AD-HOC-Gruppe: Intertraditionale Wissenskonstitution
Konzeptpapier
Mit dem Ausdruck ›Tradition‹ beziehen wir uns auf einen Ausdruck von Paul Feyerabend (1981, S. 39ff, 1991, S. 55ff.). Eine Tradition ist nach Feyerabend eine Gemeinschaft, die sich durch bestimmte Maßstäbe zur Beurteilung von Wissen und Nichtwissen bzw. von relevantem und irrelevantem Wissen sowie von richtigen Methoden, wie man zu Wissen kommt, auszeichnet. Wissenschaft ist für Feyerabend auch nur eine Tradition unter anderen, jede Tradition kann etwas zum Wissen beitragen. Dabei bezieht er insbesondere ›abgelegte‹ Klassiker der Antike ebenso ein wie nichtwissenschaftliche Traditionen: »Kein Gedanke ist so alt oder absurd, dass er nicht unser Wissen verbessern könnte« (Feyerabend 1991, S. 55). Dieser Gedanke ist vom Ethnologen Hans Peter Duerr aufgegriffen und ausgearbeitet worden. Sein Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er verschiedenste Wissenstraditionen nicht einfach untersucht, sondern sie in seinen Schriften in den Dialog mit dem Kanon der Wissenschaft bringt (vgl. Duerr 1985a, 1985b). Jede Wissenstradition kann, auch wenn sie nicht aus einem wissenschaftlichen Kontext stammt, dazu beitragen, unsere Perspektive auf unsere Forschungsobjekte zu erweitern und uns damit Möglichkeiten für neue Erkenntnisse eröffnen.
Kontakt
Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert (Universität Koblenz)
An diese Überlegungen schließt u.a. eine Konzeption an, die die verschiedenen Wissenstraditionen in einem gemeinsamen Wissensraum wahrnimmt (vgl. dazu auch Foucault 1991). Eine solche integrative Perspektive unterscheidet nicht die Wissenschaft und das Andere, wobei andere Wissenstraditionen an die Ränder verwiesen werden, vielmehr werden andere Positionen darin als das Andere des Anderen begriffen. Von daher wird eine dezentrierte Konzeption von heterogenen Wissensräumen möglich, wie sie im Rahmen der Ad-hoc-Gruppenarbeit weiter zu entwickeln wäre. Darüber hinaus stellt sich hier u.a. die Frage nach einer responsiven Forschungslogik, die über ein Sich-affizieren-lassen vom Anderen Ansätze dazu entwickelt, wie unterschiedliche Wissenstraditionen in einen Dialog gebracht werden können, um auf diese Weise neue Erkenntniswege zu eröffnen, die nicht schon im Möglichkeitsraum einer gegenwärtigen Forschungssystematik vorgezeichnet sind (vgl. zur Responsivität u.a. Waldenfels 2006).
In der Ad-hoc-Gruppe »Intertraditionale Wissenskonstitution« soll am Beispiel unterschiedlicher Forschungsgegenstände (z.B. situierte Kognition) untersucht werden, ob und wie ihre Beschreibung durch Einbeziehung intertraditionaler Ansätze fruchtbar ausgedehnt werden kann. Außerdem sollen bestehende intertraditionale Praktiken beschrieben und auf ihre Besonderheiten hin analysiert werden. Nicht zuletzt sollen die Grundlagen der intertraditionalen Theoriebildung reflektiert werden (Feyerabend, Duerr, Varela).
Die Ad-hoc-Gruppe setzt sich zum Ziel, beim Treffen im Rahmen der ersten Tagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft im Herbst 2015 die bisherigen Arbeiten der Gruppenmitglieder im oben skizzierten Bereich zu sondieren und die gemeinsame Vorgehensweise und Schwerpunktsetzung abzustimmen. Bis zur Tagung 2016 soll die bestehende intertraditionale Theorienbildung analysiert und ausgewertet und auf bestimmte, vorzugsweise bestehende Forschungsgegenstände der Gruppenmitglieder angewandt werden. Erste Ergebnisse sollen auf der Tagung vorgestellt werden. Für spätestens 2017 ist eine gemeinsame Publikation zu den sich dabei herauskristallisierenden Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Ansatzes geplant.