassel)

Anders als beispielsweise in der Anti-Atomkraft-Bewegung besteht in den heutigen Klimaprotest­gruppierungen in Deutschland kein öffentlich bekannter Protestliederkanon, obwohl natürlich einzelne Stücke geschrieben oder alte Hymnen wiederaufgelegt werden. Musik scheint eher zur Verwendung in professionellen Videoproduktionen genutzt zu werden.

BildTV inszeniert Klimaaktivist*innen als Alltagsterrorist*innen, während jene den Kapitalismus und dessen extraktiven Hunger anprangern. Andererseits möchten die Klimakollektive, wie Extinction Rebellion, ihre Mitglieder binden, neue Verfechter*innen ihrer Sache akquirieren und letztlich die (Welt-)Bevölkerung für dringliche Themen sensibilisieren, damit diese ihre Verhaltensweisen ändert. Musiksemiotisch bieten sich hierfür musikalische Zeichen an, die die Erhabenheit der Natur, das Wohlbefinden in einer sozial ausgeglichenen Gesellschaft und die moralische Überlegenheit durch globalen Altruismus „bedeuten“. Ferner sind auf Bildern von Veranstaltungen zum Klimaprotest, die auf den Websites und Social Media geteilt werden, Teilnehmer*innen zu sehen, die indigene Gesichts­bemalung tragen, und auf den Protestaktionen läuft ‚exotische‘ Musik indigener Autor*innenschaft. Inwiefern handelt es sich bei einer Nutzung ‚indigener‘ (Musik-)Zeichen um kulturelle Aneignung? Wird Indigenität mit Opfernarrativen inklusive des Fürspracheproblems durch Akteur*innen des globalen Zentrums und Projektionen des Nachhaltigen auf indigene Völker inszeniert?

Je nach politischer Orientierung gehen die Akteur*innen von verschiedenen Klangerwartungen ihrer Publika aus und versuchen diese in ihren politischen Botschaften zu erfüllen. Dabei werden verschie­dene musikalische Parameter genutzt, um ‚Freunde‘ und ‚Feinde‘ zu semantisieren. Das Ziel dieses Beitrages ist demnach ein Vergleich der Berichterstattung über Klimaaktivist*innen und ihrer Selbst­repräsentation hinsichtlich der musikalischen Rahmung. Die theoretische Rahmung spannt dafür den Bogen von den Themenfeldern politischer Musik über „Performanz“ zur Musiksemiotik, um herauszu­finden, welche musikalischen Parameter exemplarisch von Extinction Rebellion und BildTV in ihren Beiträgen (auf ihren Websites, Instagram- und Youtube-Kanälen) genutzt und welche Wirkungen dadurch nahegelegt werden.

Kurzbiografie: Annika Rink ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Jan-Henrik Witthaus und promoviert, nach einem Lehramtsstudium in Spanisch und Musik in der hispanistischen Literatur- und Kulturwissenschaft, publiziert aber auch für ein musikwissenschaftliches Publikum. Zu ihren Schwerpunkten zählen Authentizität und Identität in (Protest-)Musik und Folklore, Kultur in Diktaturen des Cono Sur sowie das Verhältnis zwischen Natur, Kultur, Nachhaltigkeit und Postkolonialismus, beispielsweise im Kontext des ecuadorianischen „Buen Vivir“ („Gutes Leben“) und in indigenen Befreiungsdiskurse. Sie ist Mitglied des internationalen „Instituto MIDE“, das zu Demokratisierungs- und Transformationprozessen forscht und der IAG Climate Thinking an der Universität Kassel, das sich mit Erzählen, Sprechen und Nachdenken über die Klimakrise multiperspektivisch auseinandersetzt.

Von 2021 bis 2022 arbeitet sie ebenfalls im Team von Prof. Dr. Angela Schrott und gibt Seminare zu linguistischer Diskursanalyse in ihrem Themenfeld.

 

Der populäre Aktivismus der ‚anderen‘ Seite am Beispiel der ‚Petro-Masculinity‘
Florian Wobser (Passau)

Der Vortrag basiert auf der Idee (die auf Beobachtungen beim Besuch ähnlicher Panels zurückgeht), dass sich sehr viele thematisch relevante Aspekte besser akzentuieren würden, wenn die ‘andere’ Seite des Klimaaktivismus auch beachtet würde. Am Beispiel der Debatte um ‘Petro-Masculinity’ soll dieser Intuition gefolgt werden, indem die trotzige bis zornige Haltung dieses Protestes gegen den Protest, die sehr häufig auf der Leugnung der Klimakrise überhaupt beruht, erstens vorgestellt und zweitens mit progressiven Protestformen verglichen wird. Drittens sollen Genderaspekte im Vergleich zwischen ‘Greta’, ‘Luisa’ und US-amerikanischen Fahrern manipulierter Monster­trucks oder ›Hubraum for Future‹-Anhängern­ ins Zentrum treten, die im Rückgriff auf einzelne Aspekte der Diskurse um fragile Männlichkeit und jene jungen Protagonistinnen der Klimaschutzbewegung kritisch erörtert werden. Hierbei werden unterschiedliche Inszenierungspraktiken berücksichtigt. Schließlich sollen viertens Positionierungen der Akteurinnen und Akteure im Spannungsfeld von „Naturen/Kulturen“ beachtet und im Fazit gebündelt werden.

Kurzbiografie: Florian Wobser arbeitet aktuell als Akademischer Rat im Bereich Philosophie an der Universität Passau. Er interessiert sich u.a. für gendersensible Aspekte von Bildung/Didaktik, Ökologie und Medien. Klimaaktivismus betrachtet er im Kontext seines fachdidaktischen Habilitations­projektes zu ethischen Aspekten des Anthropozäns. ‘Petro-Masculinity’ ist ihm rätselhaft; das war auch die Motivation zu diesem Vortrag.

Panel 25: Watching the Pandemic

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

The Covid-19 pandemic has been a boon and a burden for television. Stay-at-home and self-isolation orders collectively banned entire swathes of the population to their sofas, who then turned to television and the internet for both news and entertainment. Streaming services saw an increase in subscriptions, which remained high even after lockdown measures were lifted. At the same time, the pandemic forced the television industry to delay, suspend, or even cancel productions of many programs altogether. When it became clear that the virus was a permanent fixture in our reality, television writers and producers faced the decision of whether, or how, to incorporate this new reality into their storylines. This decision has often constituted a dilemma in understanding what audiences want, and how to confront the challenges Covid-19 brought in an increasingly politicized environment. Audience-reliant day- and night-time television grappled with empty studios and crewless hosts temporarily filming from their homes. The circumstances changed audience-reliant television formats and fully blurred the lines between videos on the internet and high-production-value television.

The panel will explore the changing role of English-speaking television and film during, and in the wake of, the Covid-19 crisis, as well as how the pandemic has become part of numerous narratives. We hope to achieve a deep-dive analysis of mainstream entertainment, while also considering if, and how, this sudden, global reordering of normalcy impacted popular storytelling. This exploration will consider microlevel changes to content, as well as macrolevel production forms and strategies. The focus of our discussion will primarily be on fictional narratives and non-fiction to a lesser extent.

 

Our panel will engage in the following topics:

  • Address socioeconomical and racial inequalities
  • Push the boundaries of genre with Covid-19
  • Representations of apocalyptic scenarios and storytelling
  • The presence of politicization of public health and medicine
  • Virality of information and shared global experiences of a singular event
  • Streaming services caught between the world of the internet and television

 

Panelists are contributors and editors from the forthcoming edited volume Covid-19 in Film and Television: Watching the Pandemic. (Routledge, 2024).

 

Organisation

 

Verena Bernardi (Saarbrücken)

Amanda D. Giammanco (Saarbrücken)

Heike Mißler (Saarbrücken)

 

Vorträge

 

Covid-19 in East Asian Netflix Series: The Pandemic’s Depiction in Jigeum Uri Hakgyoneun (2022) and Shinbun Kisha (2022)
Frank Jacob (Bodø)

The global pandemic has triggered new thoughts about the end of humanity and apocalypse. New zombie and apocalypse films and series (e.g. All of Us Are Dead 2022-), addressed issues that were intensely perceived as relevant during the global Covid-19 pandemic and thereby somehow understood according to new semiotics, i.e. pandemic semiotics and in relation to questions that were now debated on the screen as well. It is obvious that the pandemic stimulated a discourse about diseases, zombies and the end of the world as we know it again. The proposed paper on the one hand therefore discusses the depiction of dystopian futures in relation to diseases. On the other, it will look at the presentation of Covid-19 in East Asian TV drama series as well. The paper will compare East Asian depictions, especially provided via the streaming service netflix to present, how productions by the streaming company addressed questions related to the spread of Covid-19 in this particular region. It will look at similarities and national differences and ask in how far they might be related to actual events in the specific countries. All in all, the paper addresses 1) the question in how far the pandemic changed the streaming agenda with regard to a stronger focus on dystopian films and series that focus on the depiction of an apocalypse that cause the death of large parts of humanities. It will 2) show how Covid-19 was woven into political TV drama plots as an important factor of a daily life the audiences could refer to as well.

 

Navigating the Covid-19 Pandemic as Essential Workers in Superstore
Kristy Beers Fägersten (Södertörn) & Cornelia Gerhardt (Saarbrücken)

The sitcom Superstore aired on NBC from 2015-2021. In its sixth and final season (ending March 2021), the series explicitly addressed how the coronavirus pandemic affected the working conditions of the staff and management of „Cloud 9“, a fictional, big-box store based in St. Louis, Missouri. This chapter examines the ways in which the character interaction serves two distinct functions: first, to provide the viewing audience with general information about the coronavirus and the pandemic; and second; to depict the difficulties of dealing with the pandemic as an „essential“ worker. The series uses humor to problematize the essential worker status of the Cloud 9 employees as superordinate to their status of individuals with a right to protect their health and minimize exposure to the virus.

 

The Pandemic at the Intersection of the Political and the Surreal: Covid-19, Systemic Racism, and the Gothic on The Good Fight
Aleksandra Musiał (Katowicach)

This chapter examines the depiction of the Covid-19 pandemic in the fifth season of the television series The Good Fight, analyzing it through the show’s blend of political realism and ontological surrealism. The analysis is premised on the fact that while the show’s intersectional critique highlights the systemic racism prevalent in American healthcare, the genre of the Covid-19 storyline in the series is stylized as a horror and a thriller. Thus, this chapter argues that the show’s representation of Covid-19 is most productively interpreted within the discursive and aesthetic framework offered by the Gothic, and that the surreal and defamiliarizing tropes applied in this representation function primarily as a way of interrogating the horror of systemic racism. Consequently, the chapter analyzes two episodes from the show’s fifth season, discussing their use of Gothic tropes to engage with issues of racist structures exposed during the Covid-19 pandemic and drawing comparisons with other texts of Black Gothic, primarily the movie Get Out (2017).

Panel 26: Weibliche Herrschaft in der Populärkultur, oder: Frauen, Macht und Staat in aktuellen Spielfilmen und Serien

Donnerstag, 28. September 2023, 14:00 – 16:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Unser Panelvorschlag verknüpft die Frühe Neuzeit mit dem 21. Jahrhundert und fragt nach den Darstellungsformen weiblicher Herrschaft in aktuellen Spielfilmen und Serien. So erfreuen sich Historienfilme über reale weibliche Herrscherinnenfiguren des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit wie Margarethe I. von Dänemark, Maria Stuart, Elisabeth I. oder Katharina II. seit mehreren Jahren überaus großer Beliebtheit wie die Filmproduktionen Mary Queen of Scots (CH 2013, Regie: Thomas Imbach; GB 2018, Regie: Josie Rourke), Elizabeth (1998, Regie: Shekhar Kapus; 2018, Regie: Yorgos Lanthimos) oder Die Königin des Nordens (DK 2021, Regie: Charlotte Sieling) zeigen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Serien mit weiblichen Präsidentinnen zu (z.B. in Frankreich L’État de Grace [2006]; Baron Noir [2016-2020]; in den USA Commander-in-Chief [2005-2006]; House of Cards [2013-18]; in Dänemark Borgen [2010-2013; 4. Staffel 2022] u.a.m.).

Was fasziniert die gegenwärtigen überwiegend westlichen Zuschauer:innen an diesen fiktional(isiert)en Herrscherinnenfiguren aus ganz unterschiedlichen Zeiten, die sich in einem männlich geprägten politischen Umfeld befinden? Wie werden die historischen Herrscherinnen in den gegenwärtigen Inszenierungen aktualisiert, welche Bezüge lassen sich gleichzeitig bei den gegenwärtigen fiktionalen Repräsentant:innen politischer Herrschaft zu möglichen historischen Vorbildern feststellen? Wie verhalten sich beide Formen weiblicher Herrschaft – die historische wie die aktuelle – zu den Codierungen staatlicher Macht als dezidiert männlich? Werden sie den Codes männlicher Herrschaft anverwandelt, stellen sie Gegenentwürfe zu männlichen Herrschaftsformen dar oder subvertieren sie womöglich die nach wie vor herrschenden binären Zuschreibungen von männlicher Macht und weiblicher Ohnmacht? Und wie verhalten sich die gegensätzlichen Staatsformen der historischen Monarchie und moderner Demokratie zueinander? Wie werden sie populärkulturell miteinander verbunden?

Das Panel wird anhand dieser und weiterer erkenntnisleitender Fragen der populärkulturellen Faszination der Gegenwart an Formen weiblicher Herrschaft nachgehen. Dabei begreifen wir populäre Unterhaltungsformate wie Serien und Spielfilme als mediale Reflektoren einer breiteren gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geschlecht und Macht innerhalb der westlichen Hemisphäre. Deren Strukturen kommen nicht nur auf der Ebene der Handlung zum Tragen, sondern mehr noch in den oftmals subtilen ästhetischen Inszenierungsverfahren: in der Anordnung der Figuren im öffentlichen und privaten Raum, in der Sprache, in der Ausstattung bis hin zu Beleuchtung und Farbgebung. Dabei ist zu beobachten – so eine unserer diskussionsleitenden Hypothesen –, dass sowohl gegenwärtige imaginierte als auch historische Herrscherinnenfiguren auf der Handlungsebene in der Regel streng in ihrer jeweiligen Epoche verbleiben. Auf der Inszenierungsebene wird die historische Differenz zwischen damals und heute, zwischen Monarchie und Demokratie jedoch absichtsvoll unterlaufen, indem historische und gegenwärtige Regentinnen einander visuell anverwandelt werden, z.B. indem in der US-amerikanischen Serie House of Cards die zu Macht gekommene Präsidentin Claire Underwood wie eine frühneuzeitliche Monarchin inauguriert und der präsidentielle Stuhl zum neuen Thron erhoben wird, wenn Margarethe I. von Dänemark in der Serie Die Königin des Nordens als eine im Privaten an sich und ihrem Machtanspruch zweifelnde Herrscherin gezeigt wird, deren Skrupel einem neuzeitlichen, nicht aber spätmittelalterlichen Machtkonzept entspringen, oder wenn die fiktive Staatspräsidentin Grace Bellanger in der letzten Folge der französischen TV-Serie L’État de Grace (F 2006) mit Anspielung an die Praktik der monarchischen Geburt in der Frühen Neuzeit vor den Augen der Öffentlichkeit gebiert. Man könnte diese und andere ›Verschmelzungen‹ von Geschichte und Gegenwart als medienformat- typische Anachronismen abtun. Man kann in ihnen jedoch auch – wie es das Panel tut – gezielt gesetzte Zeichen einer Übergängigkeit von vergangenen und gegenwärtigen Repräsentationen weiblicher Herrschaft sehen. Ob diese eher auf eine Nobilitierung oder eine Diskreditierung weiblicher politischer resp. staatlicher Macht zielen, werden die Analysen im Einzelnen erweisen. Sie verstehen sich damit auch als ein Beitrag zu der übergreifenden Diskussion um Frauen in politischen Machtpositionen.

 

Organisation

 

Carmen Birkle (Marburg)

Jutta Hergenhan (Gießen)

Lea Reiff (Marburg)

Hania Sieberpfeiffer (Marburg)

 

Vorträge

 

„Francis, I am done with you”: Claire Hale Underwoods Präsidentschaft in House of Cards
Carmen Birkle (Marburg)

Claire Hale Underwoods Präsidentschaft, die sie nach dem Rücktritt und dem plötzlichen Tod ihres Mannes innehat (Staffel 6), ist vom Schatten des vorherigen Präsidenten geprägt. Als sie einen kleinen Vogel, der hinter einer Wand im Weißen Haus eingemauert war, mit den Worten „Francis, I am done with you“ in die Freiheit entlässt, so kann dies als symbolischer Akt für einen Neuanfang gelesen werden, als Abkehr von einem patriarchalen System, das seine Ursprünge in der britischen Monarchie hat. Doch Franks Imperium ist stark, vernetzt und omnipräsent, so dass Claire nicht anders kann als mit gleichen Waffen – „textbook Francis“ – zurückzuschlagen. Über ihre Schwangerschaft betont sie die Feminisierung des Oval Office und wird gleichzeitig von ihrer Gegenspielerin Annette Shephard intertextuell charakterisiert. Der Vortrag wird auf der Text- und Bildebene intertextuelle Bezüge, z.B. auf Sylvia Plaths Gedicht „Lady Lazarus“, Shakespeares Macbeth und auf George Washington und die britische Monarchie, analysieren und diskutieren, welche historischen Weiblichkeiten mit Claires Präsidentschaft assoziiert werden, die wiederum als narrativer Rahmen (frames) das politische Denken der Populärkultur Konsumierenden prägen.

Kurzbiografie: Professorin für nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Philipps- Universität Marburg. Promotion 1994 zum Thema Women’s Stories of the Looking Glass (1996) und Habilitation 2001 zum Thema Migration—Miscegenation—Transculturation (2004). Präsidentin (2014-2017), Vizepräsidentin (2011-2014), Geschäftsführerin (2008-2011) und International Delegate (2017-2021) der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien. Zurzeit Schatzmeisterin der Europäischen Gesellschaft für Amerikastudien und Mitherausgeberin der Zeitschrift Amerikastudien / American Studies (open access). Buchprojekt zur Intersektionalität von Geschlecht, Medizin, Literatur und Kultur in den USA im 19. Jahrhundert.

 

„Ich bin die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika“ – Geburt, Gebären und Gebaren von Staatspräsidentinnen in L’État de Grace
Jutta Hergenhan (Gießen)

Grace Bellanger wird nicht nur unverhofft zur ersten Präsidentin der Französischen Republik, sondern kurz darauf auch schwanger. Schwangerschaft, Partnerschaft und Regierungsgeschäft müssen nun miteinander vereinbart werden. Da ist es gut, wenn man eine Freundin hat, die sich mit all dem auskennt: Hillary Clinton, imaginiert als Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, steht ihr bei bis hin zum Kreißsaal. Das Thema der Geburt rahmt die französische Mini-Serie L’État de Grace (1 Staffel, 6 Episoden, 2006): von der Eingangsszene, in der Grace Bellanger selbst geboren wird, bis zur Schlussszene, in der sie unter Anwesenheit der Öffentlichkeit (Medien, Mitarbeiter*innen, ausländische Regierungs*chefinnen) ihr Kind gebiert. Frühneuzeitliche französische Königinnen gewannen ihre Macht nicht durch Heirat oder Krönung, sondern erst durch die – öffentlich erfolgende – Geburt eines Thronfolgers. Soll dies auch für Herrscherinnen der Gegenwart gelten? Kann weibliche Herrschaft auch im 21. Jahrhundert nicht ohne Mutterschaft gedacht werden? Muss eine Frau, die regieren will, erst körperlich leiden und als Leidende öffentlich gesehen werden? Der Vortrag befasst sich mit Geschlechter- und Partnerschaftsbildern ebenso wie mit ethnisch-kulturellen und klassenbezogenen Differenzen in der Darstellung von Mutterschaft und Mütterlichkeit, wie sie im Zusammenhang mit weiblicher Macht im populärkulturellen Medium „Serie“ verhandelt werden. Nicht zuletzt soll hier auch die „Geschichtlichkeit des Leibesinneren“ (Duden 1987) in den Blick genommen werden, indem auf Geschichte auch „durch die Linse des Körpers“ geschaut wird (Canning 2022).

Kurzbiografie: Politikwissenschaftlerin, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums für Medien und Interaktivität (ZMI) der Justus-Liebig-Universität Gießen und Sprecherin der ZMI-Sektion „Medien und Gender“. Promotion 2011 zum Thema „Geschlecht Macht Staat. Zur Bedeutung von Sprache für den Ausschluss von Frauen aus der Politik: der Fall Frankreich“. Arbeiten zu Geschlecht, Politik und Sprache sowie Feminismus/ Antifeminismus in der Frühen Neuzeit und in der Gegenwart, aktuell zu Imaginationen weiblicher Präsidentschaft in französischen TV-Serien.

 

Gekrönte Marionetten – Zur Inszenierung weiblicher Herrschaft in Thomas Imbachs Mary Queen of Scots
Lea Reiff (Marburg)

Als filmische Adaption von Stefan Zweigs Maria Stuart (1935) stellt der Spielfilm Mary Queen of Scots (CH 2013, Regie: Thomas Imbach) nicht nur eine Bearbeitung eines historischen Stoffes dar, sondern 3 bietet auch eine intensive Auseinandersetzung mit Zweigs Interpretation des Lebens der schottischen Königin als psychischer ‚Tragödie‘. Bei Zweig ist weibliche Herrschaft als Ausnahmeerscheinung markiert, die durch weibliche Sexualität und weibliches Begehren bedroht ist. Zweigs psychoanalytisch geprägte Deutung des historischen Stoffs wird bei Imbach zwar umgesetzt, wie sich z. B. in der Inszenierung von Landschaften, der Kameraführung, Beleuchtung und Farbgebung zeigt. Auf einer zweiten diegetischen Ebene, die Zweigs ausgeprägte Theatermetaphorik in ein Puppenspiel überführt, wird jedoch nicht nur die Deutung des Verhältnisses von Maria Stuart zu ihrer ‚Schwesterkönigin‘ Elisabeth I. von England rezeptionsgeschichtlich hinterfragt, sondern auch die Fremdbestimmtheit der Herrscherinnen durch soziale Praktiken und Zwänge inszeniert und somit die Frage nach den Bedingungen weiblicher Herrschaft neu perspektiviert. Es ist zu fragen, wie stark die filmische Adaption durch eine Inszenierung beider Königinnen als Spielball und Objekt einer männlich dominierten Politik- und Wissenschaftsgeschichte die Bedeutung der Kategorie ‚Geschlecht‘ historisiert – im Hinblick sowohl auf die Herrschaftsordnung des 16. Jahrhunderts als auch auf die Deutung Stefan Zweigs.

Kurzbiografie: Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Hania Siebenpfeiffer in der AG Frühe Neuzeit – Europäische Aufklärung am Institut für Neuere deutsche Literatur der Philipps-Universität Marburg. Doktorandin mit einem Dissertationsprojekt zu Codierungen der Syphilis in der Literatur der Frühen Neuzeit. Arbeiten zur Lyrik Maria Stuarts, Autorschaftskonzeptionen in Fernsehserien, Syphilis in den Colloquia Familiaria des Erasmus von Rotterdam. Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Literatur und Wissen sowie Gender Studies.

 

A Queen without a Body? Der Körper der Königin in Elizabeth I – The Virgin Queen und Elizabeth I
Hania Siebenpfeiffer (Marburg)

Elisabeth I (1533–1603) ist dem deutschsprachigen (Film)Publikum in erster Linie als negative Gegenspielerin von Mary Stuart (1542–1587) bekannt. Während sich für Mary Stuart das Narrativ der (katholischen) Märtyrerin durchgesetzt hat, legen die literarischen und filmischen Inszenierungen Elisabeth I seit Friedrich Schillers Maria Stuart (1800) auf die Rolle der hartherzigen Regentin fest, die zum eigenen Machterhalt ihre schottische Schwesterregentin hinrichten lässt. Negiert wird dabei, dass Elisabeth I England in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer und wissenschaftlicher Umbrüche überaus erfolgreich regierte und zur maritimen Weltmacht ausbaute. Ambivalent war das öffentliche Urteil über Elisabeth I von Beginn an. Schon ihre Zeitgenossen lobten ihre ‚männliche‘ Entschlossenheit; als unverheiratete und kinderlose Regentin, die die dynastischen Erbfolge nicht sicherte, war sie gleichzeitig zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Sie selbst reagierte auf die paradoxe Forderung, männliche Herrscherin und weibliche Regentin zugleich sein zu müssen, mit einer medialen Überstilisierung ihres Körpers. Als maiden queen definierte sie die frühneuzeitliche Verbindung von body politic und body natural um und erschuf (sich) einen dritten, geschlechtsneutralen, medialen Körper, der in den Folgejahrhundert ikonisch wurde. Mein Vortrag wird am Beispiel von Elizabeth I – The Virgin Queen (GB 2005) und Elizabeth I (GB 2006) danach fragen, wie das 21. Jahrhundert den Körper der Herrscherin medial verhandelt, welche Rolle frühneuzeitliche Traditionen der visuellen Selbststilisierung dabei spielen und inwiefern die Kategorie ‚Geschlecht‘ in ihrer kulturellen wie körperlichen Bedeutung in den Filmadaptionen dekonstruiert, subvertiert oder affirmiert wird.

Kurzbiografie: Professorin für Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit und Europäischen Aufklärung an der Universität Marburg. 2007 Max Kade Distinguished Professor an der UIUC; 2008 bis 2014 Juniorprofessorin an der Universität Greifswald. Promotion an der FU Berlin mit einer Arbeit zu Gewaltverbrechen in Literatur und Recht der Weimarer Republik (»Böse Lust. Gewaltverbrechen in Diskursen der Weimarer Republik«. Köln, Wien 2005); Habilitation an der Universität Greifswald mit einer Studie zu Literatur und Astronomie in der Frühen Neuzeit (»Die literarische Eroberung des Alls. Literatur und Astronomie (1593-1771), Göttingen [2023]). Gastprofessorin an der HU Berlin, der LMU München und der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkt zur Literatur und Kultur des 16. bis 18. Jhdt. sowie der Moderne bis Gegenwart, Literatur und Recht, Literatur und Wissen sowie Gender Studies.

Panel 27: La ficción de la memoria española – Antirealistische Filme zum spanischen Bürger:innenkrieg und franquistischer Diktatur

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30 – 18:30 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

Bis heute sind erinnerungspolitische Auseinandersetzungen über die II. Republik, den Spanischen Bürger:innenkrieg, die franquistische Diktatur und die Transición innerhalb der spanischen Gesellschaft mindestens konfliktbehaftet – zum Teil stehen sich dabei sogar weiterhin diametrale Erinnerungen, Narrationen und historische Darstellungen gegenüber. Trotz der Konfliktivität des spanischen kollektiven Gedächtnisses sind seit der Jahrtausendwende auch in Spanien populärkulturelle Erinnerungsformen wie Serien, Filme, Comics und Computerspiele Teil des Mainstreams geworden. Vielfach ermöglichen popkulturelle filmische Produktionen alltagsnahe und vereinfachte Zugänge zu historischen Vergangenheiten. Sie können bestehende Vergangenheitsvorstellungen konstruieren, rekonstruieren und dekonstruieren, zu deren Verbreitung und schließlich zur Konstruktion des kollektiven Gedächtnisses beitragen. Dabei sind populärkulturelle Fiktionen der Vergangenheit jedoch nicht unproblematisch, beispielsweise, wenn sie nur einen Trend aufgreifen und durch eine zu starke Fokussierung auf den Unterhaltungsanspruch eine Entpolitisierung und Enthistorisierung befördern. Gerade bei historischen filmischen Fiktionen, die auf ein globales Publikum ausgerichtet sind und entsprechend eine wesentlich breitere Anschlussfähigkeit gewährleisten müssen, besteht im Besonderen ein Risiko der Banalisierung von traumatischen Vergangenheiten.

Dieses Panel konzentriert sich auf antirealistische Filme und Serien aus den Genres von Fantasy, Horror und Science-Fiction, die die spanische Geschichte des 20. Jahrhunderts thematisieren. Beispielhaft dafür sind die Klassiker von Guillermo del Toro wie der Horrorfilm The Devil’s Backbone (2001) oder das Fantasydrama Pans Labyrinth (2006) sowie neuere Produktionen wie die dystopische Science-Fiction Netflix-Serie La Valla – Überleben an der Grenze (2020) oder der Zombie-Film Malnazidos – Im Tal der Toten (2022) anzusehen. Zentral werden wir uns mit der Ambivalenz hinsichtlich der besonderen Möglichkeiten und Grenzen antirealistischer Filme in Bezug auf die (Re-)Konstruktion von traumatischen Vergangenheiten und des kollektiven Gedächtnisses auseinandersetzen. Diese Genres haben ein besonderes Potential durch die konstruierte antirealistische Darstellung Distanz zu schaffen und dann in spezieller Weise mittels Anspielungen und Chiffren sich mit der historischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, die von Mitgliedern des jeweiligen kollektiven Gedächtnisses gelesen werden können. Durch Chiffren und Metaphern können in antirealistischen Werken u.a. historische Ereignisse thematisiert und problematisiert werden, die im jeweiligen kollektiven Gedächtnis bisher weitgehend tabuisiert werden. Somit können diese Genres einen Beitrag zu einer (Re-)Politisierung des kollektiven Gedächtnisses liefern. Allerdings besteht dabei jedoch immer auch die Gefahr, dass diese beabsichtigten Anspielungen und Chiffren außerhalb des jeweiligen kollektiven Gedächtnisses nicht als solche erkannt und dechiffriert werden und die Filme somit als reine Unterhaltungsfilme wahrgenommen werden. In dem Panel werden wir neben der Analyse der Narrationen, Figuren und Bauformen ausgewählter antirealistischer Filme zum spanischen Bürger:innenkrieg und Franquismus einen besonderen Fokus auf die verwendeten Metaphern, Codes, Symboliken und Allegorien legen, die darauf angelegt sind eine Brücke zur historischen Vergangenheit zu bauen.

 

Organisation

 

Silke Hünecke (Chemnitz/Barcelona)

Bri Newesely (Berlin)

 

Ablauf des Panels

 

  • Einleitende Worte: Silke Hünecke (Chemnitz/Barcelona): Zum kollektiven Gedächtnis Spaniens
    und Daniela Kuschel (Mannheim): Fiktionalisierung historischer Ereignisse und populärkulturelle Vermittlungsformen am Beispiel Spanien
  • Daniela Kuschel (Mannheim): Zwischen Entsakralisierung und Evasion: Nazis, Zombies und ‚las dos Españas‘.
  • Silke Hünecke (Chemnitz/Barcelona) / Bri Newesely (Berlin): Interdisziplinäre Perspektiven auf dystopische und Fantasyfiktionen zum spanischen Bürger:innenkrieg und Franquismus

 

Vorträge

Zwischen Entsakralisierung und Evasion: Nazis, Zombies und ‚las dos Españas‘
Dr. Daniela Kuschel (Mannheim)

Das Horrorgenre in seinen unterschiedlichen Ausprägungen sowie seine Figuren sind seit dem Beginn des boom de la memoria in den 1990er Jahren in den Erinnerungstexten zugegen. Wenngleich zunächst chiffriert, indem bspw. allegorisch das Dasein der Maquis als ‚lebendig Begrabene‘ ästhetisiert oder auch der ‚Wiedergang‘ der ungesühnten Verbrechen und der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit mit Hilfe des Gespenster-Motivs metaphorisiert wird. Mit den beiden Spanien-Filmen von Guillermo del Toro, Pans Labyrinth und The Devil’s Backbone zu Beginn des neuen Jahrtausends werden die Figuren des Horrorgenres auf der Filmleinwand explizit.

Der Film Malnazidos (2020) greift, zum ersten Mal in der Geschichte der Bürgerkriegsfilme, explizit auf die populäre Figur des Zombies zurück und ermöglicht mit ihrer Hilfe für die kurze Dauer des Films, ein Versöhnungsnarrativ zu kreieren, das auf dem Schulterschluss von Franquisten und Republikanern gegen einen gemeinsamen Feind, die Nazis, basiert. Der wahnsinnige Plan, mit Hilfe biochemischer Prozesse, gewöhnliche Menschen in Zombies zu verwandeln, um sie im Krieg als Waffe einzusetzen, referiert unmissverständlich auf die „verrückt-okkulte Nazi-Wissenschaft“ (Kingsepp 2015: 248), die durch Motive wie den Nazi-Zombie in der Populärkultur bemüht wird. Indem der Film eine innerspanische Positionierung umgeht, kann er die widersprüchlichen Erinnerungskulturen verhandeln und kurzzeitig die unvereinbare Konstellation der ‚dos Españas‘ aufbrechen. Ähnlich dem Diskurs in Berlangas La vaquilla hilft der Humor dabei, den Krieg als solchen in Frage zu stellen. Das dezidiert anti-realistische Moment bleibt hierbei jedoch ambivalent: Einerseits dient es der Entsakralisierung paradigmatischer Bürgerkriegsdiskurse, andererseits geschieht dies auf Kosten einer Positionierung bzw. kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, deren anhaltende Entpolitisierung bisweilen problematisch erscheint.

Kurzbiografie: Dr. Daniela Kuschel ist Akademische Mitarbeiterin der Abteilung Romanische Literatur- und Medienwissenschaft der Universität Mannheim. Sie hat ihren B.A. und M.A. in den Fächern Romanistik und BWL an der Universität Mannheim abgeschlossen und zur Darstellung des Spanischen Bürgerkriegs in populärkulturellen Medien promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Ästhetisierung von Krieg, Gewalt und (historischer) Erinnerung in Literatur und Medien (Filme, Comics, Video- und Brettspiele) sowie in den Literary Disability Studies, in denen sie sich für den Umgang mit Behinderung im literarischen Kanon interessiert. Sie unterrichtet spanische und französische Literatur- und Medienwissenschaft, ist Redaktionsmitarbeiterin der literaturwissenschaftlichen Herausgabe der Romanischen Forschungen von Prof. Cornelia Ruhe und Mitherausgeberin der Zeitschrift Spiel, Kultur & Kontext.

 

Interdisziplinäre Perspektiven auf dystopische und Fantasyfiktionen zum spanischen Bürger:innenkrieg und Franquismus
Silke Hünecke (Chemnitz) / Bri Newesley (Berlin)

In unserem Beitrag stellen wir erinnerungspolitische Lesarten zu zwei verschiedenen filmischen Werken über den spanischen Bürger:innenkrieg und Franquismus – sowohl aus einer sozialwissenschaftlichen als auch aus einer szenographischen Perspektive – vor. Dabei handelt es sich um den mehrfach ausgezeichneten Fantasy-Blockbuster Pans Labyrinth von del Toro (2006) und die dystopische Netflix-Serie La Valla – Überleben an der Grenze von u.a. David Molina und Oriol Ferrer (2020). Ausgewählt wurden diese Fiktionen, da sie das breite Feld von antirealistischer Erzählweise zur spanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegeln, und sich anhand dieser analysierten Werke eine Entwicklung der jüngsten spanischen Erinnerungspolitik aufzeigen lässt.

Pans Labyrinth stand ganz im Zeichen des spanischen Erinnerungsbooms zur Jahrtausendwende – detailreich und geschickt nutzte del Toro das Fantasygenre, um bestehende Tabus des gesellschaftlichen Schweigens aufzubrechen: Die Fiktion ist in die 1940er Jahre, die ersten Jahre des Franquismus eingeschrieben, die Erzählorte sind einerseits ein dunkler Wald in Spanien und anderseits eine Fantasiewelt eines kleinen Mädchens. Schonungslos wird in beiden Welten die Brutalität des Franquismus aufgezeigt, aber ebenso wird auf Entscheidungsmöglichkeiten und erfolgreiche Widerstandsstrategien verwiesen. Die fünfzehn Jahre später entstandene Serie La Valla muss keine historischen Wahrheiten mehr aufdecken, sie hält dem Publikum vielmehr mögliche geschichtliche Wiederholungen demonstrativ vor Augen. La Valla spielt zwar in einer dystopischen diktatorischen Zukunft im Jahre 2045 in Madrid, weist jedoch eine Vielzahl an Analogien zum Franquismus sowie zum Nationalsozialismus auf. Die inszenierte Gesellschaft ist gekennzeichnet durch ein extremes Zwei-Klassenverhältnis, allgegenwärtige Militärpräsenz, Überwachung und massive Polizeigewalt. Gerade vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtsextremismus in Spanien der letzten Jahre kann La Valla als Mahnung für die Zukunft gelesen werden: Erinnert sie doch stark an die Aussage des spanischen Philosophen George Santayana „Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen.“

In den beiden untersuchten Fiktionen zeigen die Figuren eine große Bandbreite von Denk- und Verhaltensweisen der Bevölkerung auf – von überzeugten Franquist:innen über Angepasste bis hin zu Aktivist:innen im Widerstand. Beide Werke sind von der Oscar-prämierten Set-Designerin Pilar Revuelta in Szene gesetzt worden, deren Raumbilder mehr oder weniger explizit die spanische Geschichte referenzieren und mithilfe der verwendeten Metaphern eine Brücke zu den historischen Vergangenheiten bauen können. Neben dem Offensichtlichen in den Narrationen und Szenographien lassen sich zudem vielzählige Andeutungen und Codes finden, die ein differenziertes Wissen zum spanischen kollektiven Gedächtnis erfordern, um deren erinnerungspolitische Relevanz zu verstehen.

Kurzbiografien:

Dr. Silke Hünecke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Kultureller und Sozialer Wandel bei den Europastudien an der Technischen Universität Chemnitz (TUC). Ihre Forschungsfelder sind Erinnerungspolitiken, soziale Bewegungen, Gender, Krisen und Konflikte vor allem in Bezug auf Katalonien/Spanien. Ihre jüngsten Veröffentlichungen sind Urban memory als Palimpsestphänomen? Murals commemoratius im städtischen Raum Kataloniens (2022) und The Catalan Movement: Between the aesthetic staging of mass events and collective civil disobedience (2021).

Prof. Dr. Ing. Bri Newesely ist Professorin an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) im Fachgebiet Szenografie und Theaterbau. Studium an der Universität der Künste Berlin und der Kunsthochschule Weissensee Berlin: Bildende Kunst, Architektur und Bühnenbild. Seit 1996 arbeitet sie freischaffend als Bühnenbildnerin, Set-Designerin, Architektin und Technische Leiterin; 2002 wurde sie als Bühnenmeisterin zertifiziert und ist seit 2014 Mitglied im International Observatory of Scenic Spaces der UPC Barcelona.

Panel 28: Populäre Kulturen im Kontext der Dekolonialisierung: Interkulturelle Perspektiven, Aneignungsprozesse und subversive Strategien

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30–18:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Organisation

 

Julien Bobineau (Jena)

Christoph Vatter (Jena)

 

Vorträge

 

Postkoloniale Identitätskonstruktionen in der französischen Populärkultur der „langen 1960er Jahre“: Der ivorisch-französische Sänger John William zwischen interkultureller Aneignung und subversiver Affirmation von „blackness“
Christoph Vatter (Jena)

Der ivorisch-französische Sängers John William (eigentlich Ernest Armand Huss, 1922-2011) ist heute fast vergessen, obwohl er zu den erfolgreichsten Künstlern Frankreichs in den „langen 1960er Jahren“ zählt. In seiner Biographie und seinem künstlerischen Schaffen kristallisieren sich zentrale Aspekte des ambivalenten Umgangs Frankreichs mit seinem kolonialen Erbe im Kontext der Dekolonialisierung, aber auch Strategien der postkolonialen Positionierung und Repräsentation. Denn John William verknüpft seine Erfahrungen als Afro-Franzose, Résistant und déporté mit der afro-amerikanischen Geschichte und der Erinnerung an die Sklaverei, bedient aber ebenso die Faszination für die USA, u.a. als wichtigster Interpret von Western-Titelmelodien: So begann er seine Karriere mit dem Chanson „Je suis un n…“, für das er 1952 mit dem „Grand Prix“ des Chansonsfestivals von Deauville ausgezeichnet wurde; weitere Erfolge waren die französischen Adaptionen der Titelmelodien von Filmen wie „High Noon“ oder „Alamo“ bis er ab Ende der 1960er Jahre das Gospel und Spiritual in Frankreich etablierte.

Am Beispiel von Williams Autobiographie und künstlerischem Werk sollen interkulturelle Transfer- und Aneignungsprozesse im Kontext der populären Musik Frankreichs der 1950er und 1960er Jahre vor dem Hintergrund der Dekolonialisierung herausgearbeitet werden. Der Beitrag analysiert mediale Repräsentationen von kultureller Alterität sowie Formen der Identifikation und Selbstinszenierung im ambivalenten Spannungsfeld zwischen postkolonialer „blackness“ und „Afroamerikanophilie“ (Ege 2007), die auch als subversive Strategien zur eigenen Positionierung gelesen werden können, und fragt damit nach dem Stellenwert von außereuropäischen Bezugsgrößen und der Ausblendung eigener postkolonialer Realitäten in der medialen Popkultur der Zeit.

 

Politiker und Promi(s): der mauritische Außenminister Gaëtan Duval und seine Werbekampagnen für den Tourismusstandort Mauritius in den 1970er Jahren
Sonja Malzner (Luxemburg/La Réunion)

Mein Beitragsvorschlag situiert sich im Spannungsfeld von Populärkultur und Politik, genauer gesagt der postkolonialen Wirtschaftspolitik des 1968 in die Unabhängigkeit entlassenen Inselstaats Mauritius. Aufgezeigt werden soll, wie im konkreten Fall des mauritischen Außenministers Gaëtan Duval die Populärkultur nicht nur instrumentalisiert, sondern auch gestaltet und zelebriert wurde, was wesentlich zum Erfolg der jungen Nation als wichtigste touristische Destination des westlichen Indischen Ozeans beigetragen hat. Von Duval stammte die Idee, vor allem auf den Tourismus zu setzen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Arbeitsplätze auf der unter einer massiven Überbevölkerung und ethnischen Konflikten leidenden Insel zu schaffen. Und er war es auch, der sich selbst zum wichtigsten Promoter der Tourismusdestination Mauritius machte, indem er auf das Populäre setzte: auf seine eigene Popularität als exzentrischer Politiker-Promi und auf seine Kontakte zu Stars und Sternchen des europäischen und südafrikanischen Show-Business, um in den dortigen Massenmedien ein breitenwirksames Interesse für Mauritius zu wecken. In den 1970er Jahren rückte ja dank des Jets ein Badeurlaub in den Tropen für Europäer*innen in greifbare Nähe. Duval wusste diese Sehnsucht nach einem Aufenthalt ‚im Paradies‘ zu nutzen und ließ Prominente wie Miss South Africa, Brigitte Bardot oder Curd Jürgens zum Cross-Promoting einfliegen. Ganz gezielt prägte er dadurch das Image Mauritius als Luxusdestination, das sich bis heute hält. Die Analyse einiger solcher Inszenierungen (Fernsehsendungen, Fotos, Reportagen in illustrierten Zeitschriften) soll aufzeigen, wie Duval mithilfe dieser Strategie seine wichtigsten Zielsetzungen für die junge Nation vorantreiben konnte: die Wirtschaft und insbesondere die Tourismusindustrie in Gang zu setzen, die soziale Kohäsion zu stärken und eine mauritische Identität zu formen sowie den Kontakt mit der westlichen Welt aufrechtzuerhalten.

Kurzbiografie: Sonja Malzner, Dozentin für deutsche Sprache und Kulturgeschichte an den Universitäten Rouen und Réunion, forscht derzeit als Mitglied der Forschungsgruppe popkult60 an der Universität Luxemburg zu populären Repräsentationen der Tourismusdestination Indischer Ozean in der Zeit der Dekolonialisierung (1950er-1970er Jahre). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kulturgeschichte, insbesondere der (post)kolonialen europäisch-afrikanischen Beziehungen und medialer Aspekte populärer Repräsentation.

 

„We’re taking it home.“ Koloniale Beutekunst, populäre Performances und postkolonialer Protest in den Sozialen Medien
Julien Bobineau (Jena)

Im Juni 2020 sorgte der kongolesische Aktivist Mwazulu Diyabanza in Paris international für Aufsehen: Im Zuge eines Besuchs im ethnographischen Musée du Quai-Branly, das über 90.000 Kunst- und Kulturobjekte aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika besitzt, raubte Diyabanza einen afrikanischen Begräbnispfosten aus dem 19. Jahrhundert, ließ sich dabei filmen und stellte das Video in die Sozialen Netzwerke. Aus Protest gegen den – aus seiner Sicht schleppenden – Fortschritt bei den Verhandlungen um die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter aus europäischem Besitz verkündete Diyabanza in der Videobotschaft: ‚We’re taking it home.‘ Beim Verlassen des Museums wurde der Aktivist von der Polizei festgenommen und stand gemeinsam mit vier weiteren Mitstreitern in Paris vor Gericht, ehe er im Oktober 2020 zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.000€ verurteilt wurde. Noch im selben Jahr wiederholte Diyabanza seine symbolisch aufgeladene Rückeroberungsaktion und stahl weitere Objekte u.a. im Pariser Louvre und im niederländischen Afrika Museum in Berg en Dal.

Dieser Beitrag will die aktivistischen Handlungen Diyabanzas und die Verbreitung seiner Videos in den Sozialen Medien als postkoloniale populäre Performance betrachten und vor dem Hintergrund der Restitutionsdebatte untersuchen, welche soziokulturellen Prozesse bei der Rückeroberung materieller Diskursmacht verhandelt werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, in welchem Maß der interaktive Charakter Sozialer Medien wie Youtube, Instagram und Facebook die Popularität des Aktivisten, seiner Handlungen und der dahinter liegenden politischen Botschaften verstärkt. Im Zuge der Untersuchung sollen zudem auch Selbst- und Fremdwahrnehmung in Verbindung mit der subversiven Machtkritik aus einer rechtsethischen Perspektive verhandelt werden: Während Diyabanza in Frankreich und in den Niederlanden strafrechtlich verfolgt wird, betrachtet der Kongolese seine Handlung selbst nicht als Diebstahl, sondern als eine Form der Wiederherstellung von historischer Gerechtigkeit.

Kurzbiografie: Julien Bobineau ist Postdoc am Fachbereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Nach einer Promotion an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg forscht er in Jena zu postkolonialen Kulturen im frankophonen Afrika, der europäischen Kolonialgeschichte v.a. in Frankreich, Belgien und Deutschland mit einem Fokus auf der Debatte um die Restitution ‚afrikanischer‘ Kulturgüter sowie zu Rassismus in deutschen Polizei- und Sicherheitsbehörden.

 

Miriam Makeba zwischen Kulturen und Kontinenten: Die Repräsentation von „Mama Africa“ im Medienensemble der langen 1960er Jahre Marie Kollek (Jena)

Miriam Makeba wurde 1932 in einem Slum von Johannesburg geboren und stieg im Laufe ihres Lebens zu einer schillernden, internationalen Berühmtheit und Vertreterin der sogenannten Weltmusik auf. Sie singt zumeist in afrikanischen Sprachen und verbindet westliche Musikästhetik mit Elementen aus der traditionellen, afrikanischen Musik. Ab 1960 lebte sie im Exil in den USA, Guinea und Belgien und kämpfte von dort aus gegen die Apartheitspolitik Südafrikas sowie für die Menschenrechte im Allgemeinen. Erst 1990 konnte sie erstmals durch Einladung Nelson Mandelas in ihr Heimatland zurückkehren. Die Persönlichkeit Miriam Makeba eignet sich durch ihre weltweite Berühmtheit und Rezeption ausgezeichnet für eine transnationale und transmediale Analyse, um interkulturelle Transfer- und Aneignungsprozesse vor dem Hintergrund der Dekolonialisierung und in Bezug auf die Länder Deutschland, Belgien und Frankreich, die über sehr verschiedene Kolonialgeschichten und Aufarbeitungsprozesse verfügen, herauszuarbeiten. Dabei bewegt sich die Analyse im ambivalenten Feld zwischen postkolonialen Umbrüchen, Afroamerikanophilie und weiterbestehenden Stereotypen. Konkret beschäftigt sich das Paper mit der Repräsentation und Rezeption Miriam Makebas im popkulturellen Medienensemble Deutschland, Belgien und Frankreichs der 60er Jahre und legt dabei einen Fokus auf die Identitätskonstruktion der Figur im Kontext der Dekolonialisierung und Unabhängigkeitswerdung vieler afrikanischer Staaten in dieser Zeit. Welche Zuschreibungen finden sich in Bezug auf Makeba in den landesspezifischen Medien? Gibt es Transferprozesse oder große Unterschiede zwischen den Narrativen? Lassen sich Schlüsse auf den eigenen Umgang mit der Kolonialvergangenheit ziehen? Wie wird die Sängerin in ihrer Rolle als antikoloniale Kämpferin inszeniert und welche Formen der Eigenrepräsentationen stellt die Sängerin heraus?

Kurzbiografie: Marie Kollek studierte International vergleichende Soziologie (MA), Politikwissenschaft (BA & MA) und Islamwissenschaft (BA) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der University of Aberdeen und der Université de Bretagne Occidentale. Ihr Studium schloss sie 2020 mit einer Arbeit zu Identitätskonstruktionen und Antifeminismen rechtsterroristischer Attentäter ab. Ihre Schwerpunkte sind Diskursforschung, Postkoloniale Theorie sowie machtkritische und poststrukturalistische Perspektiven. Seit 2022 ist sie Doktorandin im DFG/FNR Projekt „Postkoloniale Popkulturen in Belgien, Deutschland und Frankreich. Zur Repräsentation Subsahara-Afrikas im Medienensemble der langen 1960er Jahre im Kontext der Dekolonialisierung“.

Panel 29: Rache in populären Kulturen

Freitag, 29. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Im Denken der Moderne markiert die Rache einen blinden Fleck (Bernhardt 2021). Dieser Fleck ist blind, aber nicht leer. So gering das philosophische Interesse ist, das sich auf den Begriff der Rache richtet, so groß ist der Raum, den sie im massenkulturellen Imaginären einnimmt. An die Stelle der begrifflichen Reflexion treten die imaginären Variationen der Rache, eine Fülle an Bildern und Erzählungen, die in der Gegenwartskultur eine enorme Popularität genießen – angefangen von dem Grafen von Monte Christo über Batman und John Rambo bis hin zu Kill Bill und den Inglourious Basterds. Rächerinnen und Rächer, die in eigener Sache oder als Vollstrecker einer ‚höheren‘ ausgleichenden Gerechtigkeit auftreten, gehören zum festen Repertoire der Figuren, die die zeitgenössische Populärkultur bevölkern. Woher rührt die Faszination, die von ihnen ausgeht? Worin liegt ihre soziale und affektpolitische Bedeutung? Weshalb finden sie insbesondere in der Populärkultur so großen Raum? Und wie lässt sich der lustvolle Konsum der Rache im Imaginären zur moralischen Verurteilung der Rache im Realen in Beziehung setzen? Ausgehend von der Hypothese, dass sich die populärkulturellen Repräsentationen der Rache zugleich als zeitspezifische Problematisierungen der Rache verstehen lassen, in denen Fragen der Gerechtigkeit und des Umgangs mit realhistorischen Unrechts- und Gewalterfahrungen verhandelt werden, sollen in dem transdisziplinären Panel anhand von konkreten Einzeluntersuchungen vier Felder thematisiert werden: Rache und Gender (Saskia Fischer), Rache und Kolonialismus (Manuel Bolz), Rache und (jüdische) Komik (Sebastian Schirrmeister), Rache, Sichtbarkeit und Identität (Fabian Bernhardt); Batman trifft auf Bertolt Brechts Seeräuber-Jenny, the Marvelous Mrs. Maisel auf kolumbianische Kannibal:innen. Dass populärkulturelle Bilder, Texte und Filme etablierte Diskursmuster, stereotype Zuschreibungen und tradierte Topoi nicht nur fortschreiben, sondern auch in besonderer Weise geeignet sind, sie zu ironisieren und kritisch gegen den Strich zu lesen, gehört zu den verbindenden Annahmen dieses Panels.

 

Organisation

 

Fabian Bernhardt (Berlin)

Manuel Bolz Hamburg)

Saskia Fischer (Hannover)

Sebastian Schirrmeister (Hamburg)

 

Vorträge

 

Filmische Racheimaginationen – die koloniale Kodierung von Rache
Manuel Bolz (Hamburg)

Der Beitrag von Manuel Bolz untersucht aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive ausgewählte Erzähl- und Visualisierungsstrategien, (post)koloniale Blickregime und Bilderwelten (colonial/white gaze) in dem Film Rache der Kannibalen (1981). Bolz fragt danach, wie die populärkulturellen Rache- und Gewaltdarstellungen um kolumbianische Kannibal:innen und US- amerikanische Wissenschaftler:innen zivilisatorische Racheverständnisse repräsentieren und Otheringprozesse reproduzieren, wie sie gleichzeitig aber auch Fragen nach der Legitimität nicht- institutionalisierter Rechtssysteme (Vigilantismus) verhandeln.

Kurzbiografie: Manuel Bolz, M.A. ist Kulturwissenschaftler aus Hamburg. Seine Forschungsinteressen liegen in der Ethnographie und Historischen Anthropologie, Emotions- sowie Körper-, Sexualitäts- und Geschlechterforschung. Im Jahr 2022 verfasste er seine ethnografische Masterarbeit über biografische Racheerzählungen und Krisenerfahrungen als kommunikative Emotionspraktik. Momentan erarbeitet er ein Promotionsprojekt zu Krisennarrativen über das Vergnügungsviertel St. Pauli an der Schnittstelle einer kulturwissenschaftlichen Infrastruktur- und Stadtforschung sowie den interdisziplinären Night Studies.

 

In Zeiten des abnehmenden Lichts. Von Achilles zu Batman
Fabian Bernhardt (Berlin)

Jede Epoche träumt ihren eigenen Traum von der Rache. Rächer und Rächerinnen gehören zum festen Repertoire der Gestalten, die das kulturelle Imaginäre seit jeher bevölkern. Das heißt aber auch, dass sich an den imaginären Rachegestalten ein Stück weit ablesen lässt, wie zu einer bestimmten Zeit über Rache nachgedacht und auf welche Weise sie zum Gegenstand einer ästhetischen Problematisierung gemacht wurde. Ausgehend von dieser Prämisse werde ich in meinem Beitrag einen genaueren Blick auf zwei populäre Rachefiguren werfen: Achilles und Batman. Dem Unterschied zwischen Achilles und Batman entspricht der Unterschied zwischen Tag und Nacht, Sichtbarkeit und Dunkelheit, einer Rache, die sich offen zeigt, und einer Rache, die nur verhüllt in Erscheinung tritt. Anders als Batman musste Achilles keine Maske tragen oder einen anderen Namen annehmen, um seine Rache zu vollziehen. In dieser Hinsicht wächst beiden Figuren eine exemplarische Bedeutung zu. Wie ich zeigen werde, hängen die Frage nach der Sichtbarkeit der Rache und die Frage nach der Identität des rächenden Subjekts ideen- und kulturhistorisch eng zusammen: Der Moment, in dem das Selbst des Rächers brüchig zu werden beginnt und in mehrere Identitäten aufsplittert, fällt zusammen mit dem Moment, in dem die Rache ihren lange Zeit für fraglos gehaltenen Pakt mit dem Tageslicht aufkündigt und sich einen neuen Verbündeten in der Dunkelheit sucht.

Kurzbiografie: Dr. Fabian Bernhardt; Studium der Philosophie, Ethnologie und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft; 2018 Promotion in Philosophie an der Freien Universität Berlin; seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ an der Freien Universität Berlin. Die Beschäftigung mit Fragen der Schuld, Vergebung und Rache gehört zu seinen philosophischen Spezialgebieten. Seine Monographie Rache. Über einen blinden Fleck der Moderne (Berlin: Matthes & Seitz 2021) wurde im September 2021 mit dem gemeinsamen Sachbuchpreis von RBB Kultur, der literarischen WELT, NZZ, Österreich 1 und WDR 5 ausgezeichnet. Weitere Publikationen zum Thema (Auswahl): Zur Vergebung. Eine Reflexion im Ausgang von Paul Ricœur, Berlin: Neofelis 2014; „Forgiveness and Revenge“, in: Thomas Szanto, Hilge Landweer (Hg.): Routledge Handbook on Phenomenology of Emotions, London/New York: Routledge 2020; „Was ist Rache? Versuch einer systematischen Bestimmung“, in: Hilge Landweer, Dirk Koppelberg (Hg.): Recht und Emotion I. Verkannte Zusammenhänge, Freiburg/München: Alber 2016.

 

„Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich ‚Hoppla!‘“ – Rächerinnen in Theater, Musik und Film
Saskia Fischer (Hannover)

Verfolgt die in der Literatur, im Theater oder im Film inszenierte Rache den Zweck der Entlastung des Publikums? Ist die Kunst also das kulturelle und soziale Medium, in dem wir Vergeltungsphantasien ausleben können, die uns unsere Moralvorstellungen in der realen Welt verwehren? Sicherlich. Doch die performativ-künstlerischen Auseinandersetzung mit Rache – auch in der sogenannten Populärkultur – geht oft tiefer und ist meist komplexer. Rachegeschichten gibt es in einem breiten Spektrum. Sie beschränken sich nicht auf simple und gefällige Geschichten, in denen das Gute triumphiert – wenngleich mit illegitimen Mitteln. Bertolt Brechts Theaterästhetik ist vielmehr ein Beispiel für ein äußerst vielschichtiges Verständnis von Rache und es ist Brecht, der wie kaum ein anderer das Theater und die Kunst im Kontext ihrer gesellschaftlichen Funktion analysiert hat. Brecht ist es, der immer wieder betonte, dass solche Geschichten, die uns nur ‚guttun‘ – Geschichten also, die lediglich darauf zielen, dem Publikum die Möglichkeit zu eröffnen, unangenehme Gefühle auszuleben, letztlich jede kritische Wirkung negieren und den gesellschaftlichen Status quo festigen; selbst dann noch, wenn sie eigentlich gesellschaftskritisch sein wollen. Gerade seine Dreigroschenoper ist ein solch komplexer Blick auf die Rache, der dem Publikum immer wieder verwehrt, die Rache – obwohl sie gerechtfertigt erscheinen mag – einfach gutzuheißen. Das Stück legt vielmehr bloß, wie sehr die moderne, kapitalistische Welt grundsätzlich von einer vergeltenden Logik bestimmt ist und wie wenig individuelle Racheakte daran irgendetwas ändern könnten. Dieses Problem werde ich am Beispiel der Seeräuber Jenny in meinem Vortrag diskutieren; ein Song, der jedoch gerade wegen der Rachefantasie, die er entfaltet, eine ganz eigene Rezeption erfahren hat – über Nina Simone bis Lars von Trier.

Kurzbiografie: Dr. Saskia Fischer: Studium der Komparatistik, Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte in Leipzig und Bielefeld; 2016 Promotion in der Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld; 2016–2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Literaturwissenschaft, an der Bielefeld School of Education und dem Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) Bielefeld, seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover; Publikationen zum Thema (Auswahl): „Performing Guilt: How the Theater of the 1960s Challenged German Memory Culture“, in: Matthias Buschmeier, Katharina von Kellenbach (Hg.): Guilt: A Force ofCultural Transformation, New York: Oxford University Press 2021, S. 205-222; „Just Another Legend of the Forgiving Jew? The Art of Coping with Wrongdoing and How Literature Can Assist“, in: Maria-Sibylla Lotter, Saskia Fischer (Hg.): Guilt, Forgiveness, and Moral Repair – A Cross-cultural Comparison, Cham: Palgrave Macmillan 2022, S. 153-177; gem. mit Maria-Sibylla Lotter (Hg.): Guilt, Forgiveness, and Moral Repair – A Cross-cultural Comparison, Cham: Palgrave Macmillan 2022.

 

Wer zuletzt lacht: Rache und Komik
Sebastian Schirrmeister (Hamburg)

Auf den ersten Blick ist Rache ist eine durchweg ernste Angelegenheit. Es geht um Gerechtigkeit, oft um Gewalt, nicht selten um Leben und Tod. Zivilisatorische Errungenschaften wie die institutionelle Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit stehen zur Disposition, wenn Rächer:innen das Gesetz in die eigenen Hände nehmen. Dementsprechend sind Figuren wie Batman oder 3 Beatrix Kiddo sind nicht unbedingt für ihre heitere Art bekannt. Und dennoch sind die (pop- )kulturellen Verknüpfungen ausgerechnet von Rache und Komik zahlreich. Körperlich-grobe slapstick revenge begegnet uns u.a. in Stummfilmen, Cartoons und Kinderbüchern. Sie korrespondiert mit der offensichtlich kulturübergreifend vorhandenen menschlichen Neigung zur unspezifischen Schadenfreude. Aber worin genau besteht das komische Potential literarisch und filmisch imaginierter Racheakte? Ist es Teil der „aesthetic satisfaction“ (Arthur J. Lelyveld) angesichts gerechter Strafe? Oder lachen wir bevorzugt über das wiederholte Scheitern übertriebener Rachepläne wie bei Sideshow Bob in The Simpsons? Welche Rolle spielt die Omnipräsenz und Verfügbarkeit kultureller Rachetopoi für ihre komische Verarbeitung? Kann Komik selbst zum Mittel der Rache werden? Und wenn ja, wer lacht zuletzt? Anhand von Beispielen aus dem Kontext jüdisch gelesener Rachefantasien und -erzählungen untersucht der Beitrag die Voraussetzungen dafür, dass wir über Rache lachen können.

Kurzbiografie: Dr. Sebastian Schirrmeister: Studium der Jüdischen Studien, Germanistik und Deutsch als Fremdsprache; 2017 Promotion in Germanistik an der Universität Hamburg; seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ der Universität Hamburg; Publikationen zum Thema (Auswahl): „Wo, wenn nicht hier? Rachefantasien und literarische ‚Vergangenheitsbewältigung‘“, in: Max Czollek, Erik Riedel, Mirjam Wenzel (Hg.): Rache. Geschichte und Fantasie, München: Hanser 2022, S. 160-165; „Reading Elie Wiesel in Yiddish. On Revenge, Readership, and Translation“, in: Johannes Becke, Roland Gruschka (Hg.): Sprachheimaten und Grenzgänge. Festschrift für Anat Feinberg, Heidelberg: Winter 2021, S. 171-178; „Offene Rechnungen. Juden*, Deutsche* und die Sache mit der Rache“, in: Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart, Sonderausgabe 01 (2019): Zwischen Literarizität und Programmatik. Jüdische Literaturen der Gegenwart, S. 29-36.

Panel 30: Diversity in American Western Movies and TV Series

Freitag, 29. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Considering the global reach of Wild West shows, dime novels and Western movies, one would be hard-pressed to dispute the Western’s significance for popular culture in the United States and beyond. Incidentally however – and notwithstanding the Western’s contribution particularly Hollywood’s global success – the genre’s popularity seemed to decline at the very same moment when academic interest in popular culture gained traction from the 1960s onwards. Westerns often portray the time of 19th century Westward expansion in the United States, serving as national narrative for the burgeoning independent nation.

Vanishing interest from audiences and the genre’s problematic prevalent focus on hegemonic, male, white-settler perspectives might have obstructed more scholarly attention, even if the politico-historical factors were attractive to scholars and their research – which is not to say that the Western could not accommodate diverse, even subversive viewpoints by design. Still, the Western has been declared dead on many occasions. And yet production of Westerns never stopped completely, and the genre – though waning in quantitive output – has consistently managed to include surprising changes to its otherwise rather static formula. For instance, this can be seen in the high number of subgenres and revivals, from noir to revisionist to Neo to Post-Westerns. Most recently, it can be seen in the great number of distinguished contemporary filmmakers (for example, Jane Campion and Kelly Reichardt) that ostensibly feel compelled to revisit the Western to test their craft and incidentally rewrite the genre and contribute to the dynamic mythographical project that is the Western-as-American history (cf. Kitses, 1969).

Our panel will address diversity in Western movies and TV series in the broadest possible meaning, including gender diversity, ethnic diversity but also “other” identity categories like class etc. We invite papers on “traditional” Westerns as well as recent productions to investigate the genre’s potential, albeit all criticism, to still be productive and maybe even innovative?

 

Organisation

 

Tobias Schank (Saarbrücken)

Bärbel Schlimbach (Saarbrücken)

 

Vorträge

 

(Anti-) Liberational Feminism in the Neo-Westerns Harriet (2019; dir. Kasi Lemmons) versus Terror on the Prairie (2022; dir. Michael Polish)
Atalie Gerhard, M.A. (Saarbrücken/Paderborn)

This paper aims to put the neo-Westerns Harriet and Terror on the Prairie into dialogue as pop cultural texts that convey intersectional and conservative feminism, respectively. As John G. Cawelti remarked, the turn to armed self-defense of Grace Kelly’s character in High Noon (1952) legitimated violence on the frontier when practiced by virtuous female settlers. In fact, the Westward expansion of the U.S. necessitated both, the participation of Euro-American women and the resistance of Indigenous and enslaved black women. The biopic Harriet literally commemorates the agency and legacy of the formerly enslaved Harriet Tubman who led masses of fugitive African Americans to Canada via the Underground Railroad. Like the black Westerns of the Harlem Renaissance that Julia Leyda studied, the film deploys recognizable frontier aesthetics to conjure a Biblical struggle between heroism and savagery with the twist that a black woman embodies superior moral authority with intersectional implications. In contrast, the independent film Terror on the Prairie with its controversial lead Gina Carano explicitly aligns itself with “anti-woke” conservativism in the aftermath of the killing of George Floyd in 2020. While its title reminds of the nationalistic rhetoric of the War on Terror, the former MMA fighter Carano’s central performance as a settler mother violently slaying her husband’s avengers to protect her family constitutes a reactionary celebration of the foundational “myth of regeneration through violence” that Richard Slotkin described. Since both films evoke the cultural climate of their production, the flexibility of the Western as a genre can be underlined.

Kurzbiografie: Atalie Gerhard (she/her) is an adjunct lecturer at Paderborn University and a PhD candidate at Saarland University where she worked in the International Research Training Group “Diversity: Mediating Difference in Transcultural Spaces”. The working title of her thesis is “Diversity and Resistance in North American Women’s Containment Narratives from the 21st Century.” She is a member of the Emerging Scholars’ Forum of the Association for Canadian Studies in German-Speaking Countries. She holds a Master of Arts degree in North American Studies and a Bachelor of Arts degree in English and American Studies and French Studies from the Friedrich-Alexander-University of Erlangen-Nuremberg.

 

Portrayals of Mexicans and Mexican Americans in Contemporary Post-Westerns
Marek Paryż (Warschau)

My paper discusses the depiction of Mexican and Mexican American characters in several contemporary American films that can be described as post-Westerns: Extreme Prejudice (dir. Walter Hill, 1987), The Bad Pack (dir. Brent Huff, 1997), and Once Upon a Time in Mexico (dir. Robert Rodriguez, 2003), and Sicario (dir. Denis Villeneuve, 2015). What these four productions share in common is the employment of a narrative structure borrowed from so-called professional Westerns, which is reinterpreted in contemporary settings, therefore they can be analyzed as a cycle. Analogically to the classic films that helped to define the professional Western, most famously The Magnificent Seven and The Wild Bunch, the four films under discussion are set on the U.S.-Mexican borderland and feature numerous Mexican characters, even if in secondary roles. As Richard Slotkin argues in Gunfighter Nation, professional Westerns convey as highly stereotyped image of Mexico and Mexicans: “a nation (and race) whose innate character and economic condition inevitably generate a radical division of society between the wealthy and cultured and the immiserated, primitive peasant.” The films analyzed in my paper essentially perpetuate such an image, but the continual stereotyping of Mexico and Mexicans/Mexican Americans helps to foreground the issue of the internal functioning of the U.S. system. Whereas in the classic professional Westerns the crossing of the border allegorically signifies a form of national consolidation in the pursuit of a cause, the contemporary films that employ analogous narrative tropes reinterpret the interventionist act of border crossing as an extension of domestic tensions.

Kurzbiografie: Marek Paryż is an associate professor of American Literature at the Institute of English Studies, University of Warsaw, the chief editor of the „Polish Journal for American Studies“ and senior editor of the „European Journal of American Studies.“ His current research focuses on Westerns across narrative arts, and he takes special interest in transnational uses of the genre. He has recently co-edited a collection of essays titled „The Western in the Global Literary Imagination“ (with Chris Conway and David Rio, Brill 2022).

 

Truth or Metaphor? Learning to Read the Past through Western Films
Samuel Wainwright (Oxford)

The “western” as a film genre embodies the spirit, struggle, and eventual demise of the new frontier. Consequently, western films regularly invoke nostalgic atmosphere to shift people’s perceptions of themselves and of their relationship to the past. This process can be both personal and collective. Certainly, these films have shaped collective memory, both as representations of the remembered past and as a kind of instructional tool for people’s memories. Filmmakers have often used the genre as a device for dramatizing and examining the myriad processes by which the frontier line was extended and settled. Historically dubious and morally ambiguous, these films are nonetheless portraits of the past (Rapfogel, 2005). The western makes use of a language that creates a possible reality, rather than one that is altogether factual—though these films also intersect with the literal and, as such, refer to actual events, people, and ideas (Rosenstone, 2006). The arid, desolate, and vast landscape, too, is used and reconfigured on the screen to shape and implement a specific vision of history. The western can thus render an important past and raise questions about history, much the same as the historian. Hence, it is important to learn how to read the genre—its contradictions and confusions, “to balance the ideal and the real” (Kitses, 2004). Indeed, the western provides viewers with emotive images and visual metaphors for thinking historically. To disregard the genre when we think about the past is to ignore the means by which a significant demographic has come to understand the diverse events, institutions, and people that comprise its history.

Kurzbiografie: Samuel Wainwright is a Tutor in Modern History and a fifth-year DPhil student at the University of Oxford. His current research considers how the theory of the two Germanies informed academic and political discourse in Britain in the era of the two world wars. He has recently contributed a chapter to the upcoming publication The People’s Conference: The Transnational Legacies of 1919 (Marie-Michèle Doucet, Emanuele Sica, and Kevin Brushett). He holds a Master of Arts degree in History (University of Calgary) and a Bachelor of Arts Honours degree in History (Carleton University).

 

Diversity in Western Remakes: Westworld and The Magnificent Seven
Tobias Schank und Bärbel Schlimbach (Saarbrücken)

Our paper investigates recent remakes of classic Western films to explore cultural and counter-cultural thrusts that have informed the genre’s representation of race, class, gender, and sexuality. We argue that the remake offers a particularly intriguing vantage point for ideological-critical research, because such a comparison of temporally disparate, diverging interpretations of one and the same source material allows us to identify (the development of) dominant and marginalized socio-cultural narratives and perspectives, especially in a genre as conventionally formulaic and ideologically charged as the Western. This paper analyzes two recent productions in comparisons to their more dated antecedents for their portrayal of diversity: Antoine Fuqua’s 2016 remake of John Sturges’ 1960 cold-war Western The Magnificent Seven, and the HBO series Westworld (since 2016, which (at its core) is loosely based on a 1973 movie written and directed by Michael Crichton). In both cases, filmmakers and their production teams have noticeably tried to introduce diversity to cast and plot. Our paper will a) retrace the development of diversity as a desirable goal for the construction and representation of U.S.-American society, and b) draw conclusions about what qualified as diverse at a given point in time (in relation to another).

Kurzbiografien:

Tobias Schank, M.Ed. is a research assistant in the BMBF project Linking Borderlands: Dynamics of Cross-Border Peripheries (sub-project Hybrid Borderlands) at Saarland University, Saarbrücken, and a PhD candidate at the Trier Center for American Studies at Trier University. His PhD project (supervised by Prof. Gerd Hurm and JProf. Franziska Bergmann) explores gender representations in American Western films produced between 1903 and 1969. Currently, Tobias investigates processes of border construction and cultural hybridization in regional and industrial films depicting peripheral German borderlands. Hybrid Borderlands is a sub-project of the Linking Borderlands cooperation, in which Saarland University, the Technische Universität Kaiserslautern, the European University Viadrina Frankfurt (Oder), and the Brandenburg University of Technology Cottbus-Senftenberg jointly examine European border regions as sights of cultural contact that transcend national borders.

Bärbel Schlimbach, M.A., is a PhD candidate in North American Literary and Cultural Studies at Saarland University / Germany. Her PhD-Project utilizes theoretical approaches from Critical Regional Studies, Post-Western Studies, Gender Studies and Border Studies to analyze literatures and films from the Post-Western genre to investigate their innovative potential with respect to identity constructions, imaginary Wests as well as constructions of national narratives. She is a member of the working group Bordertextures and co-editor of (Pop-)Cultures on the Move: Transnational Identifications and Cultural Exchange between East and West (2018).

Panel 31: Populäre Imaginationen des Posthumanen

Freitag, 29. September 2023, 11:30 – 13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 2 (0.13)

 

Organisation

 

Daniel Illger (Frankfurt/Oder)

Lucia Wiedergrün (Frankfurt /Oder)

Elizabeth Neumann (Frankfurt/Oder)

 

Vorträge

 

Die Zukunft danach. Videospiel und Post-Apokalypse
Daniel Illger (Frankfurt/Oder)

Die Straße ist ein Ort der Sehnsucht und des Schreckens. Manche wollen auf ihr in den Sonnenuntergang ziehen. Andere sind unterwegs, weil sie vor Hunger, Armut und Krieg flüchten. Fernweh und Verkehrskollaps; die Hoffnung auf die Zukunft und die Angst vor dem Kommenden; Begegnungen voller Verheißung und Drohung. In der Straße als Denkfigur verdichten sich in vielerlei Hinsicht die Antinomien eines individualistischen Freiheitsbegriffs, wie er das westliche Selbstverständnis prägt.

Vor diesem Hintergrund sollen ausgewählte Videospiele daraufhin befragt werden, wie sie die Straße als Denkfigur konzipieren. Es geht um raumzeitliche Bezugssysteme, die in der Verkoppelung von menschlicher und nicht-menschlicher Subjektivität – jener der Spielerinnen und Spieler einerseits, der von ihnen zu steuernden Fahrzeuge andererseits – ein je spezifisches Weltverhältnis ausgestalten. Das kann sich darstellen als die Erfahrung der Fragilität noch der stärksten Maschine, die fürsorgliche Behutsamkeit erfordert (SnowRunner, Saber Interactive 2020), oder als Machtphantasie, in der die Kontrolle über die Maschine zugleich die Herrschaft über Spielwelt sichert (Need for Speed Unbound, Criterion Games 2022). Immer jedoch, so die These, zielt die Interaktion auf die Phantasie einer Symbiose von Mensch und Maschine, in der ästhetischer Selbstgenuss im Erlebnis einer gesteigerten Gegenwärtigkeit erspielt wird.

Kurzbiografie: Daniel Illger studierte Filmwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Philosophie in Berlin und Münster. Er ist Professor für Populäre Kulturen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, hat zu den Stadtinszenierungen des italienischen Nachkriegskinos promoviert und mit einer Studie zum Fantasy-Modus im Videospiel habilitiert; bei Klett-Cotta erschien die Skargat-Trilogie (Stuttgart 2015–2017). Seinen Arbeitsschwerpunkt bildet die transmediale, ästhetiktheoretisch fundierte Populärkulturforschung.

Ausgewählte Publikationen: Heim-Suchungen. Stadt und Geschichtlichkeit im italienischen Nachkriegskino (Berlin 2009); Filmische Seitenblicke. Cinepoetische Exkursionen ins Kino von 1968 (Mitherausgeber, Berlin/Boston 2018); Grüne Sonnen. Poetik und Politik der Fantasy am Medium Videospiel (Berlin/Boston 2020); Kosmische Angst (Berlin 2021).

 

»We are made of Star-Stuff« – Geschichte und Spacetime in Cosmos: A Spacetime Odyssey
Lucia Wiedergrün (Frankfurt/Oder)

34 Jahre nach der Erstausstrahlung von Cosmos ([dt. Unser Kosmos], C.: Carl Sagan/Ann Druyan/Steven Soter, US 1980) führt ab 2014 der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson, wie zuvor sein Mentor Carl Sagan, in Cosmos: A Spacetime Odyssey ([dt. Unser Kosmos: Die Reise geht weiter], C.: Ann Druyan/Steven Soter, US 2014–2020) durch die Wunder des Universums. Humanistischer Wissenschaftspathos und die Erzählung von Äonen gehen dabei eine eigenwillige Verbindung ein. Konstant verknüpft die Serie Elemente aus Tysons Biographie mit der Mediengeschichte des populärwissenschaftlichen Formats und setzt diese in ein Verhältnis zur erzählten Wissenschafts- und Naturgeschichte. Von den entferntesten Galaxien zu den kleinsten Teilchen, vom Big Bang direkt in eine ungewisse Zukunft – nichts in diesem Kosmos bleibt Tysons »Ship of Imagination« verborgen. Dabei wird eine Vielzahl von Bildtypen (Archivmaterial, Filmbild und unterschiedlichste Animationsstile) genutzt, um zu visualisieren, was sich dem menschlichen Blick entzieht.

In einer analytischen Auseinandersetzung mit der Serie möchte der Vortrag zum einen die darin verhandelten divergierenden Zeitregime genauer nachzeichnen und zum anderen der Frage nachgehen, wie sich diese durch den nichtmenschlichen Blick des filmischen Mediums selbst noch verändern. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Cosmos: A Spacetime Odyssey ([dt. Unser Kosmos: Die Reise geht weiter], C.: Ann Druyan/Steven Soter, US 2014–2020) sein zentrales Thema – das Verhältnis von Geschichte und Naturgeschichte – filmästhetisch ausgestaltet und welche Schlüsse sich daraus für die Verhandlung desselben im populärwissenschaftlichen Diskurs ziehen lassen.

Kurzbiografie: Lucia Wiedergrün ist seit Juli 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Populäre Kulturen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Davor war sie Promotionsstudentin der Kolleg-Forschungsgruppe »Cinepoetics – Poetologien audiovisueller Bilder« an der Freien Universität Berlin. Dort studierte sie zuvor auch Geschichte und Filmwissenschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Ästhetiktheorie sowie der Untersuchung von Poetiken audiovisueller Medien, insbesondere im Gegenwartskino.

 

»This is no place for mortals« – Posthumanistische Spuren in The Pathless
Elizabeth Neumann (Frankfurt/Oder)

Im Adventure The Pathless (Giant Squid 2020) verkörpern Spieler:innen die sogenannte »letzte Jägerin«, einen menschlichen Avatar, mit der sie die Wälder, Tundren, Gebirge und Lüfte einer verfluchten Insel durchqueren müssen, um diese von Düsternis und Zerstörung zu befreien. Unerlässlich ist hierbei die Hilfe eines Adlers, dessen zögerliches Zutrauen sie zu Beginn des Spiels gewinnen. Gemeinsam müssen Spieler:in, Avatar und Adler verderbte Tiergeister läutern, um das Gleichgewicht der Natur nach und nach wiederherzustellen. Alle drei sind unbedingt aufeinander angewiesen – nur in dieser Konstellation kann das Unterfangen gelingen.

The Pathless unterläuft die vorherrschende Videospiellogik vom diegetischen Tier als Immer-schon-Ausgebeutetes, Immer-schon-Unterdrücktes, Immer-schon-Gezwungenes oder Immer-schon-Totes. Stattdessen entspinnen sich zwischen Spieler:in, Avatar und Adler – das heißt, zwischen Reellem und Virtuellem, Menschlichem und Tierlichem – qua Gameplay Dynamiken der Einfühlung und Nähe sowie des Mit- und Füreinanders. Ziel des Vortrags ist es, analytisch zu entwirren, wie die Beziehung dieses besonderen Mensch-Tier-Gespanns auf Ebene der Spielerfahrung verhandelt wird. Der Vortrag nimmt u. a. Bezug auf deanthropozentrierende Ansätze in den Game Studies (vgl. Ruberg 2022; Fizek 2018).

Ferner werden die posthumanistischen Spuren, die sich durch The Pathless ziehen, an den entsprechenden philosophischen Diskurs zurückgebunden – als rote Fäden dienen feministische Konzepte des Posthumanismus. So soll bspw. gezeigt werden, ob und wie The Pathless Konzepte wie response-ability und becoming-with (vgl. Haraway 2016) sowie vulner-ability and care (vgl. Daigle 2022, 2021; Daigle und Cielemecka 2019; Puig de la Bellacasa 2017) ludisch erfahrbar macht.

Literatur

Olga Cielemecka und Christine Daigle: »Posthuman Sustainability: An Ethos for our Anthropocenic Future«. In: Theory, Culture & Society 36 (7–8), 2019. S. 67–87.

Christine Daigle: »Moving Beyond Humanism in a Constructive Manner: The Case for Posthumanist Material Feminism«. In: Per la Filosofia 38 (113), 2021. S. 81–95.

Christine Daigle: »Posthumanist Vulnerability. From Trauma to Flourishing«. Präsentation im Rahmen der Posthumanist Lectures, 26.06.2022. Meine eigenen Notizen.

Sonia Fizek: »Automated State of Play: Rethinking Anthropocentric Rules of the Game«. In: Digital Culture & Society 4 (1), 2018. S. 201–214.

Donna Haraway: Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Duke University Press: Durham/London, 2016.

Maria Puig de la Bellacasa: Matters of Care. Speculative Ethics in More than Human Worlds. University of Minnesota Press: Minneapolis, 2017.

Bo Ruberg: »After agency: The queer posthumanism of video games that cannot be played«. In: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 0 (0), 2022. S. 1–18.

Kurzbiografie: Elizabeth Neumann schloss ihren Bachelor in Philosophie und Germanistik an der Universität Münster ab, anschließend studierte sie im Master Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Als akademische Mitarbeiterin und Promovendin am Lehrstuhl für Populäre Kulturen an der Europa-Universität Viadrina setzt sie sich seit Oktober 2022 insbesondere mit Game Studies, Animal Studies und feministischer Philosophie auseinander.

Panel 32: Populäre Grenzkulturen / Popular Border Cultures

Samstag, 30. September 2023, 9:00–13:30 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

This panel addresses the various intersections between borders and popular culture and attempts to establish the border paradigm as an aesthetic category that defines border cultures, which performatively constitute themselves at the moment of intercultural encounter. If popular culture consists of a set of practices, beliefs, objects, narratives, and cultural and linguistic productions that encompass the most broadly shared meanings of a social system, then popular culture at/on/across borders refers to cultural processes at the heart of geopolitics, flows and experiences of the transnational world. What happens to our view of popular culture when we approach it through the paradigm of the border? And, how, in turn, is our view on borders connected to popular culture? The aim of this panel then is to offer a critical vision of border culture and different border cultural practices by bridging Border studies and (popular) Cultural Studies.

 

Organisation

 

Astrid M. Fellner (Saarbrücken)

Christian Wille (Luxemburg)

 

Vorträge

 

Teil 1 / Part 1: Alltagskulturen / Daily Practices

 

„Grenzerfahrungen“ — Covid-19 als Alltagszäsur in der Grenzregion SaarLorLux
Julia Dittel und Florian Weber (Saarbrücken)

Die Covid-19-Pandemie hat ab Frühjahr 2020 vielfältige Lebensbereiche auf gravierende Weise beeinflusst. In der Rückschau bleiben unter anderem Bilder von dramatisch überlasteten Krankenhäusern, Quarantänemaßnahmen, verwaisten öffentlichen Plätzen oder stillstehendem Arbeitsleben fest im Gedächtnis verankert. Gerade für Grenzregionen erfahren zudem die Eindrücke von stark kontrollierten oder gar geschlossenen Grenzübergängen weiterhin hohe und fortbestehende Relevanz – so auch innerhalb der Europäischen Union. In der Grenzregion SaarLorLux haben entsprechend getroffene Einschränkungen das etablierte grenzüberschreitende Leben auf massive Weise eingeschränkt und eine weitreichende Zäsur mit sich gebracht: Arbeitskräfte mussten in Teilen weite Umwege zur Arbeit auf sich nehmen, Freunde wurden voneinander getrennt, Einkaufsmöglichkeiten im Nachbarland unterbunden. Eingebrannt haben sich einerseits medial stark verbreitete Bilder verbarrikadierter Grenzübergänge, andererseits von „Grenzüberschreitungen“ wie dem Baguette-Angeln über den geschlossenen Übergang hinweg oder dem Anpacken bei der Beseitigung der Befestigungen. In unserem Beitrag rücken wir die Grenzregion SaarLorLux als eine seit Jahrzehnten eng verschlungene Grenzregion in den Fokus und fragen nach „Grenzerfahrungen“ während der Pandemie. Wir beleuchten Alltagspraktiken in diesem Borderland, blicken auf mediale Grenzrepräsentationen und sezieren so auch temporär erwachsende Grenzkonflikte aus Perspektive der interdisziplinär ausgerichteten Border Studies.

 

Popular Funeral Cultures. Collective Mourning Among Cape Verdean Migrants in Luxembourg
Elisabeth Boesen (Luxemburg)

Both, border studies and studies on popular cultures are rarely interested in cemeteries and funeral culture. The paper argues that due to increasing mobility and cultural diversification, funerals and mourning practices in general entail the encounter of diverse religious and ceremonial traditions and their respective popular transformations and that these particular contact zones are an interesting field for the investigation of boundary maintaining and reducing processes.

The popular is an important dimension of funeral cultures and their ongoing diversification. Apart from the fact that new elements of popular culture in the narrow sense of cultural artefacts – or commodities – appear in growing number on cemeteries (be it the ceremonial performance of the deceased’s favorite pop song or the embellishment of the grave by material allusions to their hobbies and passions), the latter are also becoming more popular in the sense that religiously and/or socially sanctioned frameworks of uniform collective religio-cultural forms are gradually disappearing. This diversification may also inspire new interest in the relationship between the collective and the individual in popular culture. While contemporary western funeral culture shows a distinct tendency towards individualization and popular means of individual celebration and commemoration, ‘diversity-ready deathscapes’ must also allow for the opposite: collective ceremonies that are popular in the sense of pertaining to a particular group or community.

The paper will discuss these questions by presenting Cape Verdean funeral culture in Luxembourg. The ceremonies in question are the result of long-lasting processes of mixture of European and African religious beliefs and practices; in the present Luxembourg context, however, they are notable for the fact that they challenge demarcations of a different kind, namely the distinction between religion and sociality, private and public space, the individual and the collective – briefly that they disturb the functionally differentiated order of modern society. The paper aims to draw attention to this capacity of popular cultures, understood in the above-described sense as ‘translocal local cultures’, and argues that this effect of mobility and mixture is not adequately captured by the concepts of hybridization and creolization.

 

Rhythms Unchained?! — Jamaican Dancehall Music Across Borders and the Struggle Against Censorship
Lisa Johnson (Saarbrücken)

This paper delves into the intricate relationship between Jamaican dancehall music, its global dissemination, the persistent struggle against censorship, and the complex debate surrounding the question of whether so-called “violent music” should be banned. Viewing Jamaican dancehall music through the paradigm of the border adds layers of complexity to our understanding of the genre, its local cultural significance, and its global impact.

Borders, both physical and metaphorical, play a crucial role in shaping the creation, dissemination, and reception of dancehall music. Since the 1970s, dancehall and its pop cultural aesthetics, e. g. dancehall choreographies, fashion, performance styles, and specifically its vibrant rhythmic compositions became an important pillar for the development of international genres such as reggaeton, hip-hop and afrobeats. Simultaneously, dancehall encounters ongoing challenges pertaining to governmental censorship and content regulation due to its often violent and explicit lyrics and music videos.

This talk offers a comprehensive exploration of the cultural and social dimensions that have shaped the evolution of an even more violent dancehall music recently and the efforts to politically regulate it. The paper examines exemplary case studies, engages with perspectives from various stakeholders, and critically analyses the broader implications of censoring artistic expression within a cross-border context.

 

Teil 2 / Part 2: Representations of Borders in Border Cultures

 

Pop-Cultural Representations of (Il)Legal Crossings into Chornobyl Zone Border
Tetiana Ostapchuk (London)

The border around a 30-km Chornobyl Zone was established immediately after the evacuation of all inhabitants being exposed to exceedingly elevated levels of radiation after the meltdown of the fourth reactor of Chornobyl Nuclear Power Plant in April 1986. The abandoned territory stretches from the Ukrainian state border with Belarus to the massive patches of the Ukrainian territory known as Polissia. Despite the popular naming of the Zone – the Zone of Exclusion, the Alienated Zone, the Dead Zone, and the Abandoned Zone – it has never been a fully deserted land; though the crossings were strictly regulated and the physical border with wires and checkpoints was erected by the Soviet government succeeded by the Ukrainian border guards and police after 1991. In my paper, I intend to analyze how multiple border crossers – legal (workers of the plant, scientists, ecologists, media representatives, legal tourists, animals, etc.), half-legal (self-settlers), illegal (looters, scavengers, stalkers, etc.), and border violators (the Russian troops) – were represented in popular culture. I claim that popular culture has played crucial role in creating, spreading, and maintaining the world-recognizable imago image of the Chornobyl Zone.

Kurzbiografie: Tetiana Ostapchuk is a Ukrainian Research Fellow at the University College London (2022-2023), supported by the Council for At-Risk Academics (Cara), and holds a Ph.D. in Comparative Literature. She has published and lectured on topics of Ukrainian American literature, memory, and identity in Ukrainian and American narratives, representation of trauma and borders in contemporary literature and audio-visual art. She co-edited and edited the number of volumes devoted to the problems of Cultural Border Studies among them are: “(Pop) Cultures on the Move: Transnational Identifications and Cultural Exchange Between East and West.” Ed. By Astrid M. Fellner, Tetiana Ostapchuk, Bärbel Schlimbach. SARAVI PONTES – Saarland University Press, 2018; “Crossing Borders: Representations of Ukrainian Diasporas.” Edited by Tetyana Ostapchuk. EUXEINOS -Culture and Governance in the Black Sea Region – Nr. 30- 12/2020 (https://gce.unisg.ch/en/euxeinos/archive/30).

 

Walls and Hedges: Representations of Borders in Fantasy Literature
Ganna Kolesnyk (Utrecht)

Borders play an extremely important role in Fantasy literature and can be represented in these texts in multiple ways. To begin with, many authors strive to give more reality to their fictional words by mapping them. There are two dominant strategies of mapping fantasy worlds writers tend to follow: to base the maps of their fictional worlds on the existing real one (both contemporary and historical maps could be used for this purpose), and to create a completely unique geographical landscape. In both situations borders become quite significant for plot development and influence the readers’ perception of the fictional world. Moreover, many fantasy texts are centered on wars where forced changes of borders become a plot driving force. One more representation of the borders in fantasy literature is the border between the real and the secondary (other) world. This border may take different forms and require particular methods of crossing depending on the subgenre used. Besides that, borders in fantasy texts may not only be connected with space, but also with time. Time-travelling is a vivid example of the creative approach to time borders in fantasy literature. At the same time, the border itself may gain a symbolic meaning and dominate the text (like the Wall in The Game of Thrones by G. Martin or the Hedge in A Court of Thorns and Roses by S. Maas). It is also worth mentioning that fantasy texts quite often feature different rituals of crossing borders (rituals of passage), both physical and spiritual, and going through some peculiar liminal experience.

 

Borders on Sale! Framing “Border Advertising” into the Border Spectacle
Andrea Masala (Grenoble)

The presence and the effects of borders in literary, artistic, and visual spheres is more and more investigated in the flourishing field of cultural border studies. Despite this, the recurrence of certain cultural products remains under-investigated. This is the case for what I name here as “border advertising”: the adoption and staging of border images, narratives, and imaginaries in visual advertising.

This paper aims at demonstrating how this sphere contributes to the construction and maintenance of several multi-layered cultural de/re/bordering practices. More specifically, this analysis aims at framing the role that border advertising plays into the border spectacle phenomenon (De Genova 2013). Despite their initial appearance as a counter-narrative to the main political and mediatic discourse on borders, in fact, these kinds of advertising often end up increasing misleading cultural prejudices on borders and people crossing them.

Moving away from their explanation as a mere product of a consumerist society (Debord 1967), this paper argues that the ways in which globalized and capitalistic societies stage borders narratives to sell goods and products work as a strong agent in a wider border spectacularization process, especially after the increasing militarization and securitization processes following 9.11. To do so, this research takes into account a diversified selection of case-studies belonging to different international boundaries, such as US/Canada; US/Mexican; India/Pakistan, and Israel’s territorial limits. By taking the border as an epistemic object (Mignolo 2000), and by adopting the cultural lenses provided by border aesthetics (Schimansky & Wolfe 2017), this study eventually contributes to a more complete framing of border narratives in border capitalism (Mezzadra & Neilson 2013).

 

Bloody, Bloody Border: The Iconization and Politization of the Border in Pop Songs
Eva Nossem (Saarbrücken) & Astrid Fellner (Saarbrücken)

The field of Border Studies has provided a fertile ground for the development of new theories, approaches, and conceptualizations. It also intersects with popular culture as a site of knowledge production and of the formation of (counter)discourses. The theoretical and conceptual inventions of the field go hand in hand with shifting notions of the border and varying (research) perspectives from which to approach (and study) the border. The multitude of approaches and notions of the border is reflected and re-produced in linguistic conceptualizations and discursive framings as well as in its experienceable and experiential materializations. The lived experience of the border and its discursive realizations in popular culture are far more than mere re-presentations of the border; they both re-present the border and re-produce it. In order to be able to grasp the textu(r)al interconnectedness and mutual contingency of the textual-linguistic-discursive level and the experienceable-experiential-material level in popular culture, we will rely on the concept of ‘bordertextures’ in the analysis of recent pop songs. In our talk we will shed light on how “the border” surfaces in selected songs such as Manu Chao’s “Bloody Bloody Border” and M.I.A.’s “Borders”. With the help of a multimodal discourse analysis, we will investigate discursive strategies of iconizing and politicizing the border in text, music, and also in the visual components of the music video. Bordertexturing will help us bring together the interconnected threads woven together in the re-presentations and re-productions of borders in these pop songs.

Panel 32a: Sektionstreffen »Kulturwissenschaftliche Border Studies«

Donnerstag, 28. September 2023, 14:00 – 16:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

Austauschtreffen der KWG-Sektion »Kulturwissenschaftliche Border Studies«

 

Organisation

 

Maria Klessmann (Frankfurt/Oder)

Ulla Connor (Saarbrücken)

Panel 33: Populäre Gender-Inszenierungen

Samstag, 30. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 1 (0.14)

 

Organisation

 

Katja Kauer (Fribourg/Tübingen)

 

Vorträge

 

Filme von Kelly Reichardt als populäres Experimentierfeld für Männlichkeit
Florian Wobser (Passau)

In meinem Vortrag gehe ich von der Diagnose fragiler Maskulinität in (queer-)feministischer Theorie (Penny 2022, 45; passim; Meuser 2015, 95ff.) aus, die in intersektionaler Hinsicht männliche Rollenfigurationen metaphorisch umschreibt. Historisch wird dieses rhetorische Urteil durch den langen Prozess des ›[un]doing gender‹ ermöglicht, das in der Gegenwart zugleich verknüpft ist mit kritischen Bezügen auf prekäre Verhältnisse im Neoliberalismus und mit korrelierenden Gegenbewegungen, die politisch vielmehr einem Anti-Genderismus (Hark/Villa 2015; Kaiser 2020) zuzuordnen sind. Während diese Akteur*innen zurück in ihren ›Panzer‹ (Theweleit 2019), wollen, sollen im Hauptteil des Vortrags mittels der Filme der preisgekrönten US-amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt ästhetische Strategien analysiert, kontextualisiert und beurteilt werden, die sich subtil, subversiv auf die Risse in jenem Panzer beziehen, um verhärteten Geschlechtsmodelle zu dekonstruieren.

Erfahrbar wird Reichardts Intention in Old Joy (US 2006) und First Cow (US 2019), in denen sie Protagonisten eben jene Attribute zuschreibt, die in einem feministischen Bestseller der Gegenwart als patriarchale Projektionen kritisiert werden (Tlusty 2021, 159-167): Sie werden sanft, süß und zart. Gewissermaßen entspricht das hier einer Haltung souveräner Fragilität. Diese Männer bleiben zwar oft ökonomisch prekär, sind aber – nicht ohne Humor – ein ökologisch sensibles Modell eines ›detox‹ im Prozess während/nach der sogenannten Krise der Männlichkeit.

Literatur

Hark, Sabine / Villa, Paula-Irene (Hg.) (2015): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: Transcript.

Kaiser, Susanne (2020): Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen. Berlin: Suhrkamp.

Meuser, Michael (2015): Hegemoniale Männlichkeit im Niedergang? Anmerkungen zum Diskurs der Krise des Mannes. In: Claudia Mahs u.a. (Hg.), Betonen – Ignorieren – Gegensteuern. Zum pädagogischen Umgang mit Geschlechtstypiken. Weinheim / Basel: Beltz Juventa. 93-105.

Penny, Laurie (2022): Sexuelle Revolution. Rechter Backlash und feministische Zukunft. Hamburg: Nautilius

Theweleit, Klaus (2019): Männerphantasien. Neuausgabe. Berlin: Matthes & Seitz.

Tlusty, Ann-Kristin (2021): Süß. Eine feministische Kritik. München: Hanser.

Kurzbiografie: Florian Wobser arbeitet aktuell als Akademischer Rat im Bereich Philosophie an der Universität Passau. Er interessiert sich u.a. für gendersensible Aspekte von Bildung/Didaktik, Ökologie und Medien. Eine kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen in u.a. Spielfilmen begreift Wobser als Ausdruck problemorientierter Verfahren zugunsten der Ästhetik einer Philosophie bzw. Ethik der Adoleszenz.

 

„… es ist alles zu normal für mich.“ (Un-)freiwillige Verweigerung und Konstruktionen von Männlichkeit in Rocko Schamonis Sonntags-Romanen.
Marietta Schmutz (Graz)

Michael Sonntag, Held in Rocko Schamonis beiden zusammenhängenden Romanen Sternstunden der Bedeutungslosigkeit (2007) und Tag der geschlossenen Tür (2011) ist ehemaliger Kunststudent und ‚Hängengebliebener‘, der mit psychischen Problemen, Sucht und Identitätsfindung kämpft und sich mit kurzfristigen Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Weder mit seiner privilegierten Herkunft noch mit der Kunstszene, noch mit der Schicht der Arbeitenden, noch mit den absolut Mittellosen (z. B. ‚Junkies‘) kann er sich identifizieren. Es handelt sich um die Biographie eines vermeintlich Überflüssigen, gefangen in einer „Zeitschleife“, für den vor allem das System der Normalen unerreichbar scheint. Dieses System dreht sich vor allem um die Bereiche Erwerbsarbeit, Konsum und Liebesglück und bedient nach wie vor die Logik der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit. Die Analyse der beiden Texte soll zeigen, dass Schamoni mit dem Entwurf des Protagonisten subversive Vorstellungen von Geschlecht ins (Spach-)Spiel führt. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit das im Roman gezeichnete Bild des Außenseiters dennoch mit Vorstellungen von heteronormativer Männlichkeit konvergiert bzw. inwieweit in den Romanen subversive Subjektentwürfe lesbar werden, die die heteronormative Ökonomie der Geschlechter als ‚Ausnahmen der Regel‘ nicht nur bestätigen. Da sich Schamonis Texte (vor allem auch im Hinblick auf ästhetische Mittel, die in den Romanen entwickelt werden) in die Tradition der Popliteratur einreiht, widmet sich ein Teil der Abhandlung der Frage, ob das Genre eine Normalisierung von scheinbar devianter Männlichkeit fördert oder gar impliziert.

Kurzbiografie: Marietta Schmutz studierte Interdisziplinäre Geschlechterstudien und Germanistik an der Universität Graz. Nachdem sie das Doktoratsstudium aufgenommen hatte, wurde sie im Studienjahr 2019/2020 Junior Fellow im Rahmen des Elisabeth-List-Fellowship für Geschlechterforschung. Ihre im Entstehen begriffene Dissertation trägt den Arbeitstitel „Posthumane Arbeitswelten – Darstellungsweisen deutschsprachiger literarischer Texte ab 2000“. Seit 2020 arbeitet sie als Lehrbeauftragte für das Bachelorstudium Germanistik in Graz. Forschungsinteressen: Literatur & Ökonomie insbes. Arbeitswelt, (kritischer) Posthumanismus und New Materialism, Gender Studies, Gegenwartsliteratur, Popliteratur.

 

The Modern Femcel: Die Ästhetisierung und Glorifizierung von toxic femininity auf Social Media
Casey Stuck (Ort)

Der Begriff Femcel, ursprünglich das weibliche Äquivalent zum Incel (involuntary celibaty), erlebt auf Social Media derzeit eine Renaissance mit einer Bedeutungsverschiebung. Die true femcels hatten ihre Hochzeit 2012 in Foren wie ThePinkPill und sahen die Gründe für ihr Femcel-Dasein darin, dass sie nicht dazu in der Lage seien, den Standards an Weiblichkeit im patriarchalen System zu entsprechen. Wohingegen der Begriff heute auf Social Media eine neue Bedeutung hat und in diesem Kontext eine generelle Abneigung gegen Männer ausdrückt und ein toxisches Konzept von Weiblichkeit glorifiziert. Die moderne Femcel-Bewegung kann darüber hinaus jedoch schwer konkretisiert werden. Allgemein werden Begriffe wie female manipulator, toxic femininity und fleabag era mit der Bewegung assoziiert. Diese Community glorifiziert und ästhetisiert dabei die genannten Konzepte und versammelt sich auf Plattformen wie TikTok und Pinterest. Dieser Beitrag versucht in erster Linie den Umfang der Bewegung zu identifizieren und den modernen Femcel zu beschreiben. Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes geschieht dabei anhand eines spezifischen Kanons. Dieser Kanon besteht aus Medien, um die sich die Bewegung organisiert. Darin finden sich massentauglichere Werke wie die Bücher der Autorin Sally Rooney, aber auch Medien, welche heutzutage für die Femcel Community exklusiv sind, wie der Film Girl Interrupted und das zugrundeliegende Buch. Im Beitrag wird die These vertreten, dass, während in den meisten Medien des Kanons zwar Motive wie psychische Krankheiten ästhetisiert werden, durch die Lesart der Femcels eine Glorifizierung dessen stattfindet. Beispiele hierfür sind die Lesart von Lolita als Liebesgeschichte und somit die Romantisierung von toxischen Beziehungen zu älteren Männern oder die Glorifizierung von Anorexie bei Figuren wie Nina Sayers (Black Swan 2010) oder Ester Greenwood (The Bell Jar 1963). Die Ästhetisierung des Motivs der schönen, leidenden Frau, welches eine lange Tradition in Kunst und Literatur hat, entwickelt heutzutage auf Social Media durch die aktive Inszenierung von Teenagern und jungen Frauen und die damit einhergehende Glorifizierung neue Dynamiken und steht somit im fruchtbaren Kontext populärer Genderinszenierungen.

Kurzbiografie: Caesy Stuck studiert Germanistik und Anglistik im Master mit den Schwerpunkten „Neuere deutsche Literatur“ und „British and Postcolonial Studies“ an der Universität Duisburg-Essen. Von 2019 bis 2022 studierte sie Germanistik im Bachelor mit dem Schwerpunkt „Deutsch Englische Studien“ an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. In Magdeburg war sie studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Ältere deutsche Literatur und ist momentan wissenschaftliche Hilfskraft in der Bibliothek des Fraunhofer-Instituts in Duisburg. Stucks Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Narratologie, Literaturtheorie, Popkultur und Gegenwartsliteratur. Im Februar 2023 hält sie einen Vortrag zu „Möglichkeiten und Nutzen eines Konzepts von dual focalization in Ich-Erzählungen“ im 2. Forum Literaturtheorie, welches von der Universität Göttingen ausgerichtet wird.

 

Populäre Gender-Identitäten in Reiseblogs: The „Awesome Lady Adventurer“ on Tour
Mirja Riggert (Ort)

Im heutigen digitalen Zeitalter spielen Reiseerfahrungen, die online geteilt werden, eine bedeutsame Rolle. Insbesondere Reiseblogs haben sich als popkulturelles Medium mit großer sozialer Reichweite etabliert, in welchem über Bild und Text persönliche Reiseberichte erzählt werden. Viele Reiseblogs aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum zeigen eine prominent auftretende weibliche Erzählposition, die sich in Blogtiteln wie Fräulein Draußen, Pink Compass, Girl vs Globe, Travelista sowie in häufigen Untertiteln wie „Solo Female Travel“ oder „Alleinreisen als Frau“ erkennen lässt. In dem Beitrag wird diskutiert, wie die drei Diskursfelder GENDER (in der Form von Aushandlungen weiblicher Identitäten), GENRE (in der Form des Erzählformats autobiografischer Reiseliteratur im weitesten Sinne) und MEDIA (in der Form des intermedialen, popkulturellen Massenphänomens Reiseblog) wechselseitig aufeinander einwirken. Es wird mit Andrea Seiers Konzept der Remediatisierung (2007) davon ausgegangen, dass Gender und Medien performativ sind, d.h. sich in wechselseitigen Ko-Prozessen jeweils hervorbringen und immer wieder neu konstituieren – und weder in einem technik- noch in einem soziodeterministischen Verständnis das eine einseitig das andere bedingt. So wird im Beitrag anhand des englischsprachigen Beispiels The Blonde Abroad und des deutschsprachigen Bravebird herausgearbeitet, welche Darstellungsformen weiblicher Identitäten in der gegenwärtigen Reiseblogosphäre zu finden sind. Anhand von The Blonde Abroad wird vorgestellt, dass dabei am virulentesten ein emphatisches Weiblichkeitskonzept auftritt, das sich affirmativ auf Heteronormativität beruft und Narrative weiblichen Empowerments bedient. Viele Bloggerinnen deklarieren das Alleinreisen als Frau als eine ermutigende Selbsterfahrung und wenden sich mit ihrem Blog explizit an andere reisende Frauen, die sie mit ihrem Blog inspirieren möchten. Das Medium Blog spielt für diese Formen der Selbstpräsentation eine tragende Rolle, da insbesondere über das Fotomaterial Empowermentsgesten wiederkehrend inszeniert werden und über die digitalen Affordanzen wie dem Posten von Verlinkungen und Kommentaren eine sich gegenseitig zitierende und bestärkende Community aufgebaut wird. Diese besonders häufig anzutreffende mediale Performance von Weiblichkeit lässt sich im Anschluss an die differenzfeministische Theorie verstehen und zeigt damit re-traditionelle Tendenzen. Die Differenztheorie wurde im Zuge der queerfeministischen Gendertheorie schon seit den frühen 1990er Jahren für ihr binär-normatives, essentialistisches und homogenes Weiblichkeitskonzept angegriffen. Auch in den vorzustellenden Reiseblogs wird auf problematische Weise ein weibliches Universal-Kollektiv in der Welt entworfen, indem es z.B. „for all women by women“ heißt – und dabei verkannt, dass das Genderkonzept hoch exklusiv ist, denn die Frauen, die gemeint sind, erfüllen allesamt ähnliche identitätskategorische Merkmale (dazu zählt u.a., dass man selbst bloggt, über die geeigneten finanziellen und sozialen Ressourcen wie die Visa-Freiheit westlicher Industriestaaten verfügt, um die Welt zu bereisen, zu einer weißen Mittel- oder Oberschicht gehört, zwischen 20-35 Jahren alt ist und Schönheitsnormen für abled weibliche Körper erfüllt).

Kurzbiografie: Mirja Riggert ist seit 2018 Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungskolleg „Neues Reisen – Neue Medien“ der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie schreibt ihre Dissertation zu dem Thema „Gender im Gepäck. Mediale Repräsentationen weiblicher Identitäten im Reiseblog“. Zuvor studierte sie an der Georg-August-Universität Göttingen Komparatistik (M.A.) sowie Germanistik und Ethnologie (B.A.) und war als Mitarbeiterin am Institut für Inter-Kultur und Didaktik IKUD Seminare Göttingen tätig. Link zur Website: https://www.neuesreisen.uni-freiburg.de/kollegiat-innen/mirja-riggert

Panel 34: Pop royal. Das Monarchische in der populären Kultur

Samstag, 30. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 0.03

 

Organisation

 

Jasmin Siri (München)

Sebastian Dümling (Basel)

 

Vorträge

 

Royalty en vogue: Allianzen zwischen Monarchie, Mode und Magazin
Jasmin Assadsolimani (Dortmund)

Zum 100-jährigen Jubiläum der britischen Vogue lächelt Catherine, Prinzessin von Wales, vom Cover. Fotografiert auf dem Landsitz der königlichen Familie in Norfolk, trägt sie einen jagdgrünen Loden-Hut, eine weiße Bluse und einen Velours- Trenchcoat der Marke Burberry. Noch gerade im Bildausschnitt ist der Verlobungsring mit Saphir-Stein zu sehen, der früher einmal Lady Diana gehörte. Die vestimentäre Inszenierung deutet auf Diskurse um britische Identität und royale Tradition, changiert zwischen Nahbarkeit und Distanz. So ist der Trenchcoat als ursprünglich militärisches Kleidungsstück ein Emblem britischer Mode. Die Inszenierung der Prinzessin von Wales in Alltagslook und ländlicher Kulisse suggeriert Bodenständigkeit und Intimität. Das Monarchische scheint vermeintlich erreichbar: „the clothes Vogue’s fashion director Lucinda Chambers gathered for the day were based on what the Duchess likes to wear when she is off-duty – jeans, shirts, T-shirts. The same as the rest of us.“ (British Vogue Juni 2016: 282)

Mode, Monarchie und die Vogue gehen starke Allianzen ein. So benötigt das Royale seine materiellen und visuellen Mittler: „An eine Macht, die zwar vorhanden ist, aber nicht sichtbar im Auftreten des Machthabers selbst in Erscheinung tritt, glaubt das Volk nicht. Es muß sehen, um zu glauben.” (Elias [1969] 2002: 202) Wie wird das Monarchische materialisiert, verkörpert und gekleidet? Welche vestimentären Inszenierungen nutzen die Royals als Kommunikationsstrategie im populären Medium des Modemagazins? Die Vogue schafft ikonische Bilder der Monarch:innen, prägt und begleitet ihr öffentliches Auftreten, sorgt für Legitimation und Sympathien. Als Stilvorbilder beeinflusst das Kleidungsverhalten der Royals wiederum Konsumpraktiken und -wünsche der Leser:innen.

Der Beitrag nimmt die Krönungs-Ausgaben (1937, 1953), das Heft zu Lady Dianas Tod (1997), die Jubiläumsausgabe zum 100-jähirgen Bestehen der britischen Vogue (2016) sowie das von Herzogin Meghan von Sussex kuratierte September-Heft (2019) als Grundlage, um den Verflechtungen von Monarchie und Mode im Magazin nachzugehen.

Kurzbiografie: Jasmin Assadsolimani, M.A. ist Doktorandin am Seminar für Kulturanthropologie des Textilen der TU Dortmund. Derzeit promoviert sie zu den Erinnerungsstrategien der Mode in der Vogue. Sie studierte in Dortmund, Mailand und Paris Kulturanthropologie des Textilen, Journalistik und Kulturwissenschaften, gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes. Den Master schloss sie als Jahrgangsbeste ab.

 

Politische Dimensionen und narrative Funktionen des Monarchischen im DEFA-Märchenfilm
Oliver Seidel (Passau)

Zwischen 1950 und 1990 produzierte die Deutsche Film AG (DEFA) etwa fünfzig Spielfilme nach Märchenvorlagen für Kino und Fernsehen. Diese bis heute populären „Märchenklassiker“ zählen bisweilen zu den erfolgreichsten deutschen Produktionen und werden in regelmäßigen Abständen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestrahlt – zuletzt an Weihnachten. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass die Filmadaptionen der DDR nicht nur als bloße Unterhaltung, sondern vielmehr als „unterhaltende Erziehung“ auf das vorwiegend junge Publikum einwirken sollten. Die Überführung der meist knappen Märchentexte in das Medium Film erforderte sowohl eine komplexe dramaturgische Bearbeitung als auch eine ausgefeilte Bildraum- und Figurengestaltung – beides verbunden mit einem funktionalen Mehrwert. Aufgrund fehlender Konkretisierung bei der Beschreibung von Orten und Figuren in den Märchenvorlagen ließen sich so entstandene Leerstellen bedeutungstragend im Sinne einer sozialistischen Leitideologie füllen und für die Systemauseinandersetzung im Kalten Krieg politisch instrumentalisieren. Umschrieben wurde dieser Vorgang als „progressive Interpretation“ bzw. „ästhetische Konkretisierung“.

Ein besonderer Fokus lag in diesem Kontext auf der Darstellung adliger Figuren bzw. des Monarchischen im Allgemeinen, das sich in nahezu allen Märchentexten finden lässt und dort Schlüsselpositionen einnimmt (Prinzen und Prinzessinnen als Handlungsträger, Könige oder Königspaare als Weisungs- und Erziehungsinstanzen, Königreiche und Schlösser als topographische Handlungsräume). Der ideologische Wertungsrahmen des Marxismus im Arbeiter- und Bauernstaat DDR sah eine konsequente Abwertung aller monarchischen Strukturen als Inbegriff von Reaktion und Unterdrückung vor, was sich in Form einer dezidierten Negativ-Semantisierung adliger Figuren im DEFA-Märchen artikulierte. Signifikant und aufschlussreich sind neben dieser allgemeinen Abwertung und den daran geknüpften Diskurs-Postulaten auch die narrativen Funktionen des Monarchischen innerhalb der filmischen Weltmodelle. So stehen die meist dysfunktionalen Königsfamilien nicht nur in Grundopposition zu den tugendhaften (sozialistischen) Helden, sondern treiben in der Regel auch als katalysatorische Negativkraft mit semiotischer Dimension die Handlung voran. Während die meisten DEFA-Märchen über rekurrente Inszenierungsstrategien das adlige Figurenrepertoire mit dem Westen (und damit gleichzeitig mit dem Kapitalismus) korrelieren, durchbrechen einzelne Filme dieses Muster und führen eine Transformation des Monarchischen „zum Positiven“ vor – etwa in Form einer Konversion stereotypisierter Prinzessinnen- Figuren hin zum Sozialismus durch körperliche Arbeit (z.B. in „Das singende, klingende Bäumchen“ (1957) oder „König Drosselbart“ (1965)).

Der filmanalytisch-kulturwissenschaftliche Vortrag folgt einem semiotischen Ansatz und beleuchtet die politisch-ideologischen Dimensionen und narrativen Funktionen des Monarchischen im DEFA-Märchenfilm anhand von ausgewählten Beispielen.

Kurzbiografie: Oliver Seidel, M.A., Jahrgang 1989. Ab 2010 Studium Lehramt Gymnasium an der Universität Pas- sau, abgeschlossen 2016 mit Staatsexamen und erweitert durch Masterstudium Text- und Kultursemiotik und Master Geschichte. Seit 2017 Lehrbeauftragter und seit dem 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau. Seit 2020 dort auch promovierend über textuelle Transformationen in den Literaturverfilmungen der DEFA.

 

Sissi als Archetyp monarchischer Attraktion in der populären Kultur
Anne Uhrmacher (Trier)

Die drei Spielfilme Sissi mit Romy Schneider (1955–57) gehören zu den international erfolgreichsten und sind ein Archetyp monarchischer Repräsentation in der populären Kultur. Die geschönte Narration des Historischen wird zum Hintergrund für die Familiengeschichte: Kaiser Franz Joseph I. ist als integre Führungspersönlichkeit inszeniert, Sissi als Regentin, die politische Probleme durch jugendlich-weiblichen Liebreiz auflöst.

Die Konzeption steht in der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels, in dem die tugendhafte Bürgerfamilie als Kontrast zum verderbten Adel vorgeführt wird. Während die Erzherzogin Sophie als hartherzige Kaisermutter vor allem den Erhalt der Dynastie anstrebt, verkörpert Sissis Mutter die „natürliche“ Mütterlichkeit. Elemente des noch zeitnahen NS-Mutterbildes klingen in den Geschlechterrollen des Films dabei an. Eine traditionalistische Wertorientierung manifestiert sich auch in der bäuerlich inszenierten Lebenswelt der Herkunftsfamilie Sissis: der ländliche Raum bildet den Gegensatz zur anderen Welt, dem manierierten Wiener Hof. Sissis Vater erntet als sympathischer Herzog Max selbst das Heu, trinkt mit seinen Untertanen leutselig Bier und verkehrt mit ihnen auf Augenhöhe. Seine Frau, die Herzogin, macht „Speckknödel“, und auch Sissi wird anachronistisch als „eine kleine perfekte Hausfrau“ gelobt. Standesunterschiede sind dennoch als naturgegeben dargestellt, ihre Überschreitung als Gnade der Erhabenen.

Besonders auffällig ist die implizite Spiegelung von Gesellschaft; sie ist stark durch milieuspezifische Charakteristika der frühen BRD geprägt. Denn wie es etwa auch in Trivialromanen oder Operetten üblich ist, wird der Hof als imaginierter Ort durch einen kleinbürgerlichen Habitus konterkariert. Exemplarisch zeigt sich dies in den Sprachvarietäten, die jünger als Sissis Zeit und stark milieuspezifisch markiert sind. Wenn beispielsweise der Etikette-unerfahrene Oberst „Böckl“, der wie ein Dorfpolizist auftritt, sich der Kaiserin als „meine Wenigkeit“ vorstellt, verdreht der Obersthofmeister die Augen. Auch die lächerlichen Liebschaften Böckls bilden eine Kontrastfolie zu den ergreifenden Liebesgeschichten des Adels.

Vermeintliche Wertunterschiede der Stände werden so im demokratischen Zeitalter unverhohlen reproduziert. Sogar körperlich zeigt sich die Vorstellung der gottgewollten Monarchie: Während der Adel durch schöne Menschen repräsentiert wird, weichen die Untertanen auffallend oft von Schönheitsnormen ab: Sie sind sehr dünn oder dick, ungewöhnlich klein, ungelenk, sie grimassieren und zeigen ein schlechtes Benehmen. Diese ästhetische Manifestation eines Herrschaftsanspruches im Sinne der Kalokagathia wird unterstrichen durch exzessive liturgische Szenen mit monarchischen Zeremonien (z.B. Krönungen).

Die Rekonstruktion monarchistischer Legitimation zeigt sich selten so unverblümt wie in diesen populären Filmen. Sie belegen die Projektion von Sehnsüchten in vordemokratische, vermeintlich „bessere“ Strukturen. Durch technische und künstlerische Perfektion (Schauspielkunst / Kostüme / Musik) wird der Eskapismus befördert. Er löst – vor allem auch vor dem Hintergrund der zeitlich sehr nahen deutsch-österreichischen NS-Vergangenheit – bei analytischer Betrachtung ein Unbehagen aus. Im Beitrag soll das Monarchische in der Sissi-Trilogie beleuchtet werden: seine Funktion, seine Reize und seine Umkodierung in die Gesellschaftsdarstellung der demokratischen Zeit.

Panel 35: Media Reflections on the War: Narrativity of War

Samstag, 30. September 2023, 11:30 – 13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

We organize the panel with the hope that in September 2023 the materials and events of our panel will become history. Nevertheless, we consider it important to document the moment, to see how the utterly traumatic event is narrativized through the media. In our panel, we will discuss the possible points of view on the wartime experience, the storytelling genres and strategies. We will draw intercultural parallels and analyze the popcultural response to the distress and disaster of the war.

This panel will generate fresh insight into the impact of war on humanitarian and socio-cultural aspects of modifications in the value systems of communities, and personal experiences. Therefore, the intellectual discussion about the exceptional experience of war in the popcultural paradigm deserves special attention.

In particular, the speakers focus on the representation of the Russian-Ukrainian war in popular literary genres, where authors predict its beginning, duration, probable results, and consequences. We find out the strategic importance of the depiction of war in popular literature for the formation of Ukraine’s humanitarian policy after the war.

 

Organisation

 

Olha Polishchuk (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Oksana Starshova (Mykolajiw, Ukraine/Cambridge)

Tetiana Shestopalova (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Yuliya Stodolinska (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Moderation

 

Halyna Zaporozhets (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Vorträge

 

Writings from the War: Women’s Experience of Living through Russia’s Aggression against Ukraine
Olha Polishchuk (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Songs of the Wartime: Documenting Music Video Narratives
Oksana Starshova (Mykolajiw, Ukraine/Cambridge)

 

The Popular Dimension of Ukrainian War Poems
Tetiana Shestopalova (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

 

Street Art Wartime Narratives: Documenting the War and Giving Hope
Yuliya Stodolinska (Mykolajiw, Ukraine/Saarbrücken)

Panel 36–42: Globalität des Populären

Panel 36: Politics of Representation in South Asian Visual Culture: Historical and Contemporary Perspectives

Mittwoch, 27. September 2023, 16:00 – 18:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

The politics of representation has been at the heart of Indian visual culture. Given the mid-nineteenth-century boom in new visual technologies, including the printing press, photography and cinema, popular visual imagery has been at the forefront of visual representation of cultural and social identities, including caste, gender, and sexuality. This panel offers a comprehensive mapping and analysis of modern and contemporary visual cultures and their historical underpinnings in India through a number of approaches—iconographic, ethnographic, semantics, film analysis, and cultural history. The aim of this panel is to identify and provide a discursive base for established and developing patterns exclusive to the Indian visual culture to decode further how certain images, symbols, and icons are selected, assigned, and reassigned political charge when debates around citizenship, individual and collective identities are being re-evaluated.

Radhika Raghav’s paper is an exploratory study of the new visual culture inaugurated by the right-leaning Hindu organisations, such as Hindu Swayamsewak Sangh (HSS), run by Indians and people of Indian origins living in North America. In this paper, she presents an ethnographic account of promotional materials distributed as part of the ‘Hindu awareness week’ in public institutions such as state libraries, city halls etc. The focus of this presentation will be the initiatives that are particularly led by ‘Hindu Yuva’ or youth/student communities, currently affiliated with American state universities, that endeavour to represent Hindu cultural essence to their Western cohorts.

Anannya Bohidar’s paper offers a historical study of popular culture in the cultro-liguistic region of the Tamil country and investigates how the term obscene (āpācamāna) played a role in demarcating the ‘high’ and ‘low’ within the advertising content of early twentieth-century printed sex books. Particularly, focusing on works categorised as kokkōkam, an umbrella term used to describe sexual literature in Tamil, her paper maps the emergence of the category of obscene while placing it within the broader socio-cultural and political context.

Virien Chopra’s paper applies a semantic approach to analyse the gendered underpinnings of visual representations in the domain of cartoons. Through the works of Maya Kamath, a women cartoonist, Chopra investigates if Kamath, through her cartoons, was able to draw a narrative which was different from those created through a patriarchal structure of discourse.

Viju’s paper examines the visual figurations of Dalit experiences and identities in contemporary Malayalam films. It employs the concept of visuality, a term which encompasses not only the aspects of visual images but also attends to the ways of looking, the framing of the gaze, the properties of the medium, the social and ideological underpinnings behind such representations and the forces that shape such visual representations. This paper discusses the constitution of visual culture, foregrounding the figurations of Dalit identities in the films like Celluloid (2013), Papilio Buddha (2013) and Kammattipadam (2016).

 

Organisation

 

Anannya Bohidar (Pennsilvania, USA)

Virien Chopra (Delhi, Indien)

Radhika Raghav (Dunedin, Neuseeland)

Viju Vannathan Valappil (Chennai, Indien)

 

Vorträge

 

Seeing is Believing: Examining the Visual Culture of the Hindu Diaspora in North America
Radhika Raghav (Dunedin, Neuseeland)

This paper offers an exploratory study of the new visual culture of the Indian diaspora inaugurated by the Hindu YUVA (Youth for Unity, Virtues and Action), a student community operating in over fifty American universities, including UC Berkeley, Iowa State University, Columbia University, Rutgers. Hindu YUVA is a student program of Hindu Swayamsevak Sangh (HSS), a right-leaning religious organisation run by Hindus from India and other parts of the world living in North America. Hindu YUVA is responsible for ‘Hindu activism’ on campus, which is carried out through a number of cultural activities marked by religious sentiment. These include festival celebrations, film screenings, and training programs in public speaking skills. On the one hand, Hindu YUVA activism on campus strives to present a favourable and unified view and spiritually and culturally elevated status of the Hindus to their Western cohorts. Therefore, its activities are perceived as operating within the multicultural framework that reflects American institutions’ commitment to diversity, inclusion and equity. On the other hand, the student group’s ideological commitment towards the Hindu right-wing organisations in India works to establish Brahmanical supremacy within the internal workings that undermine multiculturalism’s objectives. A religiously motivated and upper-caste vision of Hinduism is most visible in the visual culture of the Hindu diaspora in America.

This paper presents a visual analysis of promotional materials distributed as part of the activities mentioned above. The focus is particularly on cultural events such as ‘Hindu awareness week’ organised by Hindu YUVA at their respective universities. Through a visual commentary, I attempt to examine the workings of the Hindu right-wing via student bodies to ultimately assess the shifts in aspirations, vision, and concerns of the immigrant population of the Hindu diaspora. The aim is to examine the visual culture of the globalised Hindu organisations within the context of religious nationalism in India. The focus of this presentation will be the examination of the outreach materials, including merchandise, apparel, cultural events decoration, magazine publication, social media posts and flyers distributed by Hindu YUVA. The exploratory study extends the observations of sociologists such as Prema Kurien, Banu Subramaniam, and Ravinder Kaur, integrating valuable perspectives on the politics of multiculturalism, evolving relationship between science and religion situated in a university context, and the mega-publicity campaign of Brand New India that underline the activities of Hindu YUVA as an organisation.

Kurzbiografie: Radhika Raghav is an interdisciplinary researcher and currently teaches in the School of Social Sciences and Humanities at the University of Otago, Dunedin. She holds a PhD in Visual Studies and a master’s degree in Art History. Her research interests revolve around the representations of diasporic identities in contemporary media and gender and sexuality in South Asian popular culture and films.

 

High’ Obscene, ‘Low’ Obscene: Mapping Sexual Literature in Late Colonial South India
Anannya Bohidar (Pennsilvania, USA)

This paper offers a historical study of popular culture in the culture-linguistic region of the Tamil country (1890s-1940s). It investigates how the term obscene (āpācamāṉa) played a role in demarcating the ‘high’ and ‘low’ within the advertising content of early twentieth-century printed sexual and advice literature. Particularly, focusing on works categorized as kokkōkam, an umbrella term used to describe sexual literature in Tamil, the paper maps the emergence of the category of obscene while placing it within the broader socio-cultural and political context. The term kokkōkam as a genre emerged after the name of a sixteenth-century Tamil sexual text, Kokkōkam or Ativīrarāmapāṇṭiya Kokkōkam, attributed to the Pandian king, Ativīrarāma Pāṇṭiyaṉ (r. 1564–1604 C.E.).This work was a rendition of the Sanskrit sexual text Ratirahasyam, popularly known as the Koka Śastra, written by Kokkoka sometime between the eighth and thirteenth centuries. The work Kokkōkam garnered so much attention that it became the ur-text for the later printed prescriptive works, eventually becoming an umbrella term for an entire body of work synonymous with sexual literature in the Tamil country.

 

Can the Subaltern Draw? Analysing the cartoons of Maya Kamath
Virien Chopra (Delhi, Indien)

Within the visual culture of India, there exist a multitude of narratives. These are embedded in the mediascape of the country in the form of printed, drawn, or orated presentations. One such formation, the cartoon, blends together the visual and textual into one hybrid media form, which has the unique ability to generate semantic associations that can surpass what is simply seen or read. This means that the dual strands of semantic structures within the cartoon, i.e. the visual and the textual, can either completement each other and present their discourse in a much stronger way, or go against each other and use the friction generated through irony and satire to fuel the greater meaning being developed. While there have been many cartoonists in India since its independence, there has been a very limited pool of women cartoonists. This paper intends to present the work of one such cartoonist – Maya Kamath – whose oeuvre lasted from 1989 till 2000, and covered the changing face of a country going through liberalization. Kamath’s cartoons are not only funny and poignant, detailing the daily life of the 1990s in India, but, as a woman, her cartoons brought out a voice that was seldom heard in the cartooning world of the nation. Her observations on social and political events, such as the coming of amniocentesis in India, or the growing manipulation of televised media by the government, were generated through the prism of her femininity, middle-class up bringing, and daily life as part of a family structure. The paper will weave a methodological frame work for the analysis of Kamath’s work using the anthropological works of Nicholas Mirzoff and Sarah Pink combined with sociological framework created by Philip Bourdieu and Arjun Appadurai. It will also link together Sassurian and Barthian semiotics and Gombrich’s art history together with analytical writings on comics and cartoons by Scott McCloud and Theirry Groeensteen. The paper will show how Kamath interacted with the country and attempt to see if, through her cartoons, Kamath was able to draw a narrative that was different from those created through a patriarchal structure of discourse.

Kurzbiografie: Virien Chopra is a visual sociologist with a PhD from the Delhi School of Economics, Delhi University. He has also taught visual communication in Delhi University. His thesis How do Comics Communicate: Analysing Semantic Formations in Comics analyses the myriad ways in which meanings are created, adapted, deconstructed, and reformed through the interplay of image and text. He is currently a Senior Editor at Dorling Kindersley.

 

Dalit Visualities: Fashioning the Caste in Malayalam films of South India
Viju Vannathan Valappil (Chennai, Indien)

As the art historian Gary Michael Tartakov observes, although Dalit lives have been represented in the sphere of literature since the 1960s, the presence of Dalits in the visual tradition was invisible in India. The visibility or invisibility of certain identities is one of the aspects inherent in the caste system. A form of sight pollution that prevents the untouchable castes‘ from appearing in public places was prevalent in the caste prescriptions. Hence, the visibility of Dalits in the visual expressions has to be evaluated in the ideological underpinnings of caste hierarchies. However, the proliferation of Ambedkarite movements has enhanced the presence of imageries and icons of Dalit experiences and politics. Things are changing with the emergence of a Dalit middle class, who appropriate their identities in terms of consumption and visual preferences. Young Dalit scholar Suraj Yengde observes the formation of Dalit Cinema, where the new generation of filmmakers challenges the mainstream aesthetics of Indian cinema and envisages an alternative visual culture. The changes that happened belong to two categories. First, the mainstream filmmakers are now willing to accommodate some aspects of the Dalit experience. Second, a group of Dalit filmmakers emerged to make films on Dalit themes and identities in different regional movie industries. These visual expressions also allude to the Dalit assertion and its associated politics. Against such a backdrop, this paper examines the visual figurations of Dalit experiences and identities in contemporary Malayalam films. It employs the concept of visuality, a term which encompasses not only the aspects of visual images but also attends to the ways of looking, the framing of the gaze, the properties of the medium, the social and ideological underpinnings behind such representations and the forces that shape such visual representations. This paper discusses the constitution of visual culture, foregrounding the figurations of Dalit identities in the films like Celluloid (2013), Papilio Buddha (2013) and Kammattipadam (2016).

Kurzbiografie: Viju Vannathan Valappil teaches at the Department of Media Studies of Kristu Jayanti College (Autonomous ) Bangalore, India. He is pursuing his PhD Research at the Indian Institute of Technology Madras (IITM) on Costume and Ethnicities in Contemporary Malayalam Films of south India. He completed his Post Graduate Degree in Mass Communication and Journalism from Kannur University, Kerala and served as Journalist for nine years at Mathrubhumi newspaper based in Kerala and New Delhi. His research interest covers south Indian Cinema, Indian Fashion and Film Costumes.

Panel 37: Populärkultur im Europa der langen 1960er-Jahre

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

Historisch gesehen stehen die sogenannten langen 1960er-Jahre einerseits für eine neuerliche quantitative Ausweitung, qualitative Ausdifferenzierung und massive Transnationalisierung von Populärkultur sowie andererseits für eine Sattelzeit, die durch europaweit beschleunigte Veränderungsdynamiken und Liberalisierungsprozesse, aber auch durch Ungleichzeitigkeiten sowie komplexe Gemengelagen von ‚Altem‘ und ‚Neuem. Das hier vorgeschlagene Panel soll die Möglichkeit bieten, beispielhaft Ergebnisse aus den Populärkulturstudien zu diesem Zeitraum, die in den letzten Jahren unter anderem im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er-Jahren“ entstanden sind, sichtbar zu machen. Die Vortragenden liefern hierbei fallstudienartige Einblicke in ein geschichts- wie kulturwissenschaftlich äußerst dynamisches Forschungsfeld. Im Mittelpunkt stehen populärkulturelle Produkte, Phänomene und Praktiken sowie deren Erkenntnispotenzial für den Wandel gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse im Europa der langen 1960er-Jahre. Es gilt, diese Produkte, Artikulationen und Aktivitäten, die unter industriegesellschaftlichen Vorzeichen entstanden sind, sich meist über massenmediale Kanäle verbreitet haben sowie durch zahlreiche Menschen angeeignet und als lebensweltlich bedeutsam empfunden worden sind, zu kontextualisieren. Dies lässt Erkenntnisse und Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf das respektive Aushandeln von Autoritäts- und Toleranzwerten sowie das mehr oder weniger starke Verschieben von Grenzen des Sag- und Machbaren im öffentlichen Raum zu. Denn die Erklärungsmacht von Comicserien, Kino, Rundfunk, Fernsehen, populärer Musik oder Sport-Events als gesellschafts- und auch politikrelevante Faktoren reicht weit über die kulturellen Artikulationen als solche hinaus. Es offenbart sich ein komplexes Wechselspiel zwischen Kulturindustrie-Produktion ‚von oben‘ und Eigen-Sinn-Produktion ‚von unten‘, zwischen Rezeption und Produktion. Dabei spielen sowohl die soziologischen Kategorien age, class, gender, race und diversity als auch Kommodifizierungsprozesse der Populärkultur eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt steht dabei die Frage im Raum, welche Charakteristika die Europäisierung mittels Populärkultur in den langen 1960er-Jahren aufwies und wie diese Europäisierung im Verhältnis zu den parallel ablaufenden transnationalen Makroprozessen der Amerikanisierung und Globalisierung zum einen sowie zu sozial und kulturell bedingten wie auch räumlich geprägten Aneignungsmuster mit flexiblen Bezugsgrößen (lokal, regional, national etc.) zum anderen einzuordnen ist.

 

Organisation

 

Philipp Didion (Saarbrücken)

 

Vorträge und Ablauf

 

Einführung: Populärkultur im Europa der langen 1960er-Jahre
Philipp Didion (Saarbrücken)

 

Die „Europawelle Saar“ – Jugendmedien als populärkulturelle Europäisierungsagenten in den langen 1960er-Jahren
Aline Maldener (Saarbrücken)

Die „Europäische Jugendkampagne“ der 1950er-Jahre oder die Gründung des Deutsch- Französischen Jugendwerkes 1964 waren Meilensteine in der kulturellen, edukativ- pädagogischen Jugendarbeit der Nachkriegszeit und unbestreitbar wichtige Etappen auf dem (politisch gewollten) Weg der Schaffung einer europäischen Jugendgeneration, eines Europe voulue, von oben. Jenseits von solchen offiziellen Bemühungen um eine europäische Integration durch die Heranwachsenden warteten populäre Jugendmedien mit eigenen Instrumenten der Jugendarbeit auf, die durch ihre spezifische, im Lüdtkeschen Verständnis eigen-sinnige Verbindung von (unprogrammatischer) „Politik“ und „Pop“ eine hohe Attraktivität besaßen.

Meine Hypothese ist, dass eingedenk der Idee eines Europe vécue populäre Jugendmedien – oft auch als nicht-intentionale Mittler – für die Herausbildung europäischer Gemeinsamkeiten bottom up, auf der Alltagsebene, von herausragender Bedeutung waren, da sie im Gegensatz zu stärker auf Eliten zielende Top-down-Initiativen von Seiten offizieller politischer Institutionen und Akteur:innen ein breites, schichtenübergreifendes junges Publikum in einer transnationalen Ideen- und Wertegemeinschaft vernetzten. Der Saarländische Rundfunk (SR) im Herzen Europas, an der Grenze zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg, soll als Fallbeispiel dienen, um diese These zu diskutieren. Der Beitrag stützt sich auf zwei verschiedene Aktivitätsarten des SR und seiner Europawelle Saar. Zum einen organisierte die Jugendabteilung der Rundfunkanstalt ab Mitte der 1960er- Jahre grenzüberschreitende Radioquizsendungen, Motorrad- oder Autorallyes und andere Kurzreisen ins Ausland für Jugendliche und junge Erwachsene. Zum anderen vernetzte der Sender Jugendliche aus ganz Europa als Brieffreunde und diente als populärkultureller Umschlagplatz, als Tauschbörse u. a. für Schlagerplatten, Poster oder Autogrammkarten.

Kurzbiografie: Aline Maldener (aline_maldener@gmx.net) war von 2018 bis 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin / Doktorandin bei Professor Clemens Zimmermann am Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte der Universität des Saarlandes. Im Rahmen der Forschungsgruppe „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er Jahren“ forschte sie zum mittlerweile abgeschlossenen Projekt „Jugend-Medien-Ensemble Europa. Zur Transnationalität von Jugendmedien und ihrer populären Jugendkultur in Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien, 1964–1974“. Sie studierte Historisch Orientierte Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes sowie Film- und Theaterwissenschaften am Trinity College in Dublin.

 

Das Entstehen populärer Fernsehserien in der Bundesrepublik und in der DDR anhand bedeutender Beispiele
Brigitte Rigaux-Pirastru (Angers, Frankreich)

Ab Ende der 1950er-Jahre in der Bundesrepublik und circa zehn Jahre später in der DDR stieg das Fernsehen zum neuen Massenmedium auf. Dies änderte nicht nur die Lebensgewohnheiten der West- und Ostdeutschen, sondern führte auf unterschiedliche Weise eine virtuelle Realität in ihr Leben ein. Das Kino hatte zwar seit schon einigen Jahrzehnten dazu beigetragen, aber ein neues Genre spielte – und spielt heute noch – eine wesentliche Rolle bei der Wahrnehmung fiktiver Erzählungen und bei deren Platz im kollektiven Gedächtnis: dasjenige der Serien beziehungsweise der Fernsehserien. Es lohnt sich also, einige der frühen erfolgreichen west- und ostdeutschen Serien zu analysieren und zu vergleichen. Die dargestellten Themen und ihre Behandlung, in manchen Fällen sogar die geschilderten nationalen Meistererzählungen werfen ein Licht sowohl auf die Sehnsüchte, Sorgen und Interessenschwerpunkte des damaligen breiten Publikums als auch auf den politischen Kontext. Darüber hinaus tobte zwischen beiden deutschen Staaten ein Kommunikationskrieg, wobei das Fernsehen rasch eine der starken Waffen wurde. Deshalb bieten die west- und ostdeutschen Fernsehserien der 1960er-Jahre ein spannendes Zeugnis nicht nur über die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch über die deutsch-deutschen Beziehungen. Nach einer kurzen Vorgeschichte wird mein Vortrag besonders auf zwei sehr erfolgreiche Fernsehserien fokussieren: zum einen Am grünen Strand der Spree, die 1960 in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde, zum anderen Wege übers Land, die 1968 in der DDR gesendet wurde – also genau zum Zeitpunkt, in dem das Fernsehen in den jeweiligen Staaten zum Massenmedium avancierte. Jede Serie bietet eine programmatische Repräsentation des eigenen Landes und dessen Auseinandersetzung mit der nahen Vergangenheit dar. In diesem Rahmen zeigt ihre Analyse, wie und zu welchem Zweck unter anderem der Zweite Weltkrieg, der Holocaust, Flucht und Vertreibung dargestellt beziehungsweise erwähnt wurden. Wenn diese Fernsehserien allerdings Mythen ernähren, widerlegt jedoch ihre Untersuchung manche noch heute vorhandene Topoi. Die Forschungen unter anderem der Historiker Marc Ferro, Gerhard Paul und Stefan Berger bilden den theoretischen Hintergrund meiner Analysen.

Kurzbiografie: Brigitte Rigaux-Pirastru (bpirastru@uco.fr) ist assoziierte Wissenschaftlerin am Centre de recherche Humanités et Sociétés an der Université catholique de l’Ouest in Angers. Sie forscht zur Darstellung von Flucht und Vertreibung im Film sowie zur Bedeutung des deutschsprachigen Kinos in den 1950er- und 1960er-Jahren. 2020 hat sie ihre Dissertation mit dem Titel „La fuite et l’expulsion dans le cinéma de langue allemande (1946–2018): Représentations, rôles et fonctions“ verteidigt. Rigaux-Pirastru studierte deutsche Zeitgeschichte (Université de Strasbourg) und Journalismus in deutsch-französischer Perspektive (Paris, Sorbonne Nouvelle).

 

Von populärer Identität und nationaler Popkultur. Die „Schueberfouer“ in den langen 1960er-Jahren: Eine Schaubude der Nation?
Véronique Faber (Luxemburg)

Der europäische Jahrmarkt hat sich im Laufe der Zeit vom Markt zum populären Fest entwickelt und wurde in der Nachkriegszeit zu einem wahrlichem Vergnügungsort der Massen. Der jährlich in Luxemburg stattfindende Jahrmarkt „Schueberfouer“ ist ein exemplarisches Beispiel für diese Entwicklung. In Bezug auf diesen Jahrmarkt wirft dieser Vortrag die Frage auf, wie nationale Identität und populäre Kultur in den langen 1960ern zusammenwirkten, und untersucht die Hypothese des Sozial- und Kulturgeographen Tim Edensor, dass die Kraft von nationalen Ritualen durch popkulturelle Elemente, nicht geschwächt, sondern verstärkt wird (Edensor, Tim. 2020. National Identity, Popular Culture and Everyday Life. London: Routledge.)

Die „Nation“ bleibt auch in einer globalisierten Welt, eine wesentliche Einheit, um die sich Identität formt und auf Jahrmärkten werden verschiedene Praktiken und Rituale inszeniert, die die symbolischen Attribute der „Nation“ zur Schau stellen. Folgerichtig werden auch popkulturelle Elemente von Traditionen vereinnahmt und mit Attributen wie „zeitlos“ und „unverändert“ belegt. Es handelt sich hier um „erfundene Traditionen“, die nicht als ein neues Ganzes entstanden sind, sondern sich aus neuen und alten Elementen zusammensetzen.

Die Frage, wer die Entscheidung über solche Traditionen trifft, wird ebenfalls behandelt. Hobsbawm und Ranger verstehen „erfundene Traditionen“ als ein Machtinstrument einer nationalen Autorität, die von „oben herab“ entscheidet (Hobsbawm, Eric J., ed. 1989. The Invention of Tradition. Reprinted. Past and Present Publications. Cambridge: Cambridge Univ. Pr.). Auch wenn Edensor diese Ansichtsweise nicht ausschließt, sieht er „erfundene Traditionen“ vielmehr als aktive Gestaltungen durch eine Vielzahl an Akteuren, die an der Performance der Rituale teilnehmen und sie so neu vermischen und besetzen. Machtverhältnisse wären hier nicht mehr eindeutig einem Akteur zuzuordnen.

Kurzbiografie: Véronique Faber (veronique.faber@uni.lu) ist seit 2022 Doktorandin am Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg und untersucht die Verflechtung des Nationalen, Transregionalen und Transnationalen in der populären Jahrmarktskultur in Luxemburg im Zeitraum von 1945 bis 1975. Diese empirische Fallstudie ist Teil des Projekts „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er Jahren“. Sie studierte Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) und Afrikanistik an der Universitaät Wien und Kulturmanagement am University College Dublin.

Panel 38: Diversifying the Popular — Translating Cultural Studies

Donnerstag, 28. September 2023, 9:00 – 18:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 0.03

 

The proposed program of the section “Transcultural Life-Worlds” for the 8th annual conference of the Kulturwissenschaftliche Gesellschaft consists of three panels. While each of the panels focuses on specific aspects of “the popular”, the general aim of all three panels is emphasizing and deepening the diversity of concepts, theories and manifestations of the popular, including their different traditions, trajectories and transculturalizations. We want to compare various forms of hierarchizations, which characterize cultural practices understood as “popular”: are there “good” vs. “bad” forms of popular and what is understood as such by whom? What happens when the popular wanders across borders into new territories, when it gets translated from one context to another, when it is stolen from one place and resituated somewhere else, when it slips inside the skins of strangers and makes them speak with new voices? We are especially interested in what happens when specific forms of “the popular” travel across/between cultures — recognizing that cultures are never discrete, self-contained entities; that they are not coterminous with societies or nation-states; that not all traffic between cultures is voluntary or respectful; and that such traffic is often imbalanced, unequal, and unidirectional. All of which makes it challenging to talk about the politics of cross-cultural traffic in singular ways or using universal theories or models.

In order to open up and problematize static definitions of popular culture we want to compare a wide range of examples, which touch upon manifestations of the popular in fashion and lifestyles, digital technologies, urban cultures, populism, neoliberal forms of technocolonialism, questions of identity and diversity, coloniality and decolonial efforts. All in all, we want to question the popular in lifeworlds and in cultural studies, and discuss whether the concept is still good and for what.

 

Organisation

 

Giulia Pelillo-Hestermeyer (Wien)

Gilbert B. Rodman (Minnesota, USA)

 

Panel 1: “(Mis)Placing the Popular: Translation, Appropriation, and Globalization”

 

Translating Haka into German Popular Culture
Angela Kölling (Mainz) und Susan Ingram (Toronto, Kanada)

Haka performances are enjoying growing popularity in German culture. They have featured in a German insurance commercial in 2017, in protests against COVID-19 measures in 2020, and in the police procedural TV show Tatort in 2021 (Folge 1151 “Der feine Geist”), as well as in a growing number of shamanic life-coaching and YouTube-videos. Analysing these appearances, as well as the responses they have provoked, this paper seeks to articulate the complexity that marks the cultivation of otherness as an attribute of commercial branding, self-innovation and societal transformation. Our analysis will draw comparisons with Hartmut Lutz’s investigations of “indianthusiasm” (2002, 2020) to probe in how far the “Ka Mate”-Maori could be considered the new Winnetou-Indianer.

We will also engage with transcultural lifeworlds in considering the decolonising indigenisation of Germany, that is “Indigenialität” (Andreas Weber, 2018) in the wider context of “Indigenism” (Ronald Niezen, 2003). To that end, in the spirit of Bannerjee, Blätter and Escher’s Re-Ethnisierung, Repräsentation von Indigenität und gelebte Bikulturalität (2015), we ask what lived biculturality looks like for Indigenous diasporas in Germany in comparison with settler-colonials contexts such as Canada and New Zealand and how translation has and has not helped to bridge Anglophone and Germanophone discourses.

Kurzbiografien:

Angela Kölling is a Professor for Anglophone Studies at the Faculty of Translation Studies, Linguistics and Cultural Studies of the Johannes Gutenberg-University Mainz, as well as Book Reviews co-Editor of the Journal of New Zealand and Pacific Studies. Her research and teaching focuses on translation as catalysts for societal transformation, such as decolonisation and environmental crisis adaptation. Recent publications include “Visibility and Translation” (Special Issue of Imaginations vol. 11, no. 3, Dec. 2020) and “From ‘talking head’ to world maker: a discussion of Frank Schätzing’s Was, wenn wir einfach die Welt retten? and Andreas Weber’s Indigenialität in terms of public intellectualism (Drain vol. 19, no. 2, Fall 2023).

Susan Ingram is Professor in the Department of Humanities at York University, Toronto, where she coordinates the Graduate Diploma in Comparative Literature. She is the general editor of Intellect Book’s Urban Chic series and co-author of the volumes on Berlin, Vienna, and Los Angeles. A past president of the Canadian Comparative Literature Association and its current web systems administrator, her research interests revolve around the institutions of European cultural modernity and their legacies.

 

What Makes a South African Video Game Popular?: Mapping the Transcultural and Transnational Legibilities of the “Popular”
Rachel Lara van der Merwe (Groningen, Niederlande))

What happens when a media creator working in a country with less “soft power” wants to create a successful, and likely popular, media text? My contribution examines the interplay of industry, politics, infrastructure, and legibility of what is considered “popular” that inform the conditions from which said creator must work. I focus on Global South contexts wherein the creator’s nation exerts relatively less soft power, i.e. cultural and/or economic influence, outside of its borders than key Global North players like the US, EU, and China.

In such nations, a media creator may work within less developed industry infrastructures and receive less support from governmental policies, but they must also contend with diverging expectations of what can be read as “popular”. A local audience’s grammar around “the popular” may not resemble national formations, let alone overlap with what global markets privilege as “popular”. Ironically, in order for the media creator to obtain more infrastructural and institutional support at the national and local levels, it may be strategic to aim for popularity at the global level.

I map out these forces at play using the example of the video game industry in South Africa, a country not without soft power, but with significantly less influence than key national players of the Global North. In previous research I have observed the colonial rhetoric and values (e.g. mastery, „pwning“) that are embedded in what global markets generally deem to be successful video games, especially in triple-A games with RPG mechanics. While there have been a number of innovative RPGs developed on the African continent, the first to gain critical/mainstream recognition, to some extent, was Beautiful Desolation, one that while set in South Africa, deployed traditional colonial logics that I argue have been hegemonically accepted as key to a good and “popular” game.

Kurzbiografie: Rachel Lara van der Merwe is an assistant professor in the Centre for Media and Journalism Studies at the University of Groningen in the Netherlands. Her research explores the intersection of digital media, national identity, ecopolitics, and coloniality—particularly within South Africa and the Global South. Originally from Cape Town, South Africa, she received a Ph.D. in Media Research and Practice from the University of Colorado Boulder and holds an MA in Cultural Studies, with a concentration in media studies, from Claremont Graduate University.

 

 

Panel 2: “The Age of Pluralization in Popular Culture?”

 

Saving the Story: Where Oral Tradition and Popular Culture Meet
Otman Bychou (Beni-Mellal, Marokko)

The history of the Moroccan colonial soldiers who fought in Germany in WWII is largely dominated by a collection of cultural production. History books, articles, military studies, novels, documentary films and movies on this topic illustrate a historical context on the war totally controlled by a monolithic homogenous perspective. This cultural repertoire does not appropriately include the history and the experiences of the Moroccan colonial soldiers who fought under the French flag. In this paper, attention is drawn to the way these Moroccan veterans saved their experiences in the Second World War through orality. These Moroccan ex-fighters told stories about the atrocities they underwent and the heroic deeds they did in order to save their history from disappearance in a society that considers them as enemy collaborators. The veterans, as orators, vehemently faced this pertinent negligence and transformed their silenced history into magnificent oral stories. Their oppressed history is rehabilitated through their own voices which make the history of this war approached from the perspective of the subaltern who was also an eyewitness and an effective participant in this war. The power of their talks in public derives its essence from the fact that they were in Germany, they participated in the war, and, according to them, nobody could dare to question the reliability of their oral narratives. These storytellers constitute on oral tradition that reveals a unique practice of an ownership of stories. The members of the society in which they live enjoy listening to these stories and consider them as part of popular oral history.

 

The Popular in Cultural Public Spheres
Udo Göttlich (Friedrichshafen)

The “Popular” in television programming and online streaming platforms is still seen as evasion from the routines of daily life as well as from politics. The question, which consequences the “popular” has on our understanding of everyday life and public communication is still open. This is true for the relation between the “Popular” and “Cultural Public Spheres”. What can be shown and analysed up to now are the different phases, the relation of the Popular in Cultural Public Spheres has evolved e.g. by producing media events.

In my paper I will ask from a sociological point of view for the role and function of the Popular in entertainment programs on our media culture and understanding of Cultural Public Spheres. Going back to Anthony Giddens notion of „life politics“ and Raymond Williams question on drama in a dramatised society I will show, that the “Popular” in entertainment formats is not only the product of marketing related strategies but also the expression of changed cultural relations. From this point of view, I will discuss if the actual understanding of the popular is appropriate to understand the changes in media culture, transcultural communication and cultural public spheres.

Kurzbiografie: Udo Göttlich is a Professor for Media and Communication Studies at Zeppelin University, Friedrichshafen. Main research interests: Sociology of Culture, Sociology of Media and Communication, Cultural Studies. Recent Publications include: “The Kultursoziologie of Cultural Studies”, in: Dorer, Johanna et al.(eds.) (2021): Cultural Studies revisited, Wiesbaden: Springer, S.85-97 and „Zur Vermessung des „Digitalen“: Soziologie und die Herausforderungen der digitalen Transformation“, in: Soziologische Revue, 2022, Jg. 45, H.4, S.421-445. E-Mail: udo.goettlich@zu.de (Zeppelin University Friedrichshafen, Germany)

 

Comics and their Audiences: Pluralization or Tolerance?
Éric Maigret (Paris, Frankreich)

In reference to the 2015 statistical survey on French comics practices and tastes, this paper challenges conventional understandings of the taste patterns informing comics consumption in contemporary France. It infers the incommensurability of comics genres and taste judgments no longer based on “rejections/dislikes” but rather on “openness/tolerance” or “indifference/ignorance”. Our analysis confirms a major transformation in judgments of taste in the cultural field. Omnivorous/univorous models – from Richard Peterson to Tony Bennett – and cultural models – i.e. John Frow – have helped blur the pyramidal vision of culture supposedly inscribed in practices but they didn’t catch a paradigmatic change. We now live in a world where „cultural legitimacy“ (as defined by Bourdieu) is deeply contested by multiple forms of multiculturalism.

Kurzbiografie: Eric Maigret Eric Maigret is Professor of Cultural Studies at Sorbonne Nouvelle University and Director of the Institute for Research on Media, Communication, Culture and Numérique/Digital (IRMECCEN). His research focusses on the socio-political levels of media cultures, especially audiences and comic books. Recent publications include Sociologie de la communication et des médias (Armand Colin, 2022, 4th version), Les Cultural Studies : au-delà des politiques des identités, Le Bord de l’eau, 2020, with Laurent Martin.

 

 

Panel 3: “New and Improved(?): (Re)Making the Popular in/for the 2020s”

 

In Search of the People: The Popular in a Time-Space of Populist Nationalisms
John Clarke (The Open University, UK)

If our concern with popular culture is motivated by its potential as a site through which progressive political-cultural mobilisations might be enacted, what is the character of the “people” in this period? The proliferation of “angry politics” (Maskovsky and Bjork-James, 2020) have often taken the form of authoritarian, reactionary forms of populist movements. As Valluvan (2019) has argued, this is not just a period of populism, but of specifically nationalist populism. This view demands attention to the conjunctural salience of the nation as a focal concern. So, where are we to look for the people as a potential political-cultural subject? In this contribution, I argue that the possibilities of imagining the people simultaneously within and beyond the nation are of critical importance – and that varieties of popular cultural forms exist that might sustain such possibilities, even if they are far from counter-hegemonic.

Maskvosky, J. and Bjork-James, S. (eds) (2020) Beyond Populism: Angry Politics and the Twilight of Neoliberalism. Morgantown, VA: West Virginia University Press.

Valluvan, S. (2019) The Clamour of Nationalism: Race and Nation in Twenty-First-Century Britain. Manchester: Manchester University Press.

Kurzbiografie: John Clarke is an Emeritus Professor at the UK’s Open University. He has been a recurrent Visiting Professor at Central European University and a Leverhulme Emeritus Professor (2019–2022). His latest book, The Battle for Britain: Crises, Conflicts and the Conjuncture, about political-cultural struggles and realignments in the UK, will be published in May 2023 by Bristol University Press.

 

Tech Demos as Popular Culture Events
Markus Reisenleitner (Toronto, Kanada)

Apple’s September 2021 keynote, titled “California Streaming,” adapted the format of the annual presentation of a new iPhone to Covid lock-downs by suspending the pretence of a stage event and turning the genre into a snazzy 85-minute, elaborately cinematographed and edited infomercial inspired by music video aesthetics and drawing attention to the company’s efforts in the streaming space. Analysts and fans quickly speculated that this shift from live performance to a cinematically mediated streaming event might have constituted the death knell to a long tradition of product demos on stage that Apple had perfected under the leadership of Steve Jobs, whose showmanship, timing, perfectionism, and sleight-of-hand in introducing new products had become legendary. However, what happened in 2022 seems to have shown that live demos are here to stay.

My paper probes the importance of stagecraft and live performance for the effects the keynote genre generates in terms of techno-utopian spectacles that establish and reinforce imaginaries of technology as tools that always work, rather than as consistent sources of frustrations and disempowerment – most people’s everyday experiences. The performance aspect of the genre can thus be seen as a continuation of the lineages of magic and illusionism that have accompanied imaginaries of technological progress since the European Enlightenment. Looking at these articulations of technological and magical lifeworlds as Popular Culture events in which complex negotiations of historical lineages and transcultural imaginaries are being sutured reveals their popular appeal as well as their socio-political impact.

Kurzbiografie: Markus Reisenleitner is Professor of Humanities at York University and Director of the Graduate Program in Communication and Culture, as well as editor-in-chief of Imaginations: Revue d’études interculturelles de l’image / Journal of Cross-Cultural Image Studies. Reisenleitner’s research focusses on the intersections and socio-political implications of popular culture, digital culture, the urban, and fashion. Recent publications include L.A. Chic: A Locational History of Los Angeles Fashion (with Susan Ingram, Intellect, 2018) and “Fiddling with Southern California at a Time of Upheaval: A.E. Maxwell’s Mystery Series.” in Canadian Review of American Studies, vol. 52, no. 2, July 2022.

 

The Uses and Abuses of Popular Culture in the Age of Apocalypse: What Stuart Hall Might Say
Megan Wood (Ohio, USA)

Between prolonged stints of “binge-watching” and “doomscrolling” to pass time during Covid lockdown, a question festers: what do we want, in these times, from popular culture? A critique of determinant conditions? A plotline that celebrates world-making under conditions of adversity? Distraction? Nostalgia? Good-feeling? Taking seriously Stuart Hall’s insistence on ongoing necessity of popular culture’s radical historicization, my contribution to the panel revisits Hall’s reflections on the “two paradigms” of Cultural Studies, finding in them a line of thought we must translate for overcoming the debate of our time: “critique” or “post-critique”? Today, as in the time of Hall’s writing, neither culturalism’s confidence in the history-making subject nor structuralism’s attachment to “[t]heory with a capital ‘T’” seem adequate for apprehending either our conditions or the modes by which we negotiate them. With attention to some new popular cultural artifacts (Don’t Look Up, Euphoria) as well as old ones that enjoyed renewed popularity (Alien, Jaws) in the time of lockdown, I sketch out a framework for a kind of contextual critical reading practice Hall might invite.

Kurzbiografie: Megan Wood is an assistant professor of Communication and Culture at Ohio Northern University in the Communication and Media Studies program. She researches, teaches, and writes broadly about matters of identity, inequality, and economy with special attention to transformations of U.S. political culture. Her current book-in-progress probes the implications of corporate empowerment for political identity and the domain of civic practice in the United States through the lenses of popular and vernacular culture. In addition to teaching and research, Megan serves as the Commentaries and Reviews editor for the Journal of Cultural Economy and on the executive board of the Cultural Studies Association.

Panel 39: Von der Resistenz zur Resilienz — Formen der Populär- und Popularkulturen in der Romania: Spannungsverhältnisse und kollektive Zugehörigkeiten

Freitag, 29. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude C 5.1, Musiksaal (1.01)

 

Wir möchten der Frage nach der Produktion und Rezeption aktueller kollektiver kultureller Ausdrucksformen in der Öffentlichkeit romanischsprachiger postkolonialer Kulturräume nachgehen. Dabei wollen wir das Zusammenspiel sowie die Spannungs- und Konkurrenzverhältnisse zwischen Popularkulturen und Hochkultur bei der Herausbildung von kollektiven Identitäten untersuchen. Unser Ziel dabei ist, kulturelle Erscheinungsformen aus dem Bereich des Popularen wahrzunehmen, zu analysieren und zu deuten. Dabei kommen kulturelle Produkte aus den Bereichen Musik, Lyrik, Theater, Kino, Fotografie, Comic, Street Art usw. in aller Vielfalt in Frage.

In der aktuellen Ära des Anthropozäns erleben wir eine Welt extremer Spannungen, in der das Globale und das Lokale aufeinandertreffen und sich der Traum von Wohlstand für alle als Illusion entpuppt, was Halls (2010) Bekenntnis vom Mangel an Gewissheit bestätigt. Stattdessen herrschen ansteigende Ungleichheiten, die u. a. mit dem feministischen intersektionalen Ansatz beschreibbar sind.

In unserer Sektion wollen wir kulturelle Formen der Populärkulturen analysieren, die hegemonische Selbstverständlichkeiten auf die Probe stellen, aus dem Gleichgewicht bringen und womöglich darauffolgende Verhältnisse beeinflussen und verändern, Dynamiken, die Bourdieu bereits erläuterte. So möchten wir zur kulturwissenschaftlichen Analyse und Debatte dieser Artefakte und ihrer Diskursivität einladen, die wir ferner als Dispositive im Sinne Agambens verstehen. Wir fragen uns also mit Alabarces nach den Bedeutungsmöglichkeiten und der Reichweite des Populären.

Ausdrucksformen wie Literatur, Film, Comic, darstellende Künste wie Tanz und Theater, Fotografie, Street Art und Musik, von denen manche wie der Flamencogesang aus älteren volkstümlichen Traditionen stammen (Homann 2021) sowie ihr Einfluss auf die Öffentlichkeit, nicht zuletzt auf den öffentlichen Raum und seine Materialität (Rabotnikof 2005), sind einige der Hauptkanäle für die Darstellung von Populärkulturen. Aufgrund ihres Entstehungskontextes, ihrer Machtverhältnisse und deren interventionistischen Charakters besitzen sie ein ästhetisches und zugleich politisches Potential, wobei wir auf Foucaults Diskursanalyse zurückgreifen. In der Gegenwart finden wir dafür mögliche Beispiele für Kulturschaffende aus der Literatur bei Gabriela Cabezón Cámara, Camila Sosa Villada oder Rita Indiana; aus dem Film bei César González; aus der Musik ist bspw. Rebeca Lane zu nennen. Sie sind bereits teilweise, jedoch noch nicht umfassend untersucht worden (Peinador 2021, 2022).

Sowohl beim Themenkomplex als auch bei der methodologischen Wissensproduktion nehmen wir uns eine konsequente Anwendung der dekolonialen und der feministischen Perspektiven vor, was u. a. eine horizontale Wissensproduktion impliziert (Cornejo/Rufer 2020). Für diese Überlegungen und deren Formulierung wollen wir uns dabei auf Manifestationen der Alltagskultur stützen und zur Entwicklung dieser Perspektive einladen. Dabei verstehen wir uns und die Arbeit in unserer Sektion als Sprachrohr, Dialog und Transfer zwischen den Epistemologien des Globalen Südens (de Sousa Santos 2018) und westlichen Ansätzen.

Auf diese Weise werden folgende Untersuchungsfelder und -Fragen aufgeworfen:

  • Kulturelle Vorstellungen / das populäre Imaginäre
  • Kollektive Zugehörigkeiten unter Bezugnahme auf Gedächtnistheorien, Fragen der Generationalität und der kollektiven Zugehörigkeit
  • Subversives Potential von Ausdrucksformen der Populär- und Popularkulturen
  • Welche kulturellen Artefakte werden wie kollektiv konzipiert und in die Öffentlichkeit vermittelt?
  • Welche Auswirkungen hat dies auf die Gesellschaft und die öffentliche Wahrnehmung?

Zitierte Literatur:

Alabarces, Pablo (2021). Pospopulares. Las culturas populares después de la hibridación. Bielefeld: University Press/transcript.

Agamben, Giorgio (2006). Che cos’è un dispositivo? Milano: Nottetempo.

Bourdieu, Pierre (1992). Les règles de l’art: genèse et structure du champ littéraire. Paris: Éditions du Seuil.

Cornejo, Inés; Rufer, Mario (eds.) (2020). Horizontalidad. Hacia una crítica de la metodología. Buenos Aires, México: CALAS, CLACSO.

Foucault, Michel (1992 [1969]). L’Archéologie du savoir. Paris: Gallimard.

Hall, Stuart (2010). Sin garantías. Trayectorias y problemáticas en estudios culturales. Eduardo Restrepo, Catherine Walsh y Víctor Vich (eds.). Universidad Javeriana/Universidad Andina Simón Bolívar. Popayán, Colombia: Envión Eds.

Homann, Florian (2021). Cante flamenco y memoria cultural lo performativo de la tradición, las redes de intertextos y las nuevas dinámicas en la poesía del cante. Madrid/Berlin: Iberoamericana/Vervuert.

Peinador, Minerva (2022). “Destellos de ‚mi reflejo de perfil incaico‘. Hacia un orden decolonial afiliativo en Huaco retrato (2021), de Gabriela Wiener”. Letral 29: Escrituras desterrito-rializadas: literatura femenina y migración hispanoamericana en Europa,111-131.

Peinador, Minerva (2021) “Refundando la matria argentina, desdibujando límites normativos. Las aventuras de la China Iron, de Gabriela Cabezón Cámara.Romanica Olomucensia 33(2): Disensos al canon literario, Enrique Rodrigues-Moura (coord.), 289-304.

Rabotnikof, Nora (2005). En busca de un lugar común. México D. F.: Universidad Nacional Autónoma de México, Instituto de Investigaciones Filosóficas.

Sousa Santos, Boaventura de [et al.] (2018). Epistemologías del Sur – Epistemologias do Sul. Maria P. Meneses, Karina A. Bidaseca (coords.). Buenos Aires: CLACSO/Coimbra: Centro de Estudos Sociais CES.

 

Organisation

 

Minerva Peinador (Regensburg)

Florian Homann (Münster)

 

Vorträge

 

Postmodernisierte Fragmente des globalen Südens in Giannina Braschis und Joakim Lindengreens United States of Banana (2011/2021)
Anne Brüske (Regensburg)

United States of Banana (2011), geschrieben von Giannina Braschi und in seiner späteren Neuauflage als Graphic Novel illustriert vom schwedischen Cartoonisten Joakim Lindengreen, ist ein postmoderner postkolonialer Roman, den die puertoricanische Autorin nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Zwillingstürme, in deren Nähe sie lebte, verfasste. Der sowohl poetisch als auch ironisch stark aufgeladene Text schildert die grenzüberschreitende kulturelle und politische Erfahrung der US-Bevölkerung lateinamerikanischer Herkunft im gelobten Land und insbesondere die Beziehung zwischen Puerto Rico und den Vereinigten Staaten.

Zwischen einem erzählerischen und einem dramatischen Ton (Félix Torres 2015) wird die Handlung mit verschiedenen Ausdrucksmitteln und Registern, aber auch mit Anklängen an Elemente der Hochkultur, mit Figuren wie Hamlet, Zarathustra oder Segismundo, sowie der Populärkultur -etwa dem Spanglish- artikuliert. So werden durch das, was als Gamification (Daniele 2020) bezeichnet wird, komische Situationen erzeugt, die bis zum Paroxysmus getrieben werden, um sie zu parodieren, aber vor allem, um die Ungleichheit zwischen dem globalen Süden und Norden aufzuzeigen und anzuprangern. Auf der einen Seite die Enteigneten und Subalternen, auf der anderen Seite Figuren “all walking around Wall Street like chickens with their heads cut off”, kritisiert Braschis Werk ein System, das nicht mehr demokratisch (“Every four years the citizens of Liberty Island vote for Wishy-Washy. They can choose between mashed potato, French fries, or baked potato. But any way you serve it, it’s all the same potato…”) ist und sagt damit den Untergang des American Empire voraus.

In meinem Beitrag analysiere ich, wie es der Autorin gelingt, diese verschiedenen diskursiven Ebenen in Einklang zu bringen, um diese Graphic Novel zu verfassen, die aufgrund ihrer tragikomischen Kritik an der puerto-ricanischen Wirtschaftspolitik und am Kapitalismus als Teil der Weltliteratur gilt (Daniele 2020) und den Untergang des globalen kapitalistischen Systems vorwegnimmt.

Primärliteratur

Braschi, Giannina (2011): United States of Banana. Las Vegas, Nev.: Amazon Crossing.

Braschi, Giannina / Lindengreen, Joakim (2021): United States of Banana. A graphic novel. Columbus: Mad Creek Books, an imprint of The Ohio State University Press.

Weiterführende Literatur

Aldama, Frederick Luis / O’Dwyer, Tess (eds.) (2020): Poets, Philosophers, Lovers: On the Writings of Giannina Braschi. University of Pittsburgh Press.

Aldama, Frederick / González, Christopher (2018): Latinx Studies: The Key Concepts. Routledge.

Allatson, Paul (2016): “From ‘Latinidad’ to ‘Latinid@des’: Imagining the Twenty-First Century.” In: The Cambridge Companion to Latina/o American Literature.

Daniele, Daniela (2020): “Gamifying World Literature: Giannina Braschi’s United States of Banana (The Cartoon Art of September 11th).” In: Poets, Philosophers, Lovers: On the Writings of Giannina Braschi. University of Pittsburgh Press.

Félix Torres, Juan Pablo Nicolas (2015): United States of Banana: A Postcolonial Dramatic Fiction. New York: Columbia University.

Lowry, Elizabeth (2015): “The Human Barnyard: Rhetoric, Identification, and Symbolic Representation in Giannina Braschi’s United States of Banana”. In: Petrovic, Paul (ed.).: Representing 9/11: Trauma, Ideology, and Nationalism in Literature, Film, and Television. New York / London: Rowman & Littlefield Publishers, pp. 155-164.

Pérez, Rolando (2020). “The Bilingualisms of Latino/a Literatures”. In: Stavans, Ilan (ed.): The Oxford Handbook of Latino Studies.

Perisic, Alexandra (2019): Precarious Crossings: Immigration, Neoliberalism, and the Atlantic. Ohio: The Ohio State University Press.

Riofrio, John (2020): “Falling for debt: Giannina Braschi, the Latinx avant-garde, and financial terrorism in the United States of Banana”. In: Latino studies Bd. 18, 28.1.2020, Nr. 1, pp. 66-81.

Kurzbiografie: Anne Brüske studied Romance Studies and Sociology in Heidelberg, Montpellier, and Basel. She joined the University of Regensburg as professor for “Spatial Dimensions of Cultural Processes” at the new-founded Department for Interdisciplinary and Multiscalar Area Studies in 2022. Before, she directed the research group “From the Caribbean to North America and Back. Transculturation Processes in Fiction, Popular Culture, and New Media” (Heidelberg Initiative of Excellence, 2010-2017). Her research and teaching focuses primarily on the borderlands and boundary areas of academic disciplines and cultural spaces. Her fields of interest include diaspora cultures, popular media and memory, processes of de- and reterritorialization, and the medial production of space. She has a special interest in Caribbean and Latin American Studies as well as in transregional entanglements between the Americas and Eastern Europe.

 

Corona Fictions: Aufkommen, Erscheinungsformen, Potenziale
Yvonne Völkl (Graz, Österreich)

Am Beginn der Corona-Pandemie (2020) verzeichneten wir weltweit eine Fülle an audiovisuellen und textuellen Kulturproduktionen, die sich mit der Pandemie, den Versuchen, sie einzudämmen, und ihren Auswirkungen in fiktionaler Weise beschäftigten. Auch heute, mehr als drei Jahre später, beobachten wir nach wie vor die Publikation zahlreicher fiktionaler Werke, deren Geschichten vom pandemischen Geschehen der Corona-Krise inspiriert sind und dieses in allen nur denkbaren literarischen Gattungen und Medienformaten verarbeiten.

Obgleich auch einige angesehene Autor*innen und Filmemacher*innen ihren Beitrag zum Korpus der sogenannten Corona Fictions geleistet haben, stammen diese überwiegend aus dem populär- und weniger aus dem als hochkulturell angesehenen Bereich. Ungeachtet ihrer Zuordnung, Gattungen und Formate können diese bereits jetzt als Teil des kulturellen Erbes der Corona-Pandemie gewertet werden, da sie ein eindrucksvolles Bild davon vermitteln, wie das pandemische Geschehen in unterschiedlichen Kulturräumen und von unterschiedlichen sozialen Gruppen erzählt wurde und wird. Eine Analyse der Corona Fictions, die sich durch ihren transkulturellen, transnationalen wie transmedialen Charakter auszeichnen, ermöglicht somit Einblicke in die vielfältigen Erfahrungsräume dieses globalen und kollektiv geteilten Ereignisses des 21. Jahrhunderts.

Der vorliegende Beitrag geht auf die Produktion von Corona Fictions in der Romania continua und Romania nova ein und wird folgende Fragen beantworten:

  1. Warum führte gerade die Corona-Pandemie zu einem beachtlichen Anstieg an Kulturproduktionen?
  2. Welche Gattungen, Formate und Inhalte bevorzugen die romanischsprachigen Corona Fictions?
  3. Welche Potenziale bergen die Corona Fictions für kulturwissenschaftliche Fragestellungen, zum Beispiel mit Hinblick auf das kollektive Gedächtnis von spezifischen transnationalen und transkulturellen Gruppen?

Kurzbiografie: Yvonne Völkl studierte Französische Philologie in Graz, Paris und Montreal. In ihrer Dissertation befasste sie sich mit jüdischen Erinnerungsdiskursen in der frankophonen Migrationsliteratur Quebecs (Peter Lang, 2013). In ihrer Habilitation untersuchte sie die geschlechtsspezifische Wissens- und Welterzeugung in den französisch- und spanischsprachigen Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts (transcript, 2022). Derzeit leitet Yvonne Völkl das Forschungsprojekt Corona Fictions. On Viral Narratives in Times of Pandemics (FWF, P 34571-G), das sich mit kulturellen Produktionen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie beschäftigt: www.tugraz.at/projekte/cofi. E-Mail-Anschrift: yvonne.voelkl@tugraz.at ORCID: https://orcid.org/0000-0001-8625-3663

Panel 40: Manifestations of the ›Popular‹ in Korean culture

Freitag, 29. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

Organisation

 

Haneul Lee (Oxford)

Sool Park (Hildesheim)

Dongkyu Yeom (Michigan, USA)

 

Vorträge

 

German Culture in Korean Popular Culture
Haneul Lee (Oxford)

South Korea has been called “a cultural giant” and a “silent cultural superpower” (2016, BBC) in the last decade. The BBC raises a question: “how the South Korean culture machine conquered the world” (2023). Considering the degree to which the west has long predominated global pop culture, it is all the more historically remarkable the international recognition Korean mass culture has received. The current thriving South Korean cultural industry cannot be divorced from the country’s history of intensive reception of western culture from the early twentieth century onwards. From science, politics, education to literature, philosophy, and art, almost everything possible was eagerly received, adapted, and transformed. A few western countries, including Germany, were viewed as a role model for the modern development of the country − This year is the 140th year of the diplomatic relationship between Germany and Korea. While the reception of Korean Culture in Germany is relatively a new phenomenon, the history of the reception of German culture in South Korea stretches back much earlier. The works of Goethe and Nietzsche were first introduced to Korea in the early 1900s.

Along with the rapid economic growth from the 1960s to the early 1990s, the mass culture in the country has boomed. From the 1970s onwards, German Culture has come onto the popular cultural scene in South Korea: The play “Red Peter’s Confession” (1977-1985), which was an adaptation of Kafka’s short story “Ein Bericht für eine Academie” (“A Report to an Academy”) (1917), recorded the first surplus in sales in the history of Korean modern theatre. In 2005, Michael Ende’s novel Momo was referred to in the TV-series “My lovely Sam Soon”, which was viewed by half the population of the country, in turn making this novel a bestseller. Later cases are also abundant: in the music video of BTS, the most widely known Korean boy band in the world, Demian by Hermann Hesse is referred to, leading their international fanbase read this book. Furthermore, the popular Korean TV-series “Sky Castle” (2018) used the song “Der Erlkönig” composed by Schubert and written by Goethe repeatedly for featuring an evil character, which lead many viewers to search the meaning of the lyrics.

With this background, my presentation will address when, which and how those areas of German culture were adapted to Korean popular culture from the 1970s to the present, by analyzing historical, political, social, and cultural contexts of South Korea. This also aims to seek the critical potential in Korean pop culture based on Walter Benjamin’s thesis that the critical attitude and entertaining element are not mutually exclusive but can go together. Through the lens of Benjamin, the most cited foreign theorist in the academia of Korean literature over the last fifteen years, both the blindspots and the critical potential of Korean reception of German culture will be dealt with.

Kurzbiografie: Haneul Lee studied Politics as well as German and Korean Literature as an undergrad at Yonsei University in Seoul, where she also earned an MSt in German Literature. Her PhD work, funded by a Korean government scholarship and an Ursula Lachnit-Fixson scholarship, was completed at Leuphana University of Lüneburg (Germany) in 2022. It investigates images in Walter Benjamin’s reading of Kafka by focusing on the connection between literary and visual images in Benjamin’s texts, including both images of Kafkaesque figures and paintings, photos, and films. Her Dissertation “Die Bildwelt in Walter Benjamins Kafka-Lektüre” (The Imageworld in Walter Benjamin’s Kafka-Reading) will be published in 2023 by Fink Verlag. Her research interests are in modern German literature with a focus on the Modernist period, the literature of exile, comparative literature, cultural theory, aesthetics, and visual culture. From September 2022 she researches at Oxford University as Academic Visitor, preparing a project about Kafka’s Influence on Korean Literature for the Kafka Global 2024.

 

Know thyself, know thy destiny: The weird symbiosis of “philosophy“ and divination in modern Korean pop culture
Sool Park (Hildesheim)

The existence of “philosophy centers” (철학관/哲學館) is puzzling for most foreigners visiting Korean cities. Such institutions are typically located in older parts of cities, their marginalized location stands in contrast to the privileged status of the word “philosophy”. Unlike its naming, the service provided by a “philosophy center” has no relation to Western concept of philosophy; rather, it offers divinatory and mantic life advices using traditional systems such as “four pillars of destiny” (사주/四柱) and other cultural techniques. How is it possible, that this traditional culture could survive as a pop-cultural/subcultural phenomenon – under the disguise of the term “philosophy”? A study of the historical circumstances in East Asia at the verge of 20th century reveals the hidden symbiosis of traditional and modern concepts of destiny and philosophy in Korean popular culture – at the same time, the deep rupture between them – comes to light. Divination technique played a crucial role in East Asia, ever since its beginning in the ancient time. For a long time, it was an “official science” based upon advanced disciplines such as Confucianism, astrology, and mathematics, closely related to central domains of politics and philosophy. However, the situation in Korea changed drastically with the rapid modernization/globalization. Colonization by Japan meant destruction of the cultural elite; the introduction of Western science and philosophy marginalized traditional divination technique and theory for being outdated and superstitious. For concrete analysis, I will try to illuminate the process of translation and assimilation of “Western” and “Eastern” concepts of practical philosophy. First, by tracing the term “philosophy center” back to a quasi-religious psychotherapy institution in Japan in the 1920s, the word history will be covered. Second, in order to examine the extent of syncretism of Western and Eastern understanding of practical philosophy, we will investigate Richard Wilhelm’s first Kant translation into literary Chinese (1914) and Jeon Byeong-hun’s Jeongshin Cheolhak Tongpyeon [Unification of Mind and Philosophy] (1920).

Kurzbiografie: Sool Park obtained a PhD in philosophy at the University of Hildesheim. In his dissertation, he analyzed the specific, non-sensical textuality of philosophical texts as “limit language (Grenzsprache)” to theorize the problem of translation in case of philosophy. In further publications, he studied the constitution of histories of philosophy in Korea in pre-modern and modern context. Dr. Park is translator of Wittgenstein, Nietzsche, Novalis and Hölderlin into Korean, he also translated Buddhist and poetic texts from Korean into German. Currently, he is researcher at University of Hildesheim and lecturer at University of Munich (LMU).

 

How has the South Korean 1980s been depicted?: The Strange Vanishing of Leftist Fervor of the 1980s in South Korean Popular Culture
Dongkyu Yeom (Michigan, USA)

In this paper, I am going to deal with how South Korean 1980s, the period commonly referred to as the era of democratization movement, or Minjung movement has been depicted in the popular culture. To do so, I will engage with South Korean dramas and films set in the 1980s: 5th Republic (2005, dir. Im Tae-woo and Kim Sang-rae), May 18 (2007, dir. Kim Ji-hoon), Giant (2010), National Security (2012, dir. Chung Ji Young), Reply 1988 (2015, dir. Shin Won-ho)—but not limited to these. By analyzing these cultural products, I will show the narrative South Koreans tell about the 1980s to themselves, what goes missing in this narrative, and its implications. Namely, what does it mean when the South Korean 1980s is understood as the era of democratization in which different groups of the society led by the leftists widely construed, ranging from student activists, religious intellectuals, writers to oppositional politicians fought against the military dictatorship which had seized its power by coup d’état?

To put it in advance, while the popular culture of South Korea tends to depict the era in the context of the theory of maximal association (최대연합주의; Ch’oedaeyŏnhapchuŭi ), which pleaded with the wide variety of marginalized social groups to be in solidarity in the name of national-citizen (국민; kungmin), regardless of their differences in agendas, for the ‘common’ cause of dragging down the military dictatorship and its alliances, it simultaneously wipes out the differences that proliferated in the era. It must sound truism as it almost seems inevitable when establishing the wide front of solidarity for the common goals, but the curious thing about South Korean 1980s is the deep connection it had with Marxism. Because, even though the knowledge system in South Korean 1980s centers around questions raised by Marxisms, which never remained in the ivory tower of theoreticians, it has vanished conspicuously from the intellectual-cultural scene, especially after the 1990s with the collapse of the Soviet Union undermining the sense of legitimacy Marxism had had. While this goes hand in hand with the global trend of diminishing hegemony of Marxism and the rise of neo-liberalism, South Korean part of this story can offer a more complex view of it, as it is intertwined also with the reality of still-divided nation and anti-communist cultures permeated through it.

Kurzbiografie: Dongkyu Yeom received his bachelor’s and master’s degree of Korean language and literature at Korea University. He has been working as a literature critic and a book reviewer for literary theory and political philosophy since 2015. Currently, he is pursuing a PhD in the Department of Asian Languages and Cultures at University of Michigan, Ann Arbor. His research interest is the intellectual history from 1980s to contemporary Korea in light of its connection with what Vijay Prashad calls the Third World Project and global trends of economic thought including Keynesianism, neoliberalism, and Marxism.

Panel 41: Cancioneros, Hojas volantes und Literatura de Cordel: Manifestationen des Populären in Lateinamerika um 1900

Freitag, 29. September 2023, 11:30–13:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Raum 2.18

 

Bereits im 16. Jahrhundert reisten populäre Drucke im Gepäck von Siedlern und Eroberern von der Iberischen Halbinsel nach Lateinamerika. Die Gewohnheit, aus Europa stammende Geschichten weiterzuerzählen, sie mit lokalen Elemente zu mischen und konkreten Situationen anzupassen, wurde bis in die Zeit der Unabhängigkeit der einzelnen Staaten im 19. Jahrhundert beibehalten und weiterentwickelt.

Die populären Drucke erfüllten unterschiedliche Funktionen. Zum einen sorgten sie dafür, dass traditionelle Geschichten, die teilweise bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden können, weiter tradiert wurden. Diese Narrative wurden in gereimten Formen abgefasst und waren für die Rezitation vor Zuhörern bestimmt. Die Illustrationen, lange Zeit Holzschnitte, gaben auch der großen Zahl der nicht alphabetisierten Menschen einen Eindruck davon, worum es sich inhaltlich handelte.

Zum anderen verbreiteten die populären Drucke in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas die neusten Nachrichten. Die großformatigen Einblattdrucke oder auch die aus wenigen Seiten bestehenden Hefte griffen das Neue, das Schockierende und das Unerklärliche auf und verbreiteten es – ebenfalls in gereimter Form und mit Illustrationen versehen – unter der staunenden Zuhörerschaft. Die Quellen hierfür waren sehr häufig die Zeitungen.

Die populären Drucke wurden in großer Auflage auf billigem Papier angefertigt und zu günstigen Preisen verkauft. Die Formate, in denen sie erschienen, waren in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Um 1900 erreichte die Produktion einen gewissen Höhepunkt. Aufgrund der weiter fortschreitenden Alphabetisierung sowie der Einführung neuer Massenmedien, wie dem Radio, die fortan als Informationsquellen dienten, verringerte sich das Interesse der Leser- und Zuhörerschaft in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erheblich.

Es ist Anliegen dieses Panels, die Produktion, Distribution und Rezeption dieser Manifestationen des Populären in ausgewählten Ländern Lateinamerikas zu analysieren und zu vergleichen. Das Panel findet in englischer Sprache statt. Für das Panel sind vier Vorträge geplant:

 

Organisation

 

Mariana Masera (Morelia, Mexiko)

Ricarda Musser (Berlin)

 

Vorträge

 

Eine ganz kurze Geschichte der brasilianischen Literatura de Cordel von den Anfängen bis ins digitale Zeitalter, oder: was sich ändert, bleibt
Ricarda Musser (Berlin)

Bereits im 17. Jahrhundert kamen zahlreiche Exemplare populärer Literatur aus Europa nach Brasilen. Ab 1808 durfte in Brasilien selbst gedruckt werden, und die Geschichten bezogen zunehmend außer den europäischen nun auch regionale, sowie indigene und afrikanische Elemente ein. Insbesondere im Nordosten des Landes, in dem lange Zeit kaum andere Medien zur Verfügung standen, war die Literatura de Cordel, die jedwede relevante Thematik aufnahm, eine wichtige Komponente des sozialen Lebens. Um 1900 erreichte die Literatura de Cordel einen gewissen Höhepunkt und zahlreiche Werkstätten verlegten die kleinformatigen Hefte mit ihren gereimten Inhalten. Ab 1907 kamen zu den Texten Illustrationen hinzu. Zunächst handelte es sich vor allem um Holzschnitte, später wurde es auch üblich, Fotografien zu verwenden. Im Zuge binnenmigratorischer Prozesse eroberte sich die Literatura de Cordel weitere Produktions- und Distributionsorte, vor allem in den urbanen Zentren wie São Paulo und Rio de Janeiro. Obwohl ab der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund der Verfügbarkeit anderer Kommunikationsmittel vom Niedergang der Literatura de Cordel gesprochen wurde, wird sie bis heute in großer Anzahl produziert. Inzwischen hat sie den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft und zahlreiche Texte erscheinen ausschließlich online. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Produktions-, Text- und Illustrationsgeschichte der brasilianischen Literatura de Cordel.

Kurzbiografie: Dr. Ricarda Musser ist Romanistin. Nach ihrem Studium der Bibliothekswissenschaft, Lusitanistik und Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte sie an derselben Universität in Romanistischer Kulturwissenschaft. Sie ist Mitarbeiterin des Ibero-Amerikanischen Instituts, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dort ist sie Fachreferentin für Portugal, Brasilien, Chile und Mexiko und Leiterin des Medienreferats der Bibliothek des IAI. Sie hat Forschungsprojekte zur Digitalisierung, zu Kulturzeitschriften sowie zur iberoamerikanischen Populärkultur koordiniert. Sie kuratierte mehrere Ausstellungen zur Populärkultur in Spanien und Lateinamerika. Ihre aktuellen Forschungsinteressen sind die spanische Populärliteratur, die deutsche Auswanderung nach Lateinamerika und Reiseliteratur. Sie ist Autorin des Artikels „The José Guadalupe Posada Collection at the Ibero-American Institute“ (The Oxford Research Encyclopedia of Latin American History 2018) sowie (gemeinsam mit Christoph Müller) Herausgeberin des Bandes De la pluma al internet: literaturas populares latinoamericanas en movimiento (siglos XIX-XXI). Medellín: EAFIT, 2018. Zur brasilianischen Literatura de Cordel hat sie bereits mehrere Artikel veröffentlicht, darunter La literatura oral y la política actual: el presidente Trump en la Literatura de Cordel brasileña (2019) und Calaveras en movimiento: los motivos del grabador mexicano José Guadalupe Posada en la Literatura de Cordel brasileña (2018). Kontakt: musser@iai.spk-berlin.de

 

Verse, Lieder und Drucke für jeden Geschmack: Eine populäre Vision des modernen Lebens in Chile um 1900
Tomás Cornejo (Santiago de Chile)

Die chilenische Literatura de Cordel trägt den Gattungsnamen „Lira Popular“. Sie hatte ihre Blütezeit in den letzten drei Jahrzehnten des 19. und den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Als etwas verspätete Manifestation einer Kulturproduktion, die in Europa eine lange Tradition hatte und auch in anderen Teilen Lateinamerikas zu finden ist, wurden in Chile Elemente dieser Tradition mit anderen Phänomenen verschmolzen, die im Zusammenhang mit der raschen Modernisierung des Landes standen.

Während sich einige der Themen in den Einblattdrucken, auf denen die populären Kreationen erschienen, auf spätmittelalterliche iberische Themen beziehen, die mündlich überliefert wurden, beschrieben andere Texte die politische und soziale Gegenwart. Die bevorzugte Textstruktur der Lira Popular waren zehnzeilige Strophen, in denen Informationen aus der periodischen Presse eine neue Bedeutung gegeben wurde, was einer ganz anderen Textlogik entsprach.

In diesem Vortrag werden die Spannungen analysiert, die sich aus der Koexistenz so unterschiedlicher Bedeutungsquellen in ein und demselben Objekt ergeben, sowie die im Zeitalter der beginnenden Massenkultur durch die Drucker verwendeten Bilder und grafischen Designs.

Hierbei werden auch Besonderheiten der chilenischen Populärkultur berücksichtigt, wie z. B. der Vorrang der Dichter gegenüber den Verlegern, die Diversifizierung des Angebots an Druckerzeugnissen für die Arbeiterklasse und ihre Verbreitungsstrategien.

Kurzbiografie: Dr. Tomás Cornejo hat einen BA in Geschichte von der Universidad Católica de Chile, sowie einen MA in Geschichte von der an der Universidad de Santiago de Chile. Er promovierte in Geschichte am El Colegio de México. Er ist Mitarbeiter des Departamento de Historia y Geografía der Universidad Metropolitana de Ciencias de la Educación (UMCE) und er forscht am Núcleo Procesos sociales, manifestaciones culturales y educación del Centro de Investigación en Educación (CIE-UMCE) an derselben Universität. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Populärkultur in Lateinamerika, die Rolle von Bildern in der sozialen Kommunikation und die Beziehung zwischen Film und Geschichte. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: Manuela Orellana, la criminal: género, cultura y sociedad en el Chile del siglo XVIII (Santiago: 2006), Por historia y travesura. La Lira Popular del poeta Juan Bautista Peralta (Santiago: 2006) (gemeinsam mit Micaela Navarrete), Ciudad de voces impresas: historia cultural de Santiago de Chile, 1880-1910 (Ciudad de México: 2019), Cancioneros populares de Chile a Berlín, 1880-1920 (Santiago: 2020) (gemeinsam mit Ana Ledezma). Kontakt: tomas.cornejo@umce.cl

 

Mexikanische cancioneros, Lieder und Tänze aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ein Beispiel für die gedruckte Populärkultur zwischen den Grenzen
Mariana Masera (Morelia, Mexico)

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es in Mexiko einen Boom bei der Produktion von populären Druckerzeugnissen wie Einblattdrucken, Broschüren und Heften in verschiedenen Werkstätten und Druckereien, die Lieder und Tänze als Teil eines internationalen kulturellen Phänomens weit verbreiteten. Dem Verleger Antonio Vanegas Arroyo gelang es zusammen mit bedeutenden Künstlern wie José Guadalupe Posada und einer Gruppe von Schriftstellern, der Öffentlichkeit während des Porfiriats (1876-1910) und der Mexikanischen Revolution eine Vielzahl von Liedern und Tänzen in Wort und Bild anzubieten, die Teil der Identität der politischen Bewegungen wurden. In diesem Vortrag wird die Bedeutung der populären cancioneros als Verbreitungsmedien der Musikkultur nicht nur in Mexiko, sondern auch über die Grenze zu den Vereinigten Staaten hinaus untersucht.

Kurzbiografie: Prof. Dr. Mariana Masera Cerutti (PhD) promovierte in Literatur an der University of London at Queen Mary and Westfield College mit der Arbeit Symbolism and Some Other Aspects of Traditional Hispanic Lyrics: A Comparative Study of Late Medieval Lyric and Modern Popular Song. Seit 1996 forscht sie am Centro de Poética des Instituto de Investigaciones Filológicas der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) und unterrichtet an der Facultad de Filosofía y Letras sowie an der Escuela Nacional de Estudios Superiores, Campus Morelia der UNAM. Seit 1996 ist sie Koordinatorin der Lyra Minima Association und organisierte den Margit Frenk Award (2013, 2016, 2019, 2022). Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Inflexiones. Revista de Humanidades y Ciencias Sociales. Sie leitet das Laboratorio de Culturas e Impresos Populares Iberoamericanos, eines Webarchivs für populäre Drucke aus dem XIX. bis XX. Sie initiierte und leitete mehrere Drittmittelprojekte mit nationaler und internationaler Finanzierung. Sie hat mehr als 15 Bücher veröffentlicht, darunter Notable suceso: ensayo sobre impresos populares. El caso de la imprenta Vanegas Arroyo (2017); Colección Chávez Cedeño. Antonio Vanegas Arroyo: Un editor extraordinario (2017); Representaciones de la voz en los impresos populares de Vanegas Arroyo (2018), sowie zahlreiche Artikel in nationalen und internationalen Publikationen. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der weiblichen Stimme in der mittelalterlichen und zeitgenössischen traditionellen Lyrik, der populären Druckkultur und der Oral Literature. Kontakt: marianamasera@yahoo.com.mx

 

El Cancionero de Lima – Berichterstatter des sozialen Lebens in Peru
Daniel Cuesta Ágredo (Berlin)

Im frühen neunzehnten Jahrhundert gab es überall in Lateinamerika periodisch erscheinende Publikationen, in denen die Texte traditioneller Lieder eines Landes oder einer Region kompiliert wurden, sowie Lieder aus dem Ausland, die in Mode oder von besonderem Interesse waren. Diese cancioneros richteten sich an das Volk. Sie hatten einen erschwinglichen Preis und waren für den aktuellen Konsum gedacht. Damit waren sie im urbanen Radius ein allgegenwärtiges Kulturgut – so leicht zu erreichen wie Zeitungen und fast ebenso günstig.

Im Zentrum dieses Vortrags steht El Cancionero de Lima, der mindestens zwischen 1894 und dem Ende der dreißiger Jahre des darauffolgenden Jahrhunderts erschien. El Cancionero de Lima war Zeuge der wichtigsten Ereignisse in der Stadt und verankerte diese im kulturellen Gedächtnis der peruanischen Hauptstadt. Dadurch wurde der Cancionero zu einem Objekt, das Schnittmengen mit der Tagespresse und Meinungszeitschriften hatte. Visuelle Elemente wie Fotos oder andere Illustrationen ergänzten im Cancionero de Lima nicht nur die dokumentarische Funktion, sondern sorgten auch für Dynamik im redaktionellen Prozess.

Kurzbiografie: Daniel Cuesta Ágredo hat einen BA in Literatur von der Universidad del Valle, Cali, Kolumbien und einen MA in Lateinamerikastudien von der Freien Universität Berlin. Seit 2021 arbeitet er als wissenschaftliche Hilfskraft am Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin im Fachinformationsdienst Lateinamerika, Karibik und Latino Studies. Er war Co-Kurator einer Ausstellung zum spanischen Populärroman (2022). Seine Forschungsinteressen sind Populärliteratur und ihre transmedialen Dynamiken. Er ist Mitherausgeber des Buchs Héroes con máscara zu maskierten Helden in der spanischen Populärliteratur, das 2023 erscheint. Kontakt: CuestaAgredo@iai.spk-berlin.de

Panel 42: Pop.de – Popkulturelle Phänomene und mediale Aushandlungsprozesse

Samstag, 30. September 2023, 9:00 – 11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

Organisation

 

Simone Jung (Lüneburg)

Jens F. Heiderich (Mainz)

Jan Sinning (Kassel)

 

Vorträge

 

Zwischen Hoch- und Populärkultur. Transformations- und Aushandlungsprozesse im deutschen Feuilleton
Simone Jung (Lüneburg)

»Keine Auseinandersetzung um Kunst, bei der es nicht auch um die Durchsetzung eines Lebensstiles ginge, will heißen die Umwandlung einer willkürlichen Lebensform in eine legitime, die jede andere Form in die Sphäre der Willkürlichkeit verbannte.« (Bourdieu 1987: 106f.) In Deutschland übernimmt das Feuilleton als Kulturteil der Tages- und Wochenpresse seit der Moderne die Rolle der Popularisierung und Vermittlung von Wissensbeständen aus Kunst und Wissenschaft. Im Zuge der Massendemokratisierung und der gesamtgesellschaftlichen Expansion des Ästhetischen (Reckwitz 2012) erfährt das Feuilleton eine kulturelle Entgrenzung, die es in der Spätmoderne zu einem Spielraum der Heterogenität der Kulturen werden lässt. Neben bürgerlichen Hochkulturen erhalten zunehmend auch massenmediale Unterhaltungskulturen und popkulturelle Artefakte Eingang in das Feuilleton. Auf diese Weise überlagern sich in den großen deutschsprachigen Feuilletons unterschiedliche Denk- und Lebensräume, Lebensstile und Sinnhorizonte. Nach Günter Grass, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger und Jürgen Habermas etablieren sich neue Sprecher:innen wie Navid Kermani, Slavoj Žižek und Carolin Emcke. Der ›Pop-Theoretiker‹ Diedrich Diederichsen schreibt heute in der Süddeutschen Zeitung über Popmusik und Film; Dietmar Dath schreibt über Heavy Metal, Marx und Science Fiction in der Frankfurter Zeitung. Tatort, US-amerikanische Serien auf Netflix, Realityshows wie Dschungel-Camp oder Germany’s Next Topmodel sind genauso Thema wie popkulturelle Hybride, Lady Gaga und Beyoncé ebenso wie Bob Dylan oder David Bowie. Klassische Inszenierungen stehen neben postdramatischen Theaterstücken von René Pollesch, Frank Castorf und Christoph Schlingensief.

Vor diesem Hintergrund möchte ich in meinem Vortrag den Auseinandersetzungen und kulturellen Transformationsprozessen im Zeitungsfeuilleton beginnend mit der Weimarer Republik über die Nachkriegszeit bis hin zur Spätmoderne anhand von empirischen Beispielen und verschiedener Feuilletondebatten nachspüren und einen Ausblick auf die Verhältnisse in der Gegenwart geben. In dieser Perspektive wird das Feuilleton als ein Ort der Debatte verstanden, »an dem Machtverhältnisse verhandelt werden, an dem um die Definition und Redefinition von Unterordnung und Unterdrückung gekämpft wird, an dem soziale Ausschlüsse produziert und legitimiert werden, an dem aber auch sozialer Einschluss reklamiert werden kann« (Marchart 2008: 252). Für die Transformationsprozesse und ihre Darstellung im Feuilleton stellt sich dann die Frage, welche Identitätsdiskurse mit welchen Forderungen in Beziehung gesetzt und mit welchen Semantiken belegt werden. Wie werden die kulturellen Konflikte im klassischen Zeitungsfeuilleton verhandelt, das sich selbst als bürgerliches Medium der kulturellen Selbstverständigung begreift und traditionell ein elitärer Ort ist, an dem mit entschieden wird, was Kunst und was Nicht-Kunst ist? Werden kulturelle Phänomene erst durch eine Einbettung »in die langen Kontinuitäten, Diskontinuitäten und Intertextualitäten der Geschichte« erfasst, in denen »die Zeitpunkte und Kontexte der Entstehung des scheinbar Universalen und Alternativlosen deutlich werden« (Reckwitz 2010: 181), stellt sich historisch perspektiviert nicht zuletzt die Frage: Welche Konfliktlinien und kulturellen Differenzen können in den Kulturkonflikten beobachtet werden, die wiederum grundlegend für das 21. Jahrhundert sind?

Kurzbiografie: Dr. Simone Jung ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät Kulturwissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg. Schwerpunkte: politische Theorie und Öffentlichkeit, Kulturen der Kritik und Kulturtechnik des Schreibens sowie Populär- und Popkulturforschung. Ausgewählte Publikationen: Entgrenzte Öffentlichkeit. Debattenkulturen im politischen und medialen Wandel. Bielefeld: transcript (hg. mit Victor Kempf, i. E.), Debattenkulturen im Wandel. Zum Politischen im Feuilleton der Gegenwart. Bielefeld: transcript 2021, Von ›Eventschuppen‹ und anderen Dingen. Wahrnehmung als soziale Praxis in kritisch-reziptiven Medienkulturen, in: Schürkmann, Christiane, Zahner, Nina Tessa (Hg.): Wahrnehmen als soziale Praxis. Künste und Sinne im Zusammenspiel. Wiesbaden: Springer 2021, Kritische Öffentlichkeiten? Formen der Skandalisierung in der Kulturpublizistik am Beispiel der Band Feine Sahne Fischfilet, in: Berliner Debatte Initial 2/2020, S. 96–108.

 

Die Figur des Zombies zwischen Popkultur, haitianischen Wurzeln und Arbeit: Jörg Menke-Peitzmeyers ›The Working Dead. Ein hartes Stück Arbeit‹ (2015)
Jens F. Heiderich (Mainz)

Zombies haben in der Populärkultur und nicht zuletzt bei Jugendlichen seit geraumer Zeit Konjunktur. Sie bevölkern etwa Kinoleinwände, die Bildschirme von Pay- und Free-TV-Sendern, Videospiele und Comics. Selten jedoch haben sie den Weg auf Theaterbühnen gefunden. The Working Dead – Ein hartes Stück Arbeit (UA 2015) von Jörg Menke-Peitzmeyer in der Inszenierung von Jörg Steinberg, ausgezeichnet mit dem IKARUS 2015 des Landes Berlin und mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis 2016, stellt eine beachtenswerte Ausnahme dar. Der geplante Beitrag wird in einer diskursanalytischen und wissenspoetologischen Perspektive unter besonderer Berücksichtigung von Intertextualität die Codierungen und Überschreibungen der polyvalenten und wandlungsfähigen Metapher des Zombies in dem Theatertext erhellen. Als Ausdruck und Teil einer narrativen Praxis, oszillierend zwischen populärkulturellen Prägungen und haitianischen Wurzeln, verdichten sich – so die These – auf unterschiedlichen, z. T. widerstreitenden Ebenen ökonomische Krisensituationen, insbesondere hinsichtlich der Themen Arbeit und Arbeiten, die in dem Theatertext als vielschichtig und für Jugendliche höchst relevant profiliert werden.

Kurzbiografie: Jens F. Heiderich studierte in Trier, Lille und Lyon Germanistik, Französisch, Deutsch als Fremdsprache, Erziehungswissenschaften und ferner Philosophie. Er ist Lehrer für Deutsch, Französisch und Ethik am Frauenlob-Gymnasium in Mainz sowie Studiendirektor in der Funktion des Regionalen Fachberaters für Deutsch im Bereich Rheinhessen. Gegenwärtig promoviert er an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zu dem Thema „Literarische Ökonomik im Drama und Theater der Gegenwart. Fachdidaktische, literatur- und theaterwissenschaftliche Perspektiven“. Viele Jahre lehrte er an den Universitäten Trier und Mainz Literatur- und Mediendidaktik des Deutschen. Neben seiner Mitherausgeberschaft der „Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik“ sowie der Schriftenreihe „Französischdidaktik im Dialog“ ist Jens Heiderich Autor von Lehrerhandreichungen und fachdidaktischen Aufsätzen – u. a. zu den Schwerpunkten Dramen- und Theaterdidaktik, literarische Ökonomik sowie Gegenwartsdramatik. Geehrt wurde Jens Heiderich mit dem „Deutschen Lehrerpreis – Unterricht innovativ“ in der Kategorie „Schüler zeichnen Lehrer aus“. Weitere Informationen unter: https://jensheiderich.de.

 

›Der Tod des James Dean‹ (1959) von Alfred Andersch: Hörkollage, Feature und Proto-Pophörspiel zwischen Jazz und Jugendkultur, Oberflächenästhetik und Medienreflexion
Jan Sinning (Kassel)

Seit den Zweitausenderjahren wurde das Pophörspiel vermehrt zum Gegenstand in der Hörspielwissenschaft, indem frühere Überlegungen von Herbert Kapfer zur Phänomenologie des Pop im Hörspiel aufgegriffen wurden, um sowohl aus (pop)musiktheoretischer, hörspieltheoretischer und poptheoretischer Perspektive als auch in Abgrenzung zum Neuen Hörspiel das Pophörspiel als eigenständiges Hörspielgenre zu beschreiben, zu definieren und zu analysieren. Von dieser Grundlage ausgehend, soll Martin Maurachs Beobachtung, das 1959 vom SWF urgesendete Hörspiel Der Tod des James Dean von Alfred Andersch zeige mit dem „Jugendprotest“ der Beat-Generation ein „frühes Pop-Phänomen“, in diesem Vortragsvorschlag-weiter zugespitzt werden.

Alfred Andersch, der „Virtuose“ des Radio-Features, dessen Radioarbeiten in den 1950er Jahren „zu den elegantesten und gleichzeitig herausforderndsten der Gattung [Feature] gehören“ (Heinz Schwitzke), verarbeitet in seiner Hörspiel-Kollage Der Tod des James Dean nicht nur seine früheren Überlegungen zum Feature als „Form, also Kunst“, dessen „Mittel unbegrenzt“ sind, sondern schafft, durch die „Zwischenstellung des Stücks“, in dem er u.a. literarische Texte, wie die Beschreibung vom Tod des Schauspielers James Dean von John Dos Passos, und Gedichte, wie Howl von Allen Ginsberg und journalistische Texte, wie ein Bericht eines Weltmeisterschaftsboxkampfs, miteinander kombiniert, auch einen Prototyp des späteren Pophörspiels.

Begleitet Miles Davis‘ Modal Jazz-Soundtrack zum Kriminalfilm Ascenseur pour l’échafaud (1958), ein frühes Beispiel für die Kollaboration von Popmusik und Hörspiel, reflektiert das Hörspiel den Starkult der „finsteren Jugend Amerikas“ um den tragisch verunglückten Schauspieler James Dean, was die poptypische „Oberflächenästhetik“ aufgreift: Die „‚Umwertung‘ dessen, was früher als ästhetisch minderwertig oder belanglos angesehen wurde“. Die Kollagenform des Hörspiels kann außerdem auch als frühes Beispiel der für das Pophörspiel typischen „postmodernen Mehrfachadressierung“, bestehend aus „Medienkonvergenz und Hybridität“ angesehen werden – oder, wenn man so will: eine Frühform des Remixes.

Kurzbiografie: Jan Sinning ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Germanistik an der Universität Kassel und Geschäftsführer der dort ansässigen Georg-Forster-Gesellschaft. Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel: „Das Böse im Hörspiel“ bei Prof. Dr. Stefan Greif. Forschungsschwerpunkte: Hörmedien, Kinder- und Jugendliteratur, Popliteratur sowie Trans- und Intermediales Erzählen. Veröffentlichungen u.a.: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteraturforschung: Rezensionen auf Kinderundjugendmedien.de. Beiträge zur Hörspielforschung: „Science-Fiction in Kunstkopfstereofonie“. In: Greif/Lehnert (Hg.): Pophörspiele. text + kritik: München 2020 u. „Geräuscherleben und Erinnerung“. In: Lehnert/Wicke/Schenker (Hg.): Gehörte Geschichten. Phänomene des Auditiven. de Gruyter: Berlin 2022. Beiträge zur Popliteratur: „Digitale Adoleszenz in Lukas Jüligers Graphic Novels“. In: Catani/Kleinschmidt (Hg.): Popliteratur 3.0? Soziale Medien und Gegenwartsliteratur. de Gruyter: Berlin [eingereicht].

Panel 43–44: Studierendensektion der KW

Panel 43: TikTok – cringe or crucial? Eine interaktive Annäherung an ein populäres soziales Medium

Donnerstag, 28. September 2023, 16:30–18:30 Uhr
Gebäude B 3.1, Hörsaal 3 (0.12)

 

TikTok ist eines der neuesten und gleichzeitig populärsten sozialen Medien im Jahr 2023. Mächtige Algorithmen kreieren schnelllebige Trends, die besonders junge Nutzer*innen in ihren Bann ziehen. Dabei werden Aspekte von Gender, Race, Class, (Dis)ability und Selbst(re)präsentation verhandelt. Doch welches Potenzial hat das Medium? Welche Diskurse und Prozesse kann TikTok beeinflussen? In unserem Workshop laden wir zu einer praktischen Annäherung und kollektiven Auseinandersetzung mit dem Medium ein. Nach einer kritisch-induktiven Einführung in TikTok und dessen Tools (Sound, Schnitt, Arrangements) können die Teilnehmenden selbst angeleitet die Technologie ausprobieren. Insbesondere nicht-europäische/-amerikanische Forschungsperspektiven sollen dabei berücksichtigt werden.

 

Wir begreifen das Panel als erforschenden Prozess und arbeiten mit Selbsterfahrungen und Ansätzen des künstlerischen Forschens. Wir wollen uns ästhetisch an Tik‘Tok und die dafür notwendige visual and auditory literacy annähern und das Medium ganzheitlich als Phänomen einer Populären Kultur und Gegenstand der Kulturwissenschaften in den Blick nehmen.

Wir laden alle Interessierten mit und ohne Erfahrungen mit TikTok zur Teilnahme ein und betrachten den Workshop als ergebnisoffen.

 

Zielgruppe: alle Interessierten, kein TikTok-Vorwissen erforderlich

Dauer: 120 Minuten

 

Organisation

 

Studierendensektion der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft

Panel 44: Vernetzungstreffen der Studierendensektion der KWG

Freitag, 29. September 2023, 9:00–11:00 Uhr
Gebäude B 3.1, HS3

 

Vernetzungstreffen für Studierende ohne vorherige Anmeldung.

 

Organisation

 

Studierendensektion der KWG