Universität Graz, 25.-28. Mai 2022

Organisation: Hildegard Kernmayer, Marietta Schmutz

In der (Vor-)Geschichte der philosophischen Anthropologie, die auch als Geschichte sich wandelnder Wissenskonstellationen und sozialer Übereinkünfte lesbar ist, wird die Kategorie des Menschseins immer wieder neu verhandelt. Bereits in der Antike das ‚Maß aller Dinge‘, vernunftbegabt, dem Göttlichen näher als dem Tier, firmiert ‚der Mensch‘ in der Anthropologie der Aufklärung als „frei handelndes Wesen“ (Kant), das sich durch Zivilisierung, (Selbst-)Kultivierung und Moralisierung sukzessive vervollkommne. Die anthropozentrische Auffassung, wonach sich der Mensch durch Rationalität, freien Willen, individuelles Bewusstsein und Handlungsmacht, aber auch als Empathie, Trauer, Glück empfindendes Wesen  von anderen Spezies abgrenze, sich über diese erhebe, sieht sich jedoch spätestens seit den 1920er Jahren und bis heute von verschiedenen Seiten kontinuierlich herausgefordert. In Frage steht dabei neben der behaupteten Sonderstellung ‚des Menschen‘ die Grenzziehung selbst. Gerät mit der Etablierung zoologisch fundierter Zugänge in der philosophischen Anthropologie (Plessner) die Natur-Kultur-Grenze – und damit das epistemische Fundament der Bestimmung ‚des Menschen‘ – ins Wanken, so entlarven diskursanalytische Theorien einige Jahrzehnte später diese Grenze als spracherzeugte Konstruktion, die die ‚humanistische‘ Überzeugung vom menschlichen Subjekt als Ursprung aller Erkenntnis und Wahrheit stütze. (Foucault) Denn die Grenze scheidet nicht nur ‚den Menschen‘ von seinen belebten ‚Anderen‘ (Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen), sie markiert auch die Differenz zwischen einem Menschsein, das sich von Konzepten der ‚Kultur‘ herleitet, und jenen rassifizierten und sexualisierten menschlichen ‚Anderen‘, deren behauptete Affinität zur ‚Natur‘ sie von der vollumfänglichen Teilhabe am Menschsein ausschließt. Seit den 1990er Jahren sind es die Ansätze der konstruktivistischen Wissenschafts- und Technikforschung, die die Entgrenzung des Sozialen postulieren. Im Netzwerk, in dem neben Menschen auch Dinge, Pflanzen und Tiere wirkmächtig sind, firmiert das Soziale nicht mehr als abgegrenzte Einheit, sondern als „Verknüpfungstyp“ (Latour), d.h. als „Vorgang der Vernetzung, Übersetzung und Assoziation von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen“ (Kneer). 

Aktuell stellt sich die Frage nach dem Menschsein vor allem angesichts sich erweiternder Bio- und Informationstechnologien neu. Gentechnik, Nanotechnologie, KI-Forschung, aber auch die durch die Digitalisierung des Alltags gängigen Mensch-Maschine-Interaktionen zielen sämtlich auf die ‚Verbesserung des Menschen‘, die mit der Überschreitung seiner eingeschränkten biologischen Möglichkeiten einhergehen soll. In den Technologien der Überschreitung erfüllt sich die spätestens seit dem 18. Jahrhundert gültige Vorstellung der ‚conditio humana‘ als Selbstformung und Selbstperfektionierung. Populäre Vertreter*innen des sogenannten Transhumanismus, der sich die Modifizierung und Optimierung des unspezialisierten biologischen ‚Mängelwesens‘ Mensch (Gehlen) zum Ziel setzt, prognostizieren eine nicht allzu ferne Zukunft, in der künstliche Superintelligenzen menschlichen Alltag bestimmen und ‚erleichtern‘ und den Menschen aus verdinglichenden Produktions- und Reproduktionsprozessen befreien, in der Funktionen des menschlichen Körpers schrittweise optimiert und Technologien wie ‚mind-uploading‘ schließlich ‚Unsterblichkeit‘ ermöglichen werden. Die dualistische (cartesianische) Denkfigur des ‚Humanismus‘, die den Körper als animalisch-unzivilisiertes Gegenstück zum Geist annimmt, scheint in diesen trans- und posthumanistischen Utopien auf die Spitze getrieben.

Umgekehrt entwickelt gerade der Transhumanismus hybride Entitäten (vgl. Brain-Computer-Interface), in denen sich die vormals distinkten Einheiten Mensch und Maschine verschränkt finden. Phänomene der Verschränkung sowie der Inter- und Intraaktion, Grundlage der ‚conditio posthumana‘, sind auch Gegenstand theoretischer Reflexion. In der Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari sowie in frühen Schriften Donna Haraways – sämtlich Wegbereiter*innen des sogenannten Kritischen Posthumanismus – erscheint der Mensch etwa als ‚machine désirante‘ oder als Cyborg, mithin als Informationsverarbeitungssystem, das mit anderen Systemen interagiert. In Rekurs auf Haraways späteres Konzept der ‚companion species‘ entwirft Rosi Braidotti mit ihrem Begriff des ‚vitalistischen Materialismus‘ eine egalitäre Vorstellung von Subjektivität und Handlungsmacht, die nicht-menschliche Akteure (Tiere, Maschinen, Ökosysteme etc.) einschließt. Mit der Auflösung der Grenzen zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Mensch und Ding schwindet auch „die räumliche, ontologische und erkenntnistheoretische Auszeichnung, die den Menschen absondert“ (Barad). Der Begriff des Posthumanismus beschreibt damit ein „ethico-onto-epistemologisches“ (Barad) Projekt, in dem der Mensch nicht mehr das ‚Maß aller Dinge‘ ist. 

Wird der Posthumanismus – auch von Seiten des Kritischen Posthumanismus – einerseits als Chance begriffen, einen reflektiert-nachhaltigen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und den sogenannten Ressourcen zu fördern, so werden andererseits vor allem die ethisch-philosophischen Konsequenzen eines scheinbar unaufhaltbaren technologischen Fortschritts diskutiert, der mancherorts nicht über den naiven Imperativ „Mehr ist besser!“ hinausgeht. Donna Haraway oder Cary Wolfe geben zu bedenken, dass die „posthumane Situation“ (Braidotti) Machttechniken wie technologische Kriegsführung oder neokapitalistische Verkaufs- und Vermarktungsstrategien begünstige. Die Verknüpfung von (digitalen) Kommunikations- und Überwachungstechnologien mit Biotechnologien eröffne dem modernen Kapitalismus ungeahnte Möglichkeiten der „Kontrolle und Vermarktung alles Lebendigen“ (Braidotti) und schaffe neue Ungleichheiten. 

Die 7. Jahrestagung der KWG beschäftigt sich mit diesen Themen mit speziellem Fokus auf ‚Kultur‘. Bitte, übermitteln Sie Vorschläge für Panels und Workshops, in denen das Thema etwa in seinen epistemologischen, ethischen, gesellschaftspolitischen, ästhetischen oder literarisch-künstlerischen Aspekten beleuchtet wird, bis zum 15. Oktober 2021 unter posthumanismus.kwg22@uni-graz.at an die Organisatorinnen.

Die Ausschreibung für ein studentisches Panel folgt noch separat.